Nachruf der DOAM für Lutz Drescher
Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. (Joh. 1, 16)
(Wochenspruch über der Woche vom 14.-20. Januar 2024)
Die Nachricht vom Tod Lutz Dreschers am 17. Januar 2024 hat uns tief getroffen. Wir wussten zwar von seiner langen, schweren Krankheit und erlebten, wie sich sein Zustand mit jedem Infekt immer weiter verschlechterte. Aber trotzdem, nach einem „Urlaub“ von seinen Ehrenämtern über Weihnachten, ging es ihm jetzt gerade wieder vergleichsweise gut. Er hatte das neue Jahr mit so viel Hoffnung begonnen, zielstrebig und gewissenhaft plante er mit unserer kleinen Gruppe ein neues Projekt weiter, sogar einen Termin für die nächste online-Beratung hatten wir schon ausgemacht.
Anfang Dezember durfte Lutz noch seinen 70. Geburtstag feiern, was er – nach einigem Zureden - dann auch ausgiebig und voller Freude getan hat. Gerechnet hatte er nicht damit, dass er einmal 70 werden würde, es kaum zu hoffen gewagt.
Lutz war ein geselliger und fröhlicher Mensch, der gern seine vielen Kontakte intensiv pflegte, vor allem nach Korea, sich mit Freunden traf und sich auch in Freiburg immer über Besuch freute, bis Anfang Januar noch, denn selbst zu reisen ging nicht mehr. Dorthin, in seine Heimat und in die Nähe seiner Schwester, war er im Ruhestand gezogen. Dass sie so bald starb, hat ihn sehr getroffen.
Mit Lutz Drescher ist - nach Paul Schneiss vor zwei Jahren – wieder einer der wenigen ökumenischen Langzeit-Mitarbeitenden in Ostasien gegangen. Mit seiner hohen interkulturellen Kompetenz, seinem großen Erfahrungsschatz und einem weiten Geflecht von Beziehungen hinterlässt er eine große, schmerzhafte Lücke, besonders in der Deutschen Ostasienmission (DOAM). Sein unermüdliches, solidarisches Eintreten für die Sache der Armen und Ausgegrenzten (Minjung), für Menschenrechte und für Frieden und Versöhnung insbesondere auf der koreanischen Halbinsel bei der Demokratiebewegung und all die Jahre danach haben viele Menschen in Deutschland, Korea und Japan und nicht zuletzt die DOAM selbst sehr bereichert und geprägt. Für diese jahrzehntelange wichtige Arbeit verlieh die Deutsch-Koreanische Gesellschaft ihm zusammen mit Paul Schneiss im Oktober 2021 den renommierten Mirok Li-Preis.
Lutz Drescher arbeitete von 2001 - 2016 in der EMS (anfangs „Ev. Missionswerk in Südwestdeutschland“, seit 2012 „Ev. Mission in Solidarität“) als Verbindungsreferent für Ostasien sowie ab 2006 zusätzlich für Indien. Während dieser Zeit unternahm er zahlreiche Reisen nach Asien u.a. auch nach Nordkorea und wurde so ein wichtiger Brückenbauer. Er war auch zuständig für das interreligiöse Studienprogramm in Japan. Der interreligiöse Dialog „im tiefen Respekt vor dem Glauben der Anderen“ (LD) war ihm immer ganz wichtig. Während seiner Zeit in der EMS war Lutz außerdem über viele Jahre Geschäftsführer der DOAM. Mit Beginn des Ruhestands übernahm er von 2017 - 2020 den Vorsitz der DOAM, auf eigenen Wunsch allerdings nur für drei Jahre. Die jahrelangen Mehrfachbelastungen, vor allem nach der Zusammenlegung der beiden Referate Ostasien und Indien in der EMS, hatten seiner Gesundheit sehr zugesetzt. Er wurde dann zum Ehrenvorsitzenden gewählt. Ich persönlich verdanke ihm viel, hat er mich doch sehr ermutigt, für den Vorsitz zu kandidieren, und mich immer mit Rat und Gebet begleitet und gestärkt.
Seine Beziehungen nach Südkorea begannen schon viel früher. Während seiner Zeit als Gemeindediakon in Offenburg 1981 – 1986 arbeitete er mit dem damaligen ökumenischen Mitarbeiter Pfr. KIM Won Bae intensiv zusammen. Von 1986 - 1995 war er dann selbst als ökumenischer Mitarbeiter in der Presbyterian Church in the Republic of Korea (PROK) im Auftrag des EMS tätig. Auf der einen Seite arbeitete er in einer Minjunggemeinde in einem Armenviertel in Seoul, was ihn für sein Leben geprägt hat. Auf der anderen Seite hatte er die Aufgabe, zwischen den Kulturen zu vermitteln. Beides lag ihm sehr und er entwickelte ein großes Verständnis und schaffte Voraussetzungen für Dialogfähigkeit. Dies kam aus seiner Haltung „Ich bin gekommen, weil ich von Euch lernen möchte“, wie er selbst sagte. Diesen Gedanken hat er für sich gelebt, täglich. Seine tiefe Spiritualität, geprägt durch Zeiten in Indien und in Taizé, ließ dabei immer wieder Glaube und Handeln zu einer Einheit verschmelzen.
Nach Deutschland zurückgekehrt begann er mit über 40 Jahren nebenbei noch ein Aufbaustudium Diakoniewissenschaft an der Universität Heidelberg, das er 1999 mit der Arbeit „Eine tieferes Lernen als das des Verstandes – zum Zusammenhang zwischen ökumenischem und diakonischem Lernen“ als Diplomdiakoniewissenschaftler abschloss. Er hat immer wieder betont, wie wichtig ihm dieses Studium war und wie viel er dadurch gelernt hat. So blieb er auch Zeit seines Lebens ein Lernender, voller Freude und Wissbegierde und stets mit offenen Ohren für sein Gegenüber.
Was würde Lutz wohl heute zu uns sagen?
Ich möchte ihn zum Schluss selbst zu Wort kommen lassen. In seinem letzten Weihnachtsbrief schrieb er: „Wir hoffen, dass die Friedensbotschaft uns Herz und Geist erfüllt. Wir wollen sie gerne verbreiten. Ja wir sind auch bereit, sie so zu verkörpern, wie es Jesus getan hat. In seine Fußstapfen wollen wir treten und selbst zu Friedensboten werden.“ Und Anfang des neuen Jahres: „Wie leere Seiten liegen die 365 Tage dieses neuen Jahres vor uns. Womit werden sie am Ende jedes dieser Tage erfüllt sein? Ich hoffe, dass wir auf jeder Seite Spuren der Hoffnung und des Vertrauens und der Dankbarkeit finden.“
Das wünsche auch ich uns allen trotz der großen Traurigkeit jetzt.
Wie es der anfangs zitierte Wochenspruch sagt, so fühlte sich Lutz immer als Beschenkter, der aus der Gnade Gottes leben und wirken darf. Gott lasse ihn im Frieden ruhen, den er ersehnt hat, und sei bei uns und segne uns in unserem Tun des Gerechten.
Carola Hoffmann-Richter,
für den Vorstand der Deutschen Ostasienmission