Serbien - ein sicheres Herkunftsland?
in Verbindung mit der Evang. Akadmie Bad Boll
1.-9. Oktober 2016
Studienreise „Serbien: Ein sicheres Herkunftsland?
Den Lebensrealitäten serbischer Romnija und Roma auf der Spur
Auf Vorschlag von Dr. Andreas Hoffmann-Richter und darauf unseres Arbeitskreises Sinti/Roma und Kirchen in Baden-Württemberg bereitete ein Team aus Romnija und Roma sowie aus der Mehrheitsbevölkerung diese asylpolitische Studienreise nach Serbien vor und führte sie durch. Die Reise war an die Evangelische Akademie Bad-Boll angebunden, organisiert durch Studienleiter Wolfgang Mayer-Ernst. Nach der offiziellen Studienreise (vom 1.-9. Oktober 2016) besuchten Marion Nau, Manuel Werner und Michaela Saliari vier Roma-Familien in Serbien, die vor nicht allzu langer Zeit gezwungenermaßen „freiwillig ausreisen“ mussten.
Roma-Flüchtlinge aus Serbien haben inzwischen so gut wie keine Chance, in Deutschland Asyl zu bekommen. Sie müssen wieder zurück. Hauptsächlich „westbalkanische“ Romnija und Roma werden vorrangig aus Deutschland, aus Baden-Württemberg abgeschoben, oder müssen „freiwillig ausreisen“. Denn Serbien gilt den maßgeblichen deutschen Politikern und Fraktionen seit der Abstimmung im Bundesrat 2014 als "sicheres Herkunftsland".
Was das bedeutet, wie die Lebenssituation der Rückkehrenden aussieht, welche Hilfsangebote Roma-Organisationen, Kirchen, nichtstaatliche sowie staatliche Akteure bieten, das erkundeten wir auf dieser Akademiereise.
Die ersten drei Tage in Niš organisierte Emran Elmazi von der Dokumentationsstelle des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Wir besuchten auf den Spuren des Porajmos einen Massenerschießungsort (Bubanj) und das frühere Konzentrationslager "Rotes Kreuz", das die deutsche „Wehrmacht“ und weitere Organisationen betrieben. Nach der Besatzungszeit halfen serbische Behörden, Polizisten, Tschetniks und andere Gruppen willig mit, die Roma ausfindig zu machen und festzunehmen.
Weiter besuchten wir die Crveni krst mahala (Mahala Rotes Kreuz **) in Niš/Südserbien. Es waren Eindrücke, die nicht so leicht zu vergessen sind. Dieser illegalen Roma-Siedlung, man kann sie auch als ein Ghetto bezeichnen, wurde vor Monaten Wasser und Strom abgestellt: Eine Katastrophe für die Bewohner. Sie hießen uns herzlich willkommen und zeigten uns, wie sie leben müssen. Wie erreicht man, dass sie wieder Wasser und Strom bekommen, wie kann man den pädagogischen Assistenten Dejan unterstützen? Am Abend besuchten wir die Mala Beograd mahala (Klein-Belgrad mahala). Dort waren die Straßen asphaltiert, es gab einen Kindergarten, und die Häuser waren viel besser, da von Rückkehrern aus Deutschland gebaut.
Danach schauten wir uns das Roma-TV und das Roma-Radio an. Beide Einrichtungen können seit Monaten nicht mehr senden. Ein Frauen-Nottelefon für Romnija jedoch funktionierte.
In Belgrad und Novi Sad trafen wir uns mit Religionsgemeinschaften, das waren eine Pfingstgemeinde, eine methodistische und eine evangelische Gemeinde, eine Synagoge, eine Moschee und das serbisch-orthodoxe Patriarchat. Wie auch bei einem Botschaftsvertreter versuchten wir zuzuhören und unsere Anliegen und Position vorzubringen. Roma-Initiativen und Selbstorganisationen, andere Organisationen und NGO‘s wie die EHO (Ecumenical Humanitarian Organisation) in Novi Sad, organisiert durch Joachim Flothow in Novi Sad und durch Jovica Arvanitelli in Belgrad, standen ebenfalls auf dem Programm. Stadtführungen wurden durch serbische Roma durchgeführt. In Belgrad besuchten wir die Vertretung der nationalen Minderheit der Roma, wie auch das ehemalige Konzentrationslager Staro Sajmište*. Zum Organisationsteam gehörten neben den bereits Genannten auch noch Behar Heinemann, Andreas Hoffmann-Richter, Michaela Saliari und Manuel Werner. Dazu hatten wir eigene Dolmetscherinnen und Dolmetscher dabei.
Die Gespräche mit den Religionsgemeinschaften und dem Botschaftsvertreter waren vielleicht ein Anfang. Nun, nach der Reise, bietet sich die Chance, sich zu vernetzen, an einem Strang zu ziehen und zu versuchen, das Mögliche zu tun, damit die Situation dort besser wird und damit die Dominanzbevölkerung hüben wie drüben nicht weiter Roma auf das Schärfstmögliche behandelt.
Manuel Werner
Anmerkungen des Verfassers:
Die Mahalas (= Roma-Siedlungen) "Rotes Kreuz" - Crveni krs mahala) in der Großstadt Niš (Südserbien) und "Bangladeš mala" (Bangladesch ist eine Fremdbezeichung der Dominanzbevölkerung) bei Novi Sad (Wojvodina, Serbien) brauchen mit sofortiger Wirkung wieder Wasser und Strom. Deutschland hat wohl mehr als 1,5 Milliarden Euro an Serbien gezahlt. Somit sollte das finanziell möglich und nötig sein. Wie können wir dies erreichen?
Anmerkungen (PS):
* Konzentrationslager Staro Sajmiste in Belgrad - mehr dazu hier:
https://en.wikipedia.org/wiki/Sajmi%C5%A1te_concentration_camp
https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Sajmi%C5%A1te
https://schwarzemilch.wordpress.com/2010/07/23/staro-sajmiste-das-vergessene-konzentrationslager-in-belgrad/
** Konzentrationslager "Rotes Kreuz"
https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Crveni_Krst
http://www.spiegel.de/fotostrecke/bizarre-kriegsdenkmaeler-fotostrecke-107092-21.html
Karte Serbien
http://www.memorialmuseums.org/laender/view/11/Serbien