Meditation
Ein Geschäftsmann reist zurück zu seiner Herrin, der Königin. Zahlen, Macht, Reichtum – damit kennt er sich aus. Womit er sich nicht auskennt, ist das, was er in den Händen hält und liest. Seltsam. Er ist nicht gewohnt, nicht zu verstehen. Denn er vermag Bilanzen zu lesen, Listen zu erstellen. Er, der Schatzverwalter der Königin von Äthiopien.
Aber diese Schrift in seiner Hand versteht er nicht. Er weiß nicht, was der Prophet Jesaja meint, wenn er von einem Lamm spricht, das den Mund vor dem Schlachter nicht auftut. Er weiß auch nicht, dass es ein von Gott geschickter Mann ist, der gleich seinen Weg kreuzt. So erzählt es der Predigttext Apostelgeschichte 8, 26-35.
Ein Mensch hört einem anderen Menschen zu. Einem Fremden. Und er spricht ihn an: Verstehst du, was du liest? Brauchst du Hilfe? Philippus zieht keinen Leitfaden aus der Tasche, wie man sich als Fremder im Land zu benehmen hat. Er hört erst einmal zu und fragt: Was brauchst du?
Und der Fremde, ein Mächtiger, er gibt zu: Nichts, nichts verstehe ich. Er bittet um Hilfe: Setz dich zu mir. Manche Hilfe braucht Zeit. Da ist es gut, man sitzt zusammen, geht zusammen ein Stück Weg.
Ich mag diese Geschichte, weil sie voller Bewegung ist. Zwei Menschen auf dem Weg. Wie wir alle. Unsere Berufe treiben uns hin und her, die Liebe, manchmal das Leid, wie bei Flüchtlingen – ob sie nun vor 600 Jahren wie die Sinti nach Europa kamen oder heute aus der Ukraine oder Afghanistan.
Menschen sind auf dem Weg.
Und ich mag die Geschichte, weil sie von aufrichtigen Menschen erzählt: Ein Mächtiger, der zugibt, ohnmächtig zu sein. Und der andere hilft. Er hilft dem Fremden, setzt sich neben ihn und begleitet ihn auf dessen Weg. Er sagt nicht: Wenn du etwas willst, dann musst du halt zu mir kommen.
Und vielleicht merken diese beiden Männer in der Kutsche: so fremd sind wir gar nicht. Es gibt vieles, was uns verbindet: Die Sehnsucht nach einem Gott der Liebe und Versöhnung. Einem Gott, der andere Maßstäbe in die Welt gebracht hat, der sich mit einem Lamm vergleichen lässt, der Erniedrigung, Schmerz und Tod kennt und die Schlächter dieser Welt. Und der sich damit auf die Seite derjenigen stellt, die erniedrigt werden und diskriminiert. Der sich auf die Seite derjenigen stellt, die die Welt als Opfer bezeichnen möchte, und der das Urteil der Mächtigen aufhebt, das so oft lautet: Du bist nichts wert.
Ich wünsche uns allen einen Engel, der uns dorthin stellt, wo wir gebraucht werden. Auch wenn es zunächst öde erscheint.
Silke Stürmer
Trauer um Pfarrerin Dorothea Schweizer
Ich gedenke Dorothea Schweizers, die 1975 als erste deutsche protestantische Missionarin nach Korea entsandt worden war. Sie war vor allem am Korea Theological Study Institute (KTSI), in der Galiläa-Gemeinde mit der Vereinigung entlassener christlicher Professoren, die sich in der Hanbit-Kirche versammelte, beim Donnerstagsgebet für die politischen Gefangenen, bei Demonstrationen mit deren Familienangehörigen und in Slums aktiv, also an Orten des Leidens für das koreanische Volk in den 1970er und -80er Jahren. Sie war zutiefst berührt vom Mut der Christen, die gegen die Unterdrückung durch die Militärdiktatur in Korea tapfer Widerstand leisteten.
Sie war auch maßgeblich an der Übersetzung deutscher Theologie ins Koreanische und der Minjung-Theologie ins Deutsche beteiligt. Die finanzielle Unterstützung für das KTSI und das Missionsbildungsinstitut (gegründet auf Initiative von Prof. AHN Byung-Mu) wurde durch ihre akribische Schreibarbeit und zahlreiche Korrespondenz sichergestellt. Diese Einrichtungen waren, neben Gefängniserfahrungen, der Nährboden für die Minjung-Theologie in Korea. Schweizer war eine wichtige Geburts- und Entwicklungshelferin dafür.
Sie hat außerdem AHN Byung-Mu geholfen, die koreanische Diakonia- Schwesternschaft (KDS) zu gründen. Durch ihre Vermittlung kam Schwester Albertine von der schweizerischen Kommunität von Grandchamp, um Kandidatinnen zu schulen. Die KDS trat 1983 dem Kaiserswerther DIAKONIA Weltbund bei und pflegte rege Kontakte auch mit dem Mutterhaus der Lazarus-Diakonie in Berlin. An solchen internationalen Kontakten, die das Gemeinschaftsleben sehr bereicherten, hat Schweizer helfend mitgewirkt. Mit großem Interesse hat sie die weitere Entwicklung der KDS verfolgt und mit den Schwestern engen Kontakt gehalten.
