14. August 2012

Dienstag, 14. August

Besuch bei der Witwe von Präsident KIM Dae-Jung

Für den Dienstag ist vorgesehen, dass ich den Parlamentarier CHUNG Dong-Young in meinem Hotel treffe, anschließend zum KNCC fahre, um mit dem Generalsekretär der PROK zu Mittag zu essen, dann noch dem Generalsekretär des KNCC KIM Young-Joo (und Pfrin CHAE Hae-Won) meine Aufwartung mache und schließlich die Witwe von Präsident KIM Dae Jung aufsuche. Dort werde ich auch Prof. Dr. KIM Sung-Jae treffen, den Direktor der KIM Dae-Jung Library und Vorsitzenden der Stiftung Aunae, mit der es die diakonia-Schwesternschaft zu tun hat. Ich berichte heute nur von dem letzten Teil

Es wird immer schwieriger, meine Termine unter einen Hut zu bringen. Viele Freunde muss ich mit einem kurzen Grüßen am Telefon zufriedenstellen oder auf spätere Zeiten verströsten. Auch beim Termin mit Frau LEE Hi-Ho habe ich dieses Problem, kann aber glücklicherweise andere Termine verschieben. So begegnen wir uns nach drei Jahren wieder, diesmal in der Privatwohnung und nicht in der Library, die gleich nebenan erbaut wurde. Damals, im Jahre 2009, war der Präsident KIM Dae-Jung gerade gestorben und wir (Dorothea Schweizer war meines Wissens auch dabei) machten den Besuch, um unserer Trauer Ausdruck zu geben. Diesmal also im Haus nebenan, das ich seit 1973 oder 1974 kenne. Ich erkenne die Strasse wieder, auch der Eingang ist noch an derselben Stelle. Die Mauer ums Grundstück und die Eingangstore sind erneuert, geblieben ist auch die Polizei vor dem Haus – allerdings mit neuem Auftrag. Die Besucher werden nicht mehr abgewimmelt, weggeschickt oder –gescheucht, Maschinenpistolen sind unsichtbar, wir werden sogar freundlich gegrüßt. Schon weil uns der Direktor der Library, Prof. Dr. KIM Sun-Jae, begleitet. So kann auch an dieser Ecke leicht begriffen werden, dass Demokratie in Südkorea eingekehrt ist.

Wir gehen durch den hübsch angelegten Garten zum Haus, die slipper stehen schon bereit, wir werden durch den Gang geschleust, keine großzügige Eingangshalle, sondern ein bescheidener Gang wie er immer war, ins Empfangszimmer von KIM Dae-Jung. Wer saß nicht alles schon hier: Präsident Carter und Bundespräsident Richard von Weizsäcker, viele seiner koreanischen Freunde (mancher davon war auch unser Freund), künftige oder ehemalige politische Gefangene. Vielleicht sind alle ihre Namen in den Archiven der Library zu finden. Zwischen Frau LEE und mir der Übersetzer, mir gegenüber Prof. KIM und ein Mitarbeiter von Frau LEE, und ein Fotograf. Der Stuhl am Kopf der Runde, auf der linken Seite von Frau LEE, bleibt leer. Tee mit kühlendem Eis wird serviert. Die erste Überraschung besteht darin, dass Frau LEE langsam aber aufrecht durch die Türe tritt und gleich auf mich zukommt. Ich hatte gehört, dass sie im Rollstuhl sitze. Aber das trifft nur auf längere Strecken zu. Die nächste Überraschung ist, dass sie nach meiner Frau fragt (der Japanerin, die KIM Dae-Jung bei einem Abendessen zur Koreanerin erklärt hat) und ob sie nicht dabei sei und warum. Frau LEE ist 91 Jahre alt, kennt die alten Beziehungen noch, freut sich, als wir auf die Demos zu sprechen kommen und fragt nach den Schals, die damals weltweit verteilt wurden, um an den Kampf der Frauen für Demokratie in Südkorea zu erinnern. Wir haben und benützen noch solche Schals, meine Frau und unsere Tochter. Die 70er und 80er Jahre sind noch nicht sooo lange her.

Wir kommen auf die Gesundheit zu sprechen: ob Kiyoko gesund sei, ob wir alle gesund seien. Sie selber hatte Hüft- und Knieprobleme. Aber alles wurde in Ordnung gebracht. Es gehe ihr gut. Es ist kein Thema, auf das wir viel Zeit verwenden. Ich berichte dann in Kürze, was ich bis jetzt getan habe: Kiyoko und ich in Japan mit Renate und Fernando, dann blieb ich noch eine Woche in Fukushima. Von dort direkt nach Chejudo und Gangjeong, die Hafenkonstruktion gesehen und mich gefragt, ob das wirklich dem Frieden in Ostasien dient. In Mokpo die diakonia besucht und anschließend Frau AHN Sun-Rae in Kwangju. In Seoul blieben nur noch zwei Tage: am letzten Tag ginge ich zur Demo für die sog. Trostfrauen. Dann die Weiterreise nach China, genauer Qingdao. Die Reise interessiert sie, nicht aber die Politik. „Politik ist mir nicht mehr wichtig". Aber ein Besuch von LEE Hae Dong und seiner Frau (vor zwei Tagen zuletzt hier gewesen; LEE war mit KIM Dae-Jung angeklagt, hat seine Kirche den Haftentlassenen zur Verfügung gestellt, später war er dann Pfarrer in Frankfurt. Seine Frau war die jüngste in dem Kreis und hat immer an alles und an alle gedacht) tut ihr gut. In diesem Sinne schickt sie auch die Grüße nach Heidelberg. LEE Hi-Ho, die nun altgewordene Dame an der Seite von KIM Dae-Jun – sie ist das immer noch, denke ich, als wir uns verabschieden und sie mit uns an die Haustüre gehen will. Davon aber haben sie ihre Hausgenossen abgehalten, der Weg wäre zu weit gewesen.

Mit KIM Sung-Jae schauen wir uns noch die August-Ausstellung in der Library an: KIM Dae-Jungs Kalligraphie. Ich verstehe nichts davon, sehe aber die Schönheit der Zeichen und erkenne viele chin. Zeichen und deren Bedeutung: „Respekt gegenüber dem Himmel und Friede bei den Menschen". Es klingt hier fast nach der Weihnachtsbotschaft der Engel. Friede ist im Hause KIM eingezogen.

Ein paar Schritte weiter öffnet sich die Türe zum Arbeitszimmer des Direktors, KIM Sung Jae. Unser Gespräch wird zur Arbeitssitzung. Die Diakonia in Mokpo und Chonan ist der Ausgangspunkt. Ich berichte, was ich in Mokpo gesehen und erlebt habe, von den von der Stadt zu finanzierenden Erweiterungsplänen, von der Erweiterung des Aufenthaltsraumes. Und dass ich darüber bereits an Hartmut Albruschat, den DOAM-Vorsitzenden, berichtet habe. Dann frage ich nach Chonan und den dortigen diakonia-Schwestern, die in der letzten Zeit viel Krankheit erlebt haben. Eine der Schwestern dort hat Krebs. Und da seit vielen Jahren die Last der nun auch alt gewordenen Häuser, deren Verwaltung und vor allem die Schulden, die auf dem ganzen Anwesen lasten. Schon von Anfang an (1990) gab es diese riesige Belastung, kein Wirtschaftsplan für Chonan konnte diese Schulden bei der Bank abtragen. Die Fehler lagen bereits im Anfang, als AHN Byung-Mu in den USA im Krankenhaus lag und die Mitarbeiter in Chonan, die keinen Überblick hatten, die Entscheidungen treffen mussten. Und die deutschen Beziehungen halfen in dieser Situation nicht. Im Mai 1996 waren die Bauten fertig gestellt, Dorothea Schweizer, Hartmut Albruschat und ich haben an den Einweihungsfeiern teilgenommen. Die Schulden haben wir nicht übernommen. Sie lasten noch heute auf den Häusern – und auf den Schwestern. Da ist es nach allem verständlich, wenn die Schwestern müde und krank werden und nach neuen Lösungen suchen. Es gibt für alles eine Zeit, so sagt der Prediger (Kap.3) im Alten Testament. Vielleicht hat Chonan seinen Zweck erfüllt, so dass jetzt Zeit ist, Abschied zu nehmen. Die Schwestern jedenfalls können sich vorstellen, ganz nach Mokpo umzuziehen. Etwas weit weg von Seoul, dafür aber beisammen und anerkannt bei Stadt und Land Mokpo. Ich finde diesen Gedanken sinnvoll und fruchtbar für die Zukunft der Schwesternschaft.

