2015: Japan am Energie-Scheideweg

Radioaktivität - Atomkraft 
Quelle:  "Energie Zukunft"
http://www.energiezukunft.eu/ueber-den-tellerrand/japan-am-energie-scheideweg-gn103704/

Japan am Energie-Scheideweg



Japan steht am Scheideweg zwischen der Kraft der Sonne und der Macht des Faktischen. Viereinhalb Jahre nach Fukushima stehen die Zeichen auf Grün – für die Energiewende und den Ausstieg aus der Atomenergie. Eigentlich. Doch nach neuen Meldungen sollen nun doch wieder Atommeiler ans Netz gehen.

13.11.2015 – Zu mächtig sind Japans Stromkonzerne, und zu langsam schreitet der Ausbau der Erneuerbaren Energien, insbesondere der Solarenergie, voran. Und doch hat das Land aufgrund der hohen Tsunami-Gefährdung keine Wahl. Welche Herausforderungen Japan jetzt meistern muss, und wie der Solarmarkt im Land der Aufgehenden Sonne funktioniert, weiß ausgerechnet ein deutsches Unternehmen. Der Projektentwickler hep capital war als einer der ersten Ausländer auf dem japanischen Solarmarkt aktiv. Das Unternehmen hat bisher vierzehn Solarprojekte mit einer installierten Leistung von insgesamt rund 60 Megawatt initiiert. Vorstandchef Thorsten Eitle ist ein Marktkenner, der im Solargeschäft Japans selbst aktiv mitmischt.

„Im Moment ist Japan derzeit energiepolitisch eine gespaltene Nation“, so Thorsten Eitle. Der Unternehmer und Projektentwickler aus dem schwäbischen Heilbronn führt seit Jahren Gespräche in Japan – nicht nur mit Entscheidungsträgern japanischer Ministerien und den Stromkonzernen, sondern mit Mitgliedern japanischer Familienunternehmen. „Vor allem dort erfährt man, wie die Dinge wirklich liegen“, sagt Eitle. Den Bürgern habe sich der Fukushima-Gau tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, doch die Stromkonzerne seien daran interessiert, den Status Quo zu erhalten. Es komme jetzt entscheidend darauf an, wie konsequent die Politik in Japan - dem Land mit dem drittgrößten Stromverbrauch der Welt – die Energiewende vorantreiben wird.

Angst vor dem nächsten Beben

Dabei spricht die schiere Notwendigkeit für einen Ausbau der Erneuerbaren Energien. „Darüber sind sich die Wissenschaftler weitgehend einig“, sagt Eitle. „Der Streit dreht sich hauptsächlich darum, wieviel Zeit den Japanern noch bleibt.“ Beispielsweise prognostiziert die Regierungszentrale zur Förderung der Erdbebenforschung ein Erdbeben der Stärke 7 in der Region Tokio mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent innerhalb der nächsten 30 Jahre. Doch es gibt auch weniger optimistische Szenarios. Die Universität Tokio erwartet mit derselben Wahrscheinlichkeit ein Beben innerhalb der nächsten vier Jahre, und damit eine akute Gefährdung der bis dahin nicht stillgelegten Atomkraftwerke.

Ein kurzer Blick zurück: Vor 2011 waren in Japan 57 Reaktoren, auf 17 Standorten verteilt, am Netz und deckten 30 Prozent des Strombedarfs ab. Mittlerweile sind alle momentan abgeschaltet, bis auf zwei Anlagen. Japan behilft sich gegenwärtig mit fossilen Brennstoffen, vor allem mit dem Betrieb museumsreifer Kohlekraftwerke oder sehr teuren Gaskraftwerken. Gegen diese Energiequellen spricht – neben den hohen Kosten und der Abhängigkeit Japans von Importen – der damit verbundene, ungeheure CO2-Ausstoß. Letzteren wollen die Japaner ja gerade bis zum Jahr 2030 um 500 Millionen Tonnen reduzieren.

Mehr PV für das Land der aufgehenden Sonne

Die einzige Alternative für Japans zukünftige Energieversorgung stellen Erneuerbare Energien dar. Insgesamt sieht der Energieplan Japans einen Anteil der Erneuerbaren Energien an der japanischen Stromerzeugung von weit mehr als 20 Prozent in den nächsten Jahren vor. „Der Gewinner bei der Energiewende wird die Photovoltaik sein“, ist Eitle überzeugt. Die Investitionspläne der Regierung geben ihm Recht: Bis zum Jahr 2020 sollen Investitionen in Höhe von 225 Mrd. Euro in den Ausbau Erneuerbarer Energien fließen, 85 Prozent davon in die Solarenergie. Der Energieplan sieht vor, dass bis 2020 PV-Anlagen mit einer Nennleistung von 28 Gigawatt (GW) installiert sind; bis 2030 sollen es sogar 53 GW sein. Bereits jetzt hat die Regierung nach Aussage Eitles Anlagen im Umfang von 39 Gigawatt genehmigt. „Das ist ungefähr so viel wie zurzeit in Deutschland installiert ist. Die Bevorzugung der Photovoltaik macht aufgrund der besonderen Gegebenheiten vor Ort auch Sinn. Im Landesdurchschnitt strahlt die Sonne in Japan um 30 Prozent stärker als beispielsweise bei uns in Deutschland.“

Wird Japan künftig ganz ohne Atomenergie auskommen? Nicht ganz, meint Eitle. „Aber die Atomkraft wird aus meiner Sicht mittelfristig einen wesentlich geringeren Stellenwert einnehmen. Alle wissen, dass ein Super-Gau im Großraum Tokio das Land ruinieren kann. Eine Evakuierung der dort lebenden 30 Millionen Menschen wäre nicht nur eine menschliche Katastrophe, sondern eine ungeheure Wertevernichtung mit unvorstellbaren Folgen für die japanische Wirtschaft.“

Tempo gefragt

Jetzt kommt es darauf an, die Projekte schnell umzusetzen. Von den genehmigten 39 Gigawatt installierter Leistung ist nach Aussage Eitles erst ein Bruchteil realisiert, doch in den Markt sei jetzt massiv Bewegung gekommen. „Das japanische Erneuerbare Energien Gesetz ist zwar schon Mitte 2012 in Kraft getreten, aber erst kürzlich haben die institutionellen Investoren den Solarmarkt in Japan so richtig für sich entdeckt. Mittlerweile sehen wir dort alles, was Rang und Namen hat - von Family Offices über Bauunternehmen bis zu großen Versicherungskonzernen. Auch viele deutsche Häuser sind dabei.“

Nicht ohne Grund, denn in Sachen Energiewende will Japan von deutschen Erfahrungen profitieren. Beispielsweise orientiert sich das japanische Einspeisegesetz am deutschen EEG, u.a. bei der Struktur des Vergütungssystems und bei der bevorzugten Einspeisung Erneuerbarer Energien in die Stromnetze. Künftig soll der Ausbau schneller vorangehen. „Seit 2014 werden Genehmigungen zum Betrieb von PV-Anlagen nur noch mit Fristen vergeben“, erläutert Thorsten Eitle. „Werden die Parks nicht bis zu einem bestimmten Termin in Betrieb genommen, verfallen die Genehmigungen. Das ist ein richtiger und längst überfälliger Schritt, weil die Energiewende endlich zügiger vorankommt.“