Wichtiger Teil ihrer Beziehung zu Korea war auch die zu Pastor LEE Hae Dong und seiner Frau und zur Hanbit-Gemeinde. Schweizer wurde Mitglied der Gemeinde, und das Pastorenehepaar wurde für sie wie eine Familie.
Nach der Erklärung zur Rettung der Demokratie in der Myoungdong-Kathedrale am 1. März 1976 war die Pfarrfrau LEE Jong-Ok für die Inhaftierten aktiv tätig und half Schweizer dabei, sich der Frauenkampfgemeinschaft für Demokratie und Menschenrechte anzuschließen, zu der u.a. LEE Hee-Ho, die Frau von Oppositionsführer KIM Dae-Jung, gehörte. Diese solidarische Kampfgemeinschaft der Frauen war nach dem Vorfall der sogenannten KIM Dae-Jung Verschwörung vom Mai 1980 weiter aktiv. Für Schweizer wurde sie zu einer wichtigen Informationsquelle über die aktuelle politische Situation, um den politisch unterdrückten Kirchenleuten und den Intellektuellen im Widerstand helfen zu können.
Unter der Yushin-Diktatur und dem neuen Militärregime wurden viele Dissidenten inhaftiert. Schweizer hat die deutsche Kirche um finanzielle Hilfe gebeten, um sie und ihre Familien zu unterstützen. Auch viele soziale Projekte wie die Urban Industrial Mission und das Bildungsgebäude der Hanbit-Gemeinde wurden durch Schweizers Vermittlung von der deutschen Kirche finanziell gefördert.
Die Missionarin Dorothea Schweizer hat Korea sehr geliebt und in einer überaus harten Zeit so viel für uns getan. Wir sind Gott von Herzen dankbar, dass er uns solch einen wunderbaren Menschen geschickt hat.
Dr. phil. HAN Unsuk
Fellow of Center for Korean Studies Tuebingen
Den Nachruf im Namen von EMS, BMDZ und DOAM finden sie am Ende des initialen Nachrufs auf doam.org:
doam.org/125-blog/5464-die-doam-trauert-um-dorothea-schweizer
Lesenswert ist auch ihr Artikel für die mission21-Nachrichten:
doam.org/images/partner/aunae/dschweizer_ein_leben.pdf
Bericht aus dem Interreligiösen Studienprogramm
Liebe Leserinnen und Leser, kürzlich fand ich mich – Ramen essend – in Düsseldorf wieder, gemeinsam mit meinem ISJP-Jahrgang. Wie wir nostalgisch feststellten, war die Zeit im Interreligious Studies in Japan Program für uns alle sehr eindrücklich. Daher freue ich mich sehr, Ihnen – anhand dreier besonderer Momente – davon zu berichten.
Ich beginne in einem Dorf bei Kyoto, umgeben von bewaldeten Bergen und Reisfeldern. Im Rahmen unserer Buddhismus-Kurse besuchten wir KURODA Daiichi, einen jungen Zen-Mönch, mit dem wir sowohl über seine alltäglichen Aufgaben als auch über Religionstheologie sprachen. Um vier Uhr morgens praktizierten wir Zazen, während der Morgennebel an den riesigen Fenstern vorbeizog und die Sonne hinter den Hügeln aufging. Meine Beine taten weh, Daiichi rezitierte Sutren; zum Frühstück gab es Reis und eingelegte Pflaumen. Ich wusste noch wenig über Zen, aber allein durch die Atmosphäre und das Miterleben dort begann ich ein wenig zu verstehen.
Stark in Erinnerung geblieben ist mir auch das bedrückende Gerippe der Atombombenkuppel in Hiroshima, Sinnbild für das unglaubliche Leid der Menschen damals. Dennoch stellte sich auch die Frage nach der Erinnerungskultur, denn der Teil des Museums, in dem Japan nicht nur als Opfer, sondern auch als schuldig dargestellt wird, ist (inzwischen) sehr klein. Ebenfalls sehr klein ist das Women’s Active Museum on War and Peace (WAM) in Tokyo zum Thema Trostfrauen. Mir wurde sehr deutlich, wie wichtig ein differenzierter Umgang mit der eigenen Geschichte ist.
Kommen wir zum Schluss in das im Herbst ahornbunte Kyoto und zu der Möglichkeit im ISJP, Praktika zu absolvieren. Im Bazaar Café arbeiten Menschen mit verschiedenen Hintergründen, von Studierenden über Geflüchtete bis hin zu ehemals Suchtkranken. Es ist hell und gemütlich. Das Konzept: Jede Person kann mit ihrem Anliegen herkommen und ist gleichzeitig eine Hilfe für das Café. So verschwimmen die Grenzen zwischen der Person, die hilft, und der, der geholfen wird, zu einer aufgeschlossenen, fröhlichen Gemeinschaft.
