Perspektivwechsel — Erfahrungen an der Missionsakademie Hamburg
Von 2016 bis 2022 hatte ich die Gelegenheit, als Studienleiter aus China an der Missionsakademie in Hamburg (MA) zu arbeiten. In unsere Bildungsarbeit konnte ich Beiträge über den sozialen, kulturellen und religiösen Kontext in China einbringen und mit vielen Gruppen Tagungen und Kurse durchführen. Durch die Arbeit an der MA habe ich viele wunderbare Menschen getroffen. Die Begegnungen mit ihnen erweiterten meinen Horizont und vertieften meine theologischen Kenntnisse.
Von Beruf vs. von Gott berufen
Die Religionszugehörigkeit in Deutschland ist eine private Angelegenheit. In China jedoch sehen Christ*innen es als ihre Berufung an, das Wort Gottes und ihre eigene Glaubenserfahrung mit anderen zu teilen. Das Wachstum der Kirche basiert auf dieser Art von Evangelisation.
Theologische Ausbildung gibt es in Deutschland seit Jahrhunderten, in China dagegen steht sie erst am Anfang. In Deutschland sind Theolog*innen, gut ausgebildete Wissenschaftler*innen. In China jedoch wird Wert darauf gelegt, dass alle Studierenden an theologischen Seminaren eine deutliche und klare Berufung als Nachfolger*innen Christi haben. In einer Situation, in der kirchliche Aktivitäten auf den semiöffentlichen Raum innerhalb der eigenen Gebäude beschränkt sind, ist die Kommunikation von Mensch zu Mensch von entscheidender Bedeutung.
Fortbildung: Realität vs. Unwirklichkeit
In China kommt eine ordinierte Pastor*in auf etwa zehntausend Gläubige (1:10.000). Die Verantwortung für Gottesdienst, Predigt, Beratung, Kirchenleitung usw. nimmt ihre ganze Zeit in Anspruch, so dass sie neben der Gemeindearbeit kaum Zeit und Gelegenheit haben, an einer Fortbildung teilzunehmen. In Pastorenkonventen werden biblische und spirituelle Themen behandelt, politische gesellschaftliche Themen spielen dagegen noch keine große Rolle. Pastor*innen in China haben kaum Urlaub und ihnen mangelt es sogar an Gelegenheiten zur Fortbildung. Das stellt ein Paradox und sogar einen Teufelskreis dar.
Die MA als Vorbild unter den theologischen Ausbildungsinstituten in Deutschland
Als Christ*innen glauben wir an die Gemeinschaft in Christus. Die Kirche und kirchliche Organisationen sind die Familie in Christus. Theologieprofessor*innen in Deutschland sind nach Promotion und Habilitation wunderbare Akademiker*innen und können gute akademische Begleitung anbieten. Aber nach meiner Beobachtung mangelt es insgesamt an persönlicher spiritueller Begleitung.
An der Missionsakademie leben wunderbare Stipendiat*innen aus unterschiedlichen Ländern mit verschiedensten kulturellen Hintergründen. Wir treffen uns regelmäßig und diskutieren dabei nicht nur theologische Themen, sondern auch viele andere aktuelle Themen in der Welt. Die theologische Aus- und Fortbildung der MA erweist sich so als eine Brücke zwischen der theologischen Ausbildung in Deutschland und in anderen Ländern.
Mehr zur Missionsakademie unter: missionsakademie.de
Dr. Ruomin LIU, Mitarbeiter am Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit