Vortrag KIDO

Studientagung 2010: Vortrag KIDO

 

Studientagung 2010 - Begegnungs- und Bildungszentrum Woltersdorf

Zukunft braucht Erinnerung

Vom Gedenken in unterschiedlichen Kulturen

20. - 23. September 2010

pr_studtag2010a

Foto (2008): Eingangstor zum Yasukunischrei, Tokyo, Japan

Vor 100 Jahren wurde Korea eine Kolonie Japans verbunden mit Unterdrückung und dem Versuch, es seiner kulturellen Identität zu berauben; vor 60 Jahren begann der Koreakrieg, der unendliches Leid über die Menschen in Nord- und Südkorea gebracht hat; vor 30 Jahren wurde Korea von dem Massaker in Kwangju erschüttert und vor 20 Jahren geschah die Wiedervereinigung Deutschlands.

 

pr_studtag2010b_kido

Prof. Dr. KIDO Eiichi 

Kyoto/Osaka, Japan

hielt einen Vortrag zur staatlichen Instrumentalisierung des Gedenkens in Japan
Gedenken zwischen Versöhnung und staatlicher Instrumentalisierung in Japan  

> als pdf

 

Gedenken zwischen Versöhnung und staatlicher Instrumentalisierung in Japan

Berlin, am 21. September 2010

 

 

Vorwort

Am 14. August 2010 besuchte der Führer des französischen Front National Jean-Marie Le Pen den umstrittenen Yasukuni-Schrein in Begleitung einer Delegation von europäischen Rechtsextremen mit Adam Walker, dem Vizechef der Britischen Nationalen Partei (BNP) sowie Vertetern aus sechs anderen europäischen Ländern (Österreich, Belgien, Spanien, Ungarn, Portugal, Rumänien).

Vor 1945 besuchten die deutschen Nationalsozialisten immer wieder diesen Schrein. Symbolisch war es, dass eine Delegation der Hitler-Jugend unter der Führung von Reinhold Schulze am 17. August 1938, einen Tag nach ihrer Ankunft in Japan, das Kriegsheiligtum besuchten. Diese Delegation blieb für drei Monate in Japan. Sie soll von Japanern enthusiastisch begrüßt worden sein. Auch am 27. April 1944 besuchte eine zweite HJ-Delegation unter der Führung von Schulze den Yasukuni-Schrein.

Das Ereignis diesen Jahres war ein Versuch der Rechtsextremisten, etwas wie Patrioten aller Länder, vereinigt Euch! zu organisieren. Und das in dem Jahr, wo sich am 29. August die japanische Annexion der koreanischen Halbinsel zum 100. Mal gejährt hat[1]. Eigentlich ist es ein Widerspruch in sich, dass sich die Nationalisten miteinander solidarisieren. Aber die Rechtsextremisten nutzen die von der neoliberal geführten Globalisierung verursachte soziale Diskrepanz für ihre vereinfachende  Propaganda, die manche Menschen anspricht. Wenn die Position des Rechtsextremismus wie Nationalismus, Rassismus, Geschichtsrevisionismus, Autoritarismus und Erfindung des Sündenbockes immer mehr Anhänger bekommt, ist das für die Zivilgesellschaft in der Welt sehr gefährlich.

Mit der bedingungslosen Kapitulation 1945 endete die japanische Kolonialherrschaft. Aber die Abrechnung mit dem Kolonialismus ist immer noch nicht abgeschlossen. Es gibt eine Menge ungelöste Probleme wie die Trostfrauen-Problematik, die fehlende Entschädigung für kriegsmobilisierte Koreaner, Diskriminierung gegen die koreanische Minderheit, fehlende Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und Nordkorea usw. Die Elitenkontinuität und das Fortwirken kolonistisch-imperialistisch geprägter Mentalität sind nicht zu ignorieren. Dabei hat das Geschichtsverständnis des Yasukuni-Schreins, der die Gefallenen der Angriffskriege und der Kolonialisierung als Heldenseelen verehrt und jeden Krieg Japans als Verteidigung rechtfertigt, eine wesentliche Rolle gespielt.


Was ist der Yasukuni-Schrein?