Enden möchte ich mit sehr viel Dank: an die EMS, das NCC-Center, an dessen stellvertretenden Direktor Esben Petersen, der uns in allen organisatorischen und inhaltlichen Fragen mit warmherzigem Rat zur Seite stand, und an Sie dafür, dass Sie mit Ihrer Spende dieses bereichernde Programm unterstützen!
Clara Heitmann, Theologiestudentin
200 Jahre Berliner Mission
… wurden am 14. September mit einem fröhlichen Hoffest im heutigen Berliner Missionswerk gefeiert. „Der eigentliche Höhepunkt des Festes sind die Gäste aus unseren Partnerkirchen weltweit”, so Direktor Theilemann, die auch zahlreich angereist waren. U.a. von der koreanischen Han-In-Gemeinde in Berlin gab es leckeres Essen, ihr Chor sang. Vertreter von PROK und Kyodan zeigten ihre Verbundenheit mit dem BMW, wogegen die Arbeit in China nach der Machtergreifung durch die KP Chinas zurückgefahren werden musste. Dabei hatte sie schon 1869 mit der Entsendung der ersten Missionare bzw. 1882 mit der Gründung der ersten Missionsstation begonnen. 1927 wurde der erste chinesische Pastor „mit gleichen Rechten und Pflichten wie ein europäischer Missionar“ ernannt.
Beim Fest konnte die neu gestaltete Dauerausstellung zur Geschichte eröffnet werden, rechtzeitig war auch das Buch „Mission:Reflexion“ (Wichern-Verlag 2024) fertiggestellt worden. Dafür wurden historische und koloniale Verstrickungen aufgearbeitet und auch die Zeit der Teilung in Ost und West beleuchtet. Dem „Wandel des Missions- verständnisses“ oder neuen Arbeitsgebieten wie z.B. dem interreligiösen Dialog sind eigene Kapitel gewidmet.
(CHR)
Hoffest 200 Jahre Berliner Mission
Korea Peace Day und Grundsteinlegung
Die Border Peace School feierte am 6. Juni 2024, einem Feiertag in Südkorea, den ersten Korea Peace Day, genau ein Jahr nach ihrer Neueröffnung in Cheorwon. Es wurde ein ökumenischer Kirchentag für Frieden an der Grenze, angeregt durch die Kirchentage in Deutschland. Mit einem dringenden Appell zum Frieden auf der koreanischen Halbinsel wurde eine „People’s Declaration ‚For Great Peace‘“* verabschiedet und der Grundstein für die Friedens- und Versöhnungskapelle gelegt. Daran nahmen Vertreter aller Bezirke der PROK teil und brachten als symbolische Geste Erde aus ihrem Bezirk mit. 2025 findet der Friedenstag in Paju im westlichen Nachbardistrikt statt.
(CHR)
* “The ultimate goal of peace is for human beings to live like human beings. If "small peace" is the absence of war, "great peace" is when humankind restores global sensitivity and lives in harmony with nature, heaven and earth.“
Koreanischer Chor auf Deutschlandbesuch
Bereits wenige Stunden nach Ankunft in Berlin trat der Bomnal-Chor aus Südkorea („Frühlingstag“) bei der Demonstration zum Erhalt der Friedensstatue ARI im Juli in Berlin auf, um seine Solidarität zu zeigen. Konzerte in Berlin und Tübingen folgten, bei denen der 2021 in Seoul gegründete Chor in beeindruckender Weise sein Anliegen, durch Lieder die Menschenwürde und die Würde der Arbeit zu verteidigen und sich mit sozial Schwachen zu solidarisieren, zum Ausdruck brachte.
Sie wollen die Liedkultur der koreanischen Demokratie-, Friedens- und Vereinigungsbewegung vorstellen und gleichzeitig auf die politische Lage in Korea unter der jetzigen rechten Regierung aufmerksam machen. „Der Frieden ist sehr stark gefährdet. Dies sollte wieder ein ernst zu nehmendes Thema der ökumenischen Zusammenarbeit der deutschen und koreanischen Kirche werden “, sagt Dr. HAN Unsuk, der Mitbegründer des Chores.
(CHR)
Literaturhinweis KIM Hye-Jin, Die Tochter
In ihrem Buch „Die Tochter“ legt die südkoreanische Schriftstellerin KIM Hye-Jin einen Roman vor, der unter die Haut geht. Als Lesende begleiten wir das Leben und die Gedanken einer 60-jährigen Pflegerin im Südkorea der Gegenwart. Alle Traditionen und Werte drohen zu verschwinden. Harte Arbeit wird schlecht entlohnt, alte Menschen werden vernachlässigt, Familienbande weichen neuen Lebensformen. Die eigene Tochter ist politisch aktiv und zieht mit ihrer Partnerin zu ihr. In einer Welt voller Umbrüche fällt es ihr schwer, ihre traditionellen Werte mit den Bedingungen der Gegenwart abzugleichen. Das macht den Roman über Südkorea hinaus für jede moderne Gesellschaft bedeutsam. Erschienen 2017 in Südkorea, in 2. Auflage 2022 bei Hanser Berlin.
(Chr. Hildebrandt-Ayasse)