Noch viele Hürden sind zu überwinden

So sehr Japan von ausländischen Erfahrungen profitiert, so schwierig ist es für Nicht-Japaner, auf dem japanischen Solarmarkt Fuß zu fassen. Die Herausforderungen sind breit gefächert und reichen vom Grundstückserwerb über die Einholung der Baugenehmigung bis zur Errichtung und dem Betrieb von Photovoltaikanlagen. „Eine unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen sind gute Geschäftsverbindungen zu einheimischen Marktteilnehmern, insbesondere japanischen Energie- und Bauunternehmen sowie einheimischen Projektentwicklern. In geschäftlichen Angelegenheiten haben Japaner ungern ausschließlich mit Ausländern zu tun, und der Solarmarkt in Japan bildet diesbezüglich keine Ausnahme. Es geht dabei weniger um die Sprachbarriere, sondern um kulturelle Unterschiede“, erläutert Eitle. „Nur Empfehlungen, die von Japanern stammen, werden in Japan wirklich ernst genommen und öffnen Türen. Aus diesem Grund haben wir frühzeitig begonnen, strategische Partnerschaften mit japanischen Unternehmen einzugehen. Außerdem haben wir Firmen vor Ort gegründet, in denen japanische Ingenieure und Techniker arbeiten, damit die Dinge auch auf der Arbeitsebene reibungslos funktionieren.“

Ohne ein breit gefächertes Netzwerk sei es inzwischen nicht mehr möglich, attraktiv gepreiste Grundstücke zu erwerben, die sich für den Bau einer Photovoltaikanlage eignen. Während die Sonneneinstrahlung in Japan eine attraktive Grundvoraussetzung für den Ausbau der Solarenergie bildet, ist dies bei der japanischen Topografie nicht der Fall. „Das Land ist an vielen Stellen ausgesprochen bergig und hügelig“, so Eitle. „Dieser Umstand erschwert die Errichtung von Solarparks, weil man das Gelände planieren muss. Uns kommt aber jetzt unsere Lernkurve der letzten Jahre zugute, durch die wir mittlerweile wissen, wie man trotz der topografischen Herausforderungen zügig und relativ kostengünstig bauen kann. Auch in dem Punkt profitieren wir natürlich von unserer lokalen Präsenz.“

Viele gute Flächen seien mittlerweile vergeben. „Viele einheimische Immobilien-Projektentwickler haben damit begonnen, selbst Solarprojekte zu initiieren, weil sie über entsprechende Flächen verfügen. Wer sich frühzeitig auf die Energiewende Japans und auf die Wettbewerbsvorteile der Photovoltaik eingestellt hat und vor Jahren begonnen hat, geeignete Grundstücke aufzukaufen, hat jetzt die Nase vorn.“

Einen Hemmschuh bildet die Zuständigkeit unterschiedlicher Ministerien. Relativ übersichtlich ist die Genehmigungsvoraussetzung für den Betrieb einer Solaranlage. Das METI, das japanische Wirtschaftsministerium, das darüber hinaus auch für die Zuweisung eines bestimmter Einspeisevergütung für die in Rede stehende Anlage zuständig ist, erteilt die Genehmigung, wenn über die gesamte Betriebszeit der Anlage von einer sicheren und effizienten Energieerzeugung auszugehen ist. Bei der Freigabe von Grundstücken für den Solarbetrieb spricht allerdings eine Reihe anderer Ministerien ein gewichtiges Wort mit. „Im Dickicht verschiedener Zuständigkeiten hat sich schon mancher Investor verfangen“, warnt Eitle. Im Solarmarkt mischten das Justiz-, Landwirtschafts-, und Umweltministerium sowie das Ministerium für Raumordnung, Infrastruktur und Transport mit.

„Freie Grundstücke für PV-Anlagen in Japan finden sich meist nur noch in den topografisch schwierigen Bergregionen oder auf Agrarflächen“, beschreibt Eitle die Situation vor Ort. Während die Bergregionen technische Schwierigkeiten bereiteten, sei im Falle von Agrarland eine Ausnahmegenehmigung des Landwirtschaftsausschusses erforderlich. „Die nur unter großen Schwierigkeiten erteilt wird“ sagt Eitle. „In Japan ist eine Umwandlung von Agrarland nämlich prinzipiell verboten.“
Claudia Vogl-Mühlhaus












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