Der Yasukuni-Schrein (Schrein des friedlichen Landes) funktionierte als Hort des japanischen Militarismus. Er wurde 1869 gegründet, um alle Kriegsgefallenen, die im Bürgerkrieg in der Endphase der Edo-Ära auf der Seite des Tennôs gekämpft hatten, als Heldenseelen zu verehren[2]. Der Yasukuni-Schrein war eigentlich keine rein religiöse, sondern eher Militäranlage, weil nicht das Innenministerium, sondern das Heeres- und das Marineministerium dafür zuständig waren. Es gibt einen Seelenregister von insgesamt etwa 2.460.000 Kriegsgefallenen.
Schrein ist ein shintoistischer Begriff. Der Shintoismus bestand hauptsächlich in drei Spielarten. : Der Schrein-Shintoismus (Jinja Shintô) ist als älteste Religion in Japan spontan entstanden. Es gab auch den Synkretismus aus Shintô und Buddhismus bzw. Konfuzianismus (Shûgô Shintô). Außerdem gab es den Hofshintoismus (Kôshitu Shintô), der die Ahnherren der Tennô-Famlie verehrte[3].

Am Vorabend der Entstehung des modernen Nationalstaates 1868 entstand die Ideologie des Staatsshintoismus. Damals wurde Japan von westlichen Mächten gezwungen, das Land zu öffnen und ungleiche Verträge zu schließen. Die Parole der politischen Kräfte, die die Abschaffung des Shôgunats und die Wiedereinsetzung des Tennôs forderte, hieß Sonnô, jôi (Verehrt den Tennô und vertreibt die Barbaren!). Diese Ideologie stiftete die Identität der Japaner, die dem westlichen Imperialismus ausgesetzt waren. Sie ermutigte jene politischen Kräfte, die sich Ein Herrscher, eine Nation wünschten, mit der angeblich unvergleichbaren Tradition Japans. Sie beruft sich nämlich auf die seit unzähligen Generationen ununterbrochene Abstammungslinie des Tennôhauses.

Mit der Etablierung des Nationalstaates wurden die obengenannten drei Spielarten des Shintoismus in den privilegierten Staatsshintoismus reorganisiert, der den Tennô als Gott in Menschengestalt verabsolutierte und die Mythologien (Kojiki und Nihonshoki) als die einzige heilige Schrift betrachtete. Damals führten Japaner nach dem Motto Kulturerneuerung (Bummei Kaika) moderne Institutionen und Zivilisation vom Westen fleißig ein. Es war aber undenkbar, das geistige Rückgrat dieser westlichen Zivilisation, nämlich das Christentum, zu übernehmen. Angesichts der Tatsache, dass die westlichen Länder ihre Kolonialherrschaft durch die Mission des Christentums rechtfertigten, versuchte die japanische Obrigkeit die Untertanen mit dem Staatsshintoismus vollständig zu indoktrinieren und so den Imperialismus auszubauen.

Das staatsshintoistische Dogma kontrollierte das Leben und das Bewußtsein desjapanischen Volkes bis 1945. Es galt als brauchtümliche Überreligion, die andere Religionen übertrifft. Der Schreinbesuch wurde nicht als religiöse Handlung sondern als Volksmoral betrachtet. Und der Yasukuni-Schrein war das zentrale Wesen dieser Volksmoral.

Unter dem Yasukuni-Schrein in der Hauptstadt Tokio gab und gibt es in jederPräfektur einen Gokoku-Schrein (Schrein zur Verteidigung des Landes) und auf der Kommunalebene ein Chûkonhi (Ehrenmal der treuen Seelen). Der Kriegsveteranenverband spielte eine wichtige Rolle, diese Militäranlagen zu bauen und pflegen und Zeremonien für die Heldenseelen zu organisieren. Dadurch war der japanische Graswurzelmilitarismus gestaltet worden.

Beim Yasukuni-Schrein ging es um die Verehrung derHeldenseelen und die Ermutigung der (noch) lebenden Soldaten, ihnen zu folgen. Die im heiligen Krieg gefallenen Soldaten wurden zum Vorbild für die ganze Nation. Der Yasukuni-Schrein diente dazu, ihre geistige Mobilisierung zu befördern.

Der militärischenVerhaltenskodex (Senjinkun), der im Januar 1941 verkündet wurde und de facto auch für die Zivilisten geltend gemacht wurde, verbat es , sich gefangen nehmen zu lassen. Den jungen Japanern wurde eingepaukt, zu fallen und sich dann in Yasukuni wieder zu sehen.


Expansionismus mit der Hilfe des Staatsshintoismus

Nach dem Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg 1894/1895 baute Japan in den von ihm kolonialisierten, okkupierten Gebieten staatsshintoistische Schreine. Die staatsshintoistische Ideologie rechtfertigte, dass Japan als Land der Götter die hegemoniale Macht in der Region ergriff. So versuchte die kolonialistisch-imperialistische Politik Japans, die kulturelle Identität der von ihm eroberten Gebiete zu vernichten. 1901 in Taiwan, 1908 in Dalian, 1931 in Saipan von 1899 bis 1914 stand die Insel als Teil der Kolonie Deutsch-Neuguinea unter deutscher Verwaltung., 1943 in Singapur usw. wurden schintoistische Schreine gebaut.

Eine besondereRolle spielte der Schrein, der 1925 in Seoul gebaut wurde. Dort wurden Amaterasu Ômikami, angeblich Ahnmutter des Tennôhauses, und Meiji-Tennô, unter dessen Herrschaft die koreanische Halbinsel kolonialisiert worden war, als Götter verehrt. Der Schreinbesuch wurde dem koreanischen Volk aufgezwungen. Mehr als 2.000 koreanische Christen, die dies abgelehnt hatten, wurden ins Gefängnis geworfen, mehr als 50 davon starben dort.

Der Führer der japanischen Christen, Mitsuru Tomita, versuchte, koreanischeChristen zu überreden, den Schrein zu besuchen, als er im Juni/Juli 1938 diekoreanische Halbinsel besuchte. Er verteidigte die japanische Regierung, weil sie nie eine Bekehrung vom Christentum zum Shintoismus erzwungen habe. Sie habe nur die staatliche Zeremonie vom Volk verlangt. Es sei Schande, wenn man die in aller Welt unvergleichbare Religionsfreiheit, die dem Volk der große Meiji-Tennô mit seiner Großherzigkeit erteilt habe, rücksichtslos stören wolle.

Tomita leitete die Vereinigte Kirche Christi in Japan (Nihon Kirisuto Kyôdan; Englisch: United Church of Christ in Japan), die aus 33 unterschiedlichen evangelischen Gruppen unter Druck der Regierung im Juni 1941 zwangsweise gegründet wurde. Bei der Gründungsversammlung wurde der Schwur gelei
als Heldenseelen verehrt. Es wurde ein Dankesbesuch für die Inkraftsetzung der Wehrpflicht zum Yasukuni-Schrein organisiert.

Auf diese Weise wurden die jungen Männer aus den japanischen Kolonien zumAngriffskrieg mobilisiert. Etwa 50.000 von ihnen (28.863 Taiwanesen und 21.181 Koreaner Stand: Oktober 2001) fielen und wurden vom Yasukuni-Schrein einseitig,  ohne Rücksicht auf den Wunsch der Hinterbliebenen, als Heldenseelen mitverehrt. Manche Hinterbliebene aus Korea und Taiwan verlangten vom Schrein, diese Entscheidung zurückzunehmen. Aber das wurde strikt abgelehnt, weil die Gefallenen damals Japaner gewesen seien.


Der japanische Fanatismus, der die NS-Führung begeisterte

Den Fanatismus, den die Kamikaze-Flieger symbolisierten, sah die NS-Elite neidisch an. Der ehemalige Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, Rudolf Höss, hat hinterlassen: »Führer befiehl, wir folgen« - war keinesfalls eine Phrase, kein Schlagwort für uns. Es war bitter ernst gemeint... Nicht umsonst wurden in der SS-Schulung die Japaner als leuchtende Vorbilder der Selbstaufopferung für den Staat, den Kaiser, der ja gleichzeitig ihr Gott war, hervorgehoben.[4]

Der Rüstungsminister und Architekt Adolf Hitlers, Albert Speer, notierte:
"Wie Hitler sich seine Staatskirche vorstellte, konnte man aus einer von ihm oft wiedergegebenen Erzählung einer Delegation vornehmer Araber entnehmen... Hitler pflegte diese Erzählung mit der Betrachtung zu schließen:»Wir haben eben überhaupt das Unglück, eine falsche Religion zu besitzen. Warum haben wir nicht die der Japaner, die das Opfer für das Vaterland als das Höchste ansieht?«[5]

Auch in den Niederschriften der Tischgespräche Hitlers ist seine Auffassung wie folgt dokumentiert.
Japanische Staatsphilosophie
Beim heutigen Mittagessen kam der Chef auf die Staatsreligion oder besser Staatsphilosophie der Japaner zu sprechen. Er erklärte, daß die Staatsphilosophie der Japaner, die heute einer der wesentlichsten Ausgangspunkte ihrer Erfolge sei, sich nur deshalb als Lebensgrundlage des japanischen Volkes erhalten habe, weil man sie beizeiten vor dem Gift des Christentums bewahrt habe.
4.4.1942 mittags (Wolfsschanze)[6]


Wer stützt die Moral eines Volkes?