Was aber wird dann aus dem Berg, auf dem die Häuser stehen? Schon vor vielen Jahren ist die Verlagsarbeit wieder nach Seoul umgezogen, wo sie in der Nähe des Präsidentenpalastes ein Dach gefunden hat. Die Arbeit selber ist sehr stark zurückgegangen. Jährlich werden nur noch zwei theologische Bücher verlegt, keine Übersetzungen mehr, sondern Werke koreanischer zeitgenössischer Theologen. Die Regierung anerkennt keine reine Übersetzungsarbeit, koreanische Autoren allein sollen zu Wort kommen. Hinzu kommt, dass die Forderung nach nicht-konservativer theologischer Literatur seit Jahren stark im Rückgang begriffen ist. Bücher mit liberaler Ausrichtung werden kaum gekauft. Das Korean Theological Study Institute kann mehr auch gar nicht leisten. Die Regierung verlangt auch, dass Studenten die Werke ihrer Lehrer kaufen. Damit werden auch kaum mehr Bücher ins Koreanische übersetzt.

Das Magazin (4 x Jahr) „Theological Thought" erscheint nach wie vor. Auch hier greifen die Vorgaben der Regierung. Glücklicherweise hat das KTSI schon lange die notwendigen Genehmigungen. Aber jeder Artikel, der veröffentlicht wird, muss von drei kritischen Äußerungen zum Thema begleitet werden. Das funktioniert und Shinhaku Sasang gibt es immer noch, ist nach wie vor defizitär.

Ich erzähle von den Erfahrungen und künftigen Plänen in Tomisaka, von der vollständigen Übergabe an die japanischen Freunde und den fehlenden Finanzmitteln, um die frühere umfangreiche Arbeit aufrecht zu erhalten. KIM ist auch nicht bereit, mehr konservative Literatur zu drucken, um das Magazin und den Verlag am Leben zu erhalten. Dafür gibt es genügend andere Verlage. So kam KIM zu der Überlegung, das ganze Grundstück mit den Häusern und der Arbeit an die PROK abzugeben. Diese hat die Beratungen aufgenommen, obwohl sie eigentlich bereits über genügend Einrichtungen verfügt. KIMs einzige Bedingung: der Vorstand muss weiterhin ökumenisch zusammengesetzt sein, da dies das besondere Merkmal des KTSI darstellt. – Gilt auch hier, dass alles seine Zeit hat? Es ist noch nicht heraus, wie die PROK sich entscheiden wird. Aber es könnte gut sein, dass die Zeit des KTSI zu Ende geht. Seine Notwendigkeit gab es zur Zeit der Militärdiktatur mit dem Aufbruch zur Demokratie und dem Kampf um die Menschenrechte. Die Existenz des KTSI, seine theologische Arbeit über Konfessionsgrenzen hinweg, seine Einbeziehung der Gesellschaftsprobleme in die theologische und kirchliche Auseinandersetzung haben ihre Wirkung gehabt und sind aus der Geschichte Südkoreas gar nicht wegzudenken. Aber die neue Zeit verlangt vielleicht nach grundsätzlichem Umdenken und nach neuer Orientierung, auch beim KTSI.