2014: Den Krieg als Mittel der Politik ächten

Evangelische Landeskirche in Baden

Dietrich Becker-Hinrichs:
Den Krieg als Mittel der Politik ächten

Friedensethische Reflexionen zum Diskussionsbeitrag aus der Evangelischen Landeskirche in Baden
Beitrag für die badischen Pfarrvereinsblätter 3/4 2014

Nachdem in der ersten Ausgabe der badischen Pfarrvereinsblätter der friedensethische Beschluss der Landessynode von Oktober 2013 veröffentlicht wurde, möchte ich im Folgenden den Blick auf das friedensethische Diskussionspapier richten, das dem Beschluss vorausgestellt wurde. Ich möchte die Grundzüge des Diskussionspapiers aufzeigen und auch darauf hinweisen, wo es von der EKD Friedensdenkschrift abweicht und in welcher Richtung die Diskussion weitergehen könnte. In der Zusammenfassung der friedensethischen Ausführungen unter 2.6. des Diskussionsbeitrags heisst es1:

Carl Friedrich von Weizsäcker hatte schon 1963 erklärt: „Der Krieg als Institution muss in einer fortlaufenden Anstrengung abgeschafft werden“. Angesichts der schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges wurde sowohl von der Ökumene und von den Vereinten Nationen, als auch von der badischen Landeskirche wiederholt die Ächtung des Krieges ausgesprochen: „Krieg scheidet als Mittel der Politik aus und darf nach Gottes Willen nicht sein!“ Daher muss der Tendenz gewehrt werden, den Krieg wieder als normales Mittel der Politik anzusehen und eigene wirtschaftliche Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen. In der Konsequenz bedeutet dies, auf militärische Einsätze ganz zu verzichten.

In der Nachfolge Jesu stehen uns eine Fülle ziviler, gewaltfreier Mittel zur Verfügung, um uns national und international für gerechten Frieden einzusetzen. Als Christen sehen wir für diesen Weg alle Verheißungen. Nur so kann wirkliche Versöhnung zwischen verfeindeten Parteien wachsen.

In Ergänzung zu gewaltfreien Mitteln der Konfliktbearbeitung sind allein polizeiliche Mittel ethisch legitim. In kriminellen Konfliktsituationen, die die nationalen Polizeikräfte überfordern, ist an internationale, den Vereinten Nationen unterstehende Polizeikräfte zu denken.


Den Krieg als Mittel der Politik ächten
Die Verfasserinnen und Verfasser des Papiers haben sich bewusst für eine Formulierung entschieden, die militärische Einsätze als das bezeichnen, was sie wirklich sind: Krieg2. Im Sinne dieser Definition hat die NATO in den letzten Jahren mindestens vier Kriege geführt3, an zweien davon war auch die Bundeswehr beteiligt. Die Bilanz dieser Kriege ist desaströs. Sie haben keinen Frieden geschaffen, sondern noch mehr Schaden angerichtet. Sie haben den Terrorismus in der arabischen Welt vermehrt, statt ihn zu bekämpfen.4 Alle diese Kriege haben sich auch in gar keiner Weise an die in der EKD Friedensdenkschrift aufgestellten Bedingungen5 für den legitimen Gebrauch rechtserhaltender Gewalt gehalten.
Bevor man sich dafür entscheidet, in einem Konflikt militärisch zu intervenieren, sollte man in Ruhe folgende sieben Fragen beantworten können:

Gibt es für den Einsatz militärischer Gewalt einen hinreichenden Grund?
Sind diejenigen, die zu Gewalt greifen, dazu ausreichend legitimiert?
Verfolgen sie ein verantwortbares Ziel?
Beantworten sie ein eingetretenes Übel nicht mit einem noch größeren?
Gibt es eine vernünftige Aussicht auf Erfolg?
Wird die Verhältnismäßigkeit gewahrt?
Bleiben unschuldige Zivilpersonen verschont?

Bei der Reflexion der Kriege der letzten Jahre werden wir feststellen müssen, dass diese Fragen sträflich vernachlässigt wurden. Das Fazit nach vier Kriegen, die die NATO mitzuverantworten hat, ist ernüchternd.

Der Kosovokrieg
Der Kosovokrieg wurde geführt, um einen Völkermord zu verhindern. In Wirklichkeit haben erst die Bombardierungen der NATO Massenvertreibungen in grössem Stil ausgelöst. Durch den Einsatz der NATO wurde die Gewalt befördert, sie wurde beschleunigt, und am Ende mussten Tausen von Kosovoalbanern und Serben ihr Leben lassen.6

Der Afghanistankrieg
In Afghanistan wurden bis heute zwischen 70 – 100.000 Menschen getötet, mindestens die Hälfte darunter waren Zivilisten. Hier wurde also das siebte Kriterium, das den unbedingten Schutz von Zivilisten anmahnt, sträflich außer acht gelassen. Auch die EKD zieht in ihrer neuesten friedensethischen Studie7 ein sehr ernüchterndes Fazit des Afghanistankriegs. Sie stellt die ernste Frage, ob nicht die militärischen Mittel eine Eigendynamik entwickelt haben, die dazu geführt haben, dass das Leitbild des gerechten Friedens aus dem Zentrum des Handelns herausgerückt ist8. Sie beklagt eine Spirale der Gewalteskalation, die sich in Afghanistan entwickelt habe und bedauert, dass die zivilen Anteile des Einsatzes zu niedrig angesetzt waren. Im Gesamturteil über die Bewertung des militärischen Einsatzes ist die Kammer für öffentliche Vertantwortung gespalten. Die eine Hälfte bewertet die friedens-ethische Legitimation des Einsatzes sehr kritisch und weist auf die Diskrepanzen gegenüber der in der EKD Friedensdenkschrift formulierten Bedingungen für internationale bewaffnete Friedensmissionen hin. Der andere Teil der Kammer betont die Legitimität des Einsatzes und weist darauf hin, dass „die ursprüngliche Interventionsentscheidung durch nicht erkennbare Faktoren und Entwicklungen im laufenden Einsatz zu zuvor unvorhergesehenen und ungewollten Gewaltmaßnahmen gezwungen habe“9. Zum Irakkrieg und zum Libyenkrieg10 liesse sich ein entsprechend nüchternes Fazit ziehen.

Was folgt daraus für zukünftige Auslandseinsätze der Bundeswehr?
Das badische Diskussionspapier ruft dazu auf, die zahlreichen Auslandseinsätze der Bundeswehr kritisch zu hinterfragen. Und: „Es muss der Tendenz gewehrt werden, den Krieg wieder als normales Mittel der Politik einzusetzen und eigene wirtschaftliche Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen.“ Die Zurückhaltung gegenüber dem Nutzen von militärischen Interventionen hat auch etwas zu tun mit der Eigendynamik von Kriegen, die oftmals verkannt wird.


Kriege verlaufen immer unkalkulierbar
Kriege taugen nicht als Mittel der Politik. Entwickelt