Beim Abendessen bemerkte der Führer, daß es doch eigentlich eigenartig sei, daß so christliche Völker wie die Engländer und Amerikaner trotz all ihrer Gebete so starke Schläge von den Japanern als ausgesprochenen Heiden erhielten. Offenbar sei der Kirchengott doch nicht so sehr mit den Betschwestern in England und den USA, sondern mit den japanischen Helden.

Es sei ja auch kein Wunder, daß die Japaner aus ihrer religiösen Einstellung heraus größere Erfolge erzielten als die christlichen Engländer und Amerikaner. Denn bei ihnen gelte die höchste Verehrung des ganzen Volkes den »Helden«, die mit ihrem Leben den höchsten Einsatz für das Dasein und die Größe ihrer Nation bringen.
9.4.1942 abends (Wolfsschanze)[7]

Die Japaner haben ihren eigenen Begriff. Der Tenno ist der Herr auch ihrer ganzen Religion. Deshalb darf bei uns die Staatsgewalt und die Parteigewalt nie getrennt werden! Die Volksführung und die Staatsführung müssen in einer Person identifiziert sein! Die Japaner haben noch den alten Zustand, wie er vor 1600 Jahren bei uns bestanden hat, bevor die Kirche sich zwischengeschoben hat.
Wolfsschanze, 3./4.1.1942 nachts[8]

Hiter setzte sich deshalb bis zum Ende für die Schicksalsverbundenheit mit den Japanern ein. Am 18. Februar 1945 soll er sich wie folgendes geäußert haben.
Für uns wird Japan für alle Zeiten Freund und Bundesgenosse bleiben. In diesem Krieg haben wir gelernt, es zu schätzen und immer mehr zu achten. Durch den gemeinsamen Kampf werden unsere Beziehungen mit Japan noch enger und fester werden[9].
Ob die Japaner auf solches Lob stolz sein dürfen?


Yasukuni-Politik nach 1945
I

m Dezember 1945 verordnete der Oberkommandierende für die Allierten Mächte die Etablierung der Religionsfreiheit, die Beseitigung des Militarismus, die Abschaffung des Staatsshintoismus und die Trennung von Staat und Religion. Dadurch wurde der Yasukuni-Schrein der staatlichen Kontrolle entzogen und wurde im September 1946 zu einer religiösen Körperschaft.

Trotz der Verfassung, deren Artikel 20 die Trennung zwischen Staat und Religion festschreibt, versuchten die rechten Kräfte von 1969 bis 1974 immer wieder, den Yasukuni-Schrein zu verstaatlichen. Nachdem ihr Versuch gescheitert war, zielten sie darauf, dass der Tennô bzw. der Ministerpräsident den Yasukuni-Schrein offiziell besucht.

Seitdem der Friedensvertrag von San Francisco und der US-japanische Sicherheitsvertrag am 28. April 1952 in Kraft getreten sind, wird versucht, Japan an einem amerikanischen Krieg zu beteiligen. Im Zusammenhang damit, dass die USA die Remilitarisierung Japans forcierten, wurde  am 30. April 1952 das Gesetz zur Unterstütung der Kriegsinvaliden und der Hinterbliebenen der Kriegsgefallenen erlassen. Damit ist die Möglichkeit eines Entschädigungsgesetzes ausgeschlossen worden, das die Verantwortlichkeit des Staates für den Krieg klar macht.

Das Unterstützungsgesetz war von Anfang an nicht für Koreaner und Taiwanesen anzuwenden. Denn mit dem Inkrafttreten des Friedensvertrags, der Japan die volle Souveränität zurückgegeben hatte, wurden sie nun Ausländer. Erst am 22. September 1962 hat das japanische Sozialministerium mitgeteilt, dass sich die Koreaner und Taiwanesen, die die japanische Staatsangehörigkeit erworben haben, im Geltungsbereich dieses Gesetzes befänden. Aber mit der Unterzeichnung des japanisch-südkoreanischen Grundlagenvertrags am 22. Juni 1965 trat diese Mittelung außer Kraft. Ausgenommen denjenigen, die innerhalb eines kurzen Zeitraums die japanische Staatsangehörigkeit erworben hatten, sind die ehemaligen koreanischen und taiwanesischen Soldaten und Zivilangestellten beim japanischen Militär keineswegs berechtigt, finanzielle Unterstützung vom japanischen Staat zu bekommen.
Auf der anderen Seite ist der Geltungsbereich des Unterstützungsgesetzes für die Japaner ständig erweitert worden. Z.B. wurde im Jahre 1953 die neue Regelung eingeführt, den Hinterbliebenen Hinterbliebenrente und Schmerzensgeld auszuzahlen, wenn japanische Kriegsverbrecher in der Haft sterben.
Dieses Gesetz zielt nicht darauf, zivilen Kriegsopfern finanziell zu helfen. Ausnahme ist die von der grausamen Bodenschlacht betroffene okinawaische Bevölkerung, die vom Säugling bis zum Greis als Kampfteilnemer anerkannt wurde und beim Yasukuni-Schrein verehrt wird. Dort werden nämlich außer 28.228 Soldaten und Militärangehörigen aus Okinawa 55.724 Zivilisten als Heldenseelen verehrt.
Die Bevölkerung in Okinawa musste der Parole Militär und Zivilisten leben und sterben zusammen. folgen. Ein Teil von ihnen musste sich auf Befehl des Militärs an der Kapmfhandlung beteiligen. Etwa ein Viertel der Zivilisten wurde getötet. Um die finanzielle Hilfe für die Bevölkerung zu rechtfertigen, wandte die japanische Regierung nach dem Krieg den Trick an, die Okinawaner hätten als Quasiangestellte beim Militär etwas ähnliches wie ein Beschäftigungsverhältnis beim Staat gehabt. Die Regierung interpretierte es so, als hätten die Okinawaner freiwillig und aktiv an der japanischen Kampfhandlung teilgenommen. Die Einwohner, die wegen des okinawaischen Dialektes von den japanischen Soldaten als Spione betrachtet und ermordet wurden, hätten zur militärischen Geheimhaltung beigetragen. Die Menschen, die vom japanischen Militär aus der Höhle hinausgejagt wurden und ums Leben kamen, hätten den Truppen den Luftschutzraum angeboten. Der kollektive Selbstmord, in den nicht wenige Okinawaner getrieben wurden, sei militärische Aktion gewesen. In diesem Sinne ist sogar ein zweijähriges Kind als Quasiangestellter beim Militär beim Yasukuni-Schrein verehrt worden.

Am 19. März 2006 haben fünf Hinterbliebene einen Prozeß gegen den Yasukuni-Schrein und die japanische Regierung angestrengt. Das Ziel dieses Prozesses ist nicht nur, das einseitige Verfahren des Schreins zurücknehmen zu lassen, sondern auch vor dem eigenwilligen Diskurs vom erhabenen Tod für das Vaterland zu warnen[10].

Am 28. März 2007 hat die Nationale Parlamentsbibliothek Materialien zur Yasukuni-Frage. Neufassung veröffentlicht. Damit ist klar geworden, dass das damalige Sozialministerium und der Yasukuni-Schrein engen Kontakt darüber hielten, welche Kriegstoten in die Heldenverehrung beim Yasukuni einbezogen werden sollen. Im Februar 1966 teilte das Ministerium dem Yasukuni-Schrein mit, man werde die Liste der verstorbenen Kriegsverbrecher zu schicken, deren Verehrung er sich vorbehielt. Bei ihrer Sitzung am 9. Mai 1967 wurde gebilligt, dass auch ein Betreiber von Kriegsbordellen, der als Verurteilter gestorben war, verehrt werden sollte.


Wirbel um den offiziellen Yasukuni-Besuch durch den Premierminister
I

m April 1979 kam ans Licht, dass die Leitung des Yasukuni-Schreins im Oktober des vorigen Jahres 14 Kriegsverbrecher wie Hideki Tôjô als Shôwa-Märtyrer heimlich in die Heldenverehrung einzubezogen hatte. Hirohito soll mit dieser Entscheidung unzufrieden gewesen sein. Erst im Juli 2006 wurde bekannt, dass er 1978 beschloss, diesen Schrein nicht mehr aufzusuchen. Diese Haltung ist heuchlerisch, weil die Angeklagten der japanischen Kriegsverbrecherprozesse alle Schuld auf sich nahmen und Hirohito von eigener Mitverantwortung entlasteten.

Am 15. August 1985 besuchte der Premier Yasuhiro Nakasone offiziell den Yasukuni-Schrein. Da der nationalitische Politiker schon beim Amtsantritt die Absicht deutlich machte, einen Schlussstrich unter die Nachkriegspolitik zu ziehen, erntete sein Yasukuni-Besuch heftige Proteste im In- und Ausland. Deshalb hat er darauf verzichtet, mit dem Yasukuni-Besuch die Öffentlichkeit weiter zu provozieren.

Solche staatsmännliche Überlegung war Junichirô Koizumi fremd. Unbeeindruckt von heftiger Kritik besuchte er während seiner Amtszeit jedes Jahr den Yasukuni-Schrein. Als das Oberlandesgericht Osaka am 30. September 2005 den Yasukuni-Besuch Koizumis deutlich für verfassungswidrig erklärte, sprach der Premier nur von seinem Unverständnis.

Seine Eigensinnigkeit erschien einem Teil der japanischen Öffentlichkeit als Zeichen von Willensstärke. Im Juli 2006 waren 57% der Befragten gegen den Yasukuni-Besuch von Koizumi (29% waren dafür)[11]. Die Äußerung Hirohitos aus dem Jahr 1978, nicht mehr den Yasukuni-Schrein besuchen zu wollen, halten 63% für wichtig (33% für nicht wichtig.) Und nachdem Koizumi tatsächlich am 15. August 2006 das Kriegsheiligtum besucht hatte, befürwortete eine relative Mehrheit (49%) seine Haltung (37% kritisierten den Besuch)[12]. 47% störte es nicht, dass dass die Kriegsverbrecher der Klasse A in die Heldenverehrung einbezogen sind (41% wollte das nicht.). Das Problem ist, dass ein Großteil der jaqanischen Bevölkerung wenig über die Geschichte und die kriegsverherrlichende Funktion des Yasukuni-Schreins weiß[13]. Die Mehrheit fand und findet die Einmischung in die eigene Angelegenheit aus China und Südkorea einfach unangenehm.

Der Hintergrund dieser Haltung ist der Rechtsruck in der japanischen Bevölkerung seit Mitte der 90er Jahre. Dass die ehemaligen Trostfrauen wie Kim Hak-Soon 1991 das Schweigen gebrochen haben, hat die japanische Öffentlichkeit angeregt, sich mit Kriegsopfern in Asien zu solidarisieren und die Versöhnung mit den Völkern in den Nachbarländern zu erringen. Der Permierminister Morihiro Hosokawa sprach 1993 und der Premier Tomiichi Murayama 1995 offiziell von der Kriegsschuld Japans. Darauf reagierten die nationalistischen Kräfte sehr heftig. Sie begannen, z.B. ein geschichtsrevisionistisches Schulbuch herauszugeben, um die Yasukuni-Geschichtsideologie zu verbreiten.
Der Yasukuni-Schrein verkörpert den Doppelstandard der japanischen Politik. Nach außen gibt er sich wie eine rein private Institution. Im Inland ist er eine religiöse Einrichtung, die den Staatsshintoismus de facto fortsetzt, weil er besonderen Kontakt mit der Regierung hält. Dieser Doppelstandard wird praktiziert, indem man wie bei der Aushöhlung des Verfassungsartikel 9, der dem japanischen Staat den Unterhalt einer Armee, die Androhung militärischer Gewalt und die Kriegführung verbietet, Schritt für Schritt ein Fait accompli nach dem anderen schafft.
Heute hat der Yasukuni-Schreins nicht nur die Funktion, die Geschitsklitterung zu verbreiten. Er spielt eine wichtige Rolle, um Opferbereitschaft aus Prinzipientreue (damals für den Tennô und das Vaterland, heute für Freiheit und Demokratie etwa) zu ehren. Das ist nämlich die geistige Vorbereitung dafür, als treuer Verbündeter der USA ständig und weitweit einsatzbereit zu sein. Außerdem ist das günstig, um die von der neoliberalen Politk verursachte soziale Kluft zu verschleiern und zu beschönigen und möglicherweise innere Frustrution nach außen abzulenken.

Seit dem Machtwechsel im August 2009 sind die Yasukuni-Anhänger nicht mehr so lautstark. Die regierende Demokratische Partei (DP) hat vor der Wahl die Absicht kundgetan, als Alternative zu Yasukuni eine neue nationale Gedenkstätte zu bauen.  Am 15. August 2010 hat in der Tat kein Minister den Yasukuni-Schrein besucht.

Aber auch innerhalb der DP gibt es nicht wenige Yasukuni-Anhänger. Sie versuchen, für einen Gegenschlag ihre Kräfte zu sammeln. Außerdem sollte man sich fragen, ob so eine nationale Gedenkstätte eine Alternative zu Yasukuni wäre. Sie könnte als Nationalheiligtum sogar noch besser funktionieren, eine eventuelle japanische Armee zu stützen.

 

In diesem Sinne könnte man die Yasukuni-Problematik auch mit der von Tapferkeitsmedaille und Ehrenmal der Bundeswehr vergleichend diskutieren.

 

 


Freundschaft zwischen Yasukuni-Gingko und deutscher Eiche?
A

n der Ostseite des Marine-Ehrenmals in Laboe bei Kiel stehen drei Gingko-Bäume aus Japan. Auf dem Erklärungstafel steht: Als im März 1965 die Besatzung des S/S DEUTSCHLAND den YASUKUNI-SCHREIN in Tokyo Japan besuchte, hat Hauptpriester Fujimaro Tsukuba diese im Hofe des Schrein gezogenen Gingkobäume den Gefallenen Deutschlands in tiefster Verehrung gewidmet.[14]

 


Die Pflanzungszeremonie fand am 2. Juli 1965 statt, und zwar im Beisein des japanischen Botschafters

 

Fujio Uchida[15]. Auch das zeigt die Nichttrennung von Staat und Religion bei der japanischen Obrigkeit.

Im Hof des Yasukuni-Schrein steht eine Eiche aus Deutschland. Auf dem Tafel istzu lesen: Dieser Baum wurde am 12. Januar 1970 zu Ehren der gefallenen japanischen Soldaten von Generalleutenant Steinhoff, dem Inspekteur der Deutschen Luftwaffe gepflanzt.

In meinem Auftrag hat der Bundestagsabgeordnete Paul Schäfer im April 2010 der Bundesregierung die folgenden schriftlichen Anfragen gestellt (Fragen Nr.4/73 und 4/74):
Wie beurteilt die Bundesregierung den Symbolgehalt der 1970/71 vom damaligen Inspekteur der Deutschen Luftwaffe am japanischen Yasukuni-Schrein gepflanzten Eiche sowie der Gedenktafel zu Ehren der im Zweiten Weltkrieg gefallenen japanischen Soldaten, und welche Gründe sprechen nach Auffassung der Bundesregierung dagegen, die Gedenktafel und die Eiche vor dem Yasukuni-Schrein wieder entfernen zu lassen?
Wie oft wurde der Yasukuni-Schrein in Japan seit 1971 von Angehörigen der Bundesregierung und untergeordneter Ministerien und Behörden in offizieller Funktion besucht?
Die Antwort der Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, vom 22. April 2010 lautet:
Zur Zeit der Pflanzung der Eiche und Anbringung der Gedenktafel stand der Schrein... nicht im Mittelpunkt politischer Aufmerksamkeit... Ein Missverständnis dergestalt, dass der Kriegsverbrecher gedacht würde, ist damit (vom Wortlaut auf der Gedenktafel her E.K.) eindeutig ausgeschlossen. Das Fällen der 40 Jahre alten Eiche und Entfernen der Gedenktafel würde in Japan nicht verstanden und erhebliche Irritationen auslösen.
Über Besuche von deutscher Seite liegen der Bundesregierung für den gesamten Zeitraum ab 1971 keine abschließenden Informationen vor. In jüngerer Zeit war der Schrein nie Teil offizieller Besuchsprogramme.
Diese Vorbei ist vorbei-Antwort finde ich müßig und faul. Denn der Yasukuni-Schrein propagiert heute noch immer wieder die
Freundschaft, die der Yasukuni-Gingko und die deutsche Eiche pflegen[16]. Damit ist die gestiftete Friedenseiche (Piper) zum kolonialistisch-imperlialistischen Geschichtsrevisionismus mißbraucht. Bewußt oder unbewußt besuchte z.B. der ehemalige Militärattaché Hans-Joachim Krug im Oktober 1987 den Yasukuni-Schrein und vertiefte damit die alte Freundschaft[17].

Wenn man auf dem Standpunkt steht, dass das kritische Geschichtsbewußtsein, national wie transnational, zur demokratischen politischen Kultur und Lebenspraxis beiträgt, sollte man sich mit dem menschenfeindlichen Denken des Rechtes des Stärkeren eines auserwählten Volkes auseinandersetzen. Die damalige Waffenbrüderschaft zu preisen impliziert im heutigen Kontext letzten Endes nichts als die Bereitschaft, den Feind mit Gewaltanwendung zu bekämpfen. Yasukuni hin Yasukuni her, die (quasi-)staatliche Sinnstiftung für die toten Soldaten fördert die Spirale der Gewalt.


Schlußbetrachtungen

Die Vereigten Nationen wurden

 

gegründet, um künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat[18]. Am 22. November 2004 hat die Generalversammlung das Gedenken an den sechzigsten Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs beschlossen[19]. Mit dieser Resolution 59/26 haben die Vereingten Nationen den 8. und 9. Mai zu Tagen des Gedenkens und der Versöhnung erklärt und alle Menschen gebeten, jedes Jahr zu Ehren aller Opfer des Zweiten Weltkriegs entweder einen oder beide Tage in gebührender Weise zu begehen. Obwohl der Zweite Weltkrieg offiziell mit Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde durch das Großjapanische Kaiserreich am 2. September 1945 endete, gilt die Ehrung am 8. und 9. Mai auch für die Kriegsopfer in Asien. Die Bekämpfung des Faschismus und Militarismus hat also den Weg zur Aussöhnung, zur internationalen und regionalen Zusammenarbeit und zur Förderung der demokratischen Werte, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten bereitet.
Natürlich widerspricht der Yasukuni-Schrein diesem Grundprinzip der internationalen Gemeinschaft. Die Tatsache, dass mehr als 5 Millionen Menschen jährlich diesen Schrein besuchen, zeigt, wie zäh die nationalistisch-imperialistische Ideologie bei der japanischen  Bevölkerung fortbesteht. Das ist für die politische Kultur in Japan und den Frieden in Ostasien sehr bedenklich. Aber auch in Deutschland, das oft als Musterschüler von Vergangenheitsbewältigung betrachtet wird, wird heute darauf hingewirkt, die Tapferkeit im Krieg zu loben und die Gefallenen zu verehren.

Krieg ist die ultimative Diskriminierung. Die Gewaltanwendung bedeutet letzten Endes die Verleugnung der Würde des Menschen. Haben nicht Deutschland wie Japan vor 65 Jahren geschworen Nie wieder Krieg? Die Politik, Frieden mit Gewalt schaffen zu wollen, muß zurückgenommen werden.



Anmerkungen

[1] Am 17. April 1895 war Taiwan von Japan kolonialisiert worden. [2] Zuerst hieß- er Tôkyô Shôkonsha (Tokioter Schrein zum Herbeirufen der Totengeister). 1879 wurde er in Yasukuni-Schrein umbenannt. [3] Oft wird der japanische Tennô als Kaiser übersetzt. Das ist irreführend. Laut dem shintoistischen Glauben soll er der legitime Nachkomme der Sonnengottheit Amaterasu sein. Das europäische Gottesgnadentum beinhaltete die Legitimation eines Königs oder eines Kaisers durch den Willen Gottes. [4] Rudolf Höss, Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen, herausgegeben von Martin Broszat, Ungekürzte Ausgabe, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1963, S.124f. [5] Albert Speer, Erinnerungen, Berlin: Propyläen, 1969, S.109f. [6] Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941-1942, hrsg. von Percy Ernst Schramm in Zusammenarbeit mit Andreas Hillgruber und Martin Vogt, 2. Auflage, Stuttgart: Seewald, 1965, S.245. [7] Ebenda, S.266. [8] Adolf Hitler, Monologe im Führer-Hauptquartier 1941-1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, hrsg. von Werner Jochmann, Hamburg: Albrecht Knaus, 1980, S.174. [9] Hitlers politisches Testament : Die Bormann Diktate vom Februar und April 1945 / mit einem Essay von Hugh R. Trevor-Roper und einem Nachwort von André François-Poncet, Hamburg: A. Knaus, 1981, S.91-94. [10] Das Urteil soll am 26. Oktober 2010 gesprochen werden. [11] Asahi-Shimbun, 25.7.2006. [12] Ebenda, 23.8.2006. Allerdings wünschten sich 47% der Befragten, dass der nächste Ministerpräsident nicht den Yasukuni-Schrein besucht, während 31% von ihm einen weiteren offiziellen Yasukuni-Besuch verlangte. [13] Das ethnonationalistisch-imperialistische Geschichtsverständnis zeigt das neben dem Schrein stehende Kriegsmuseum Yûshûkan ganz deutlich. [14] Das Marine-Ehrenmal in Laboe. Für die Ewigkeit, zeitlos, klar..., Hamburg 2004, S.105. [15] Thorsten Prange, Das Marine-Ehrenmal in Laboe. Geschichte eines deutschen Nationalsymbols, Wilhelmshaven [1996], S.159. Der Verfasser macht einen Schreibfehler Botschfter Ushida. [16] Yasukuni no Inori (=Gebet von Yasukuni), Tokio 1999, S.222. [17] Yasukuni, 1. Dezember 1987, S.2. [18] Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 [19] http://www.un.org/depts/german/gv-59/band1/ar59026.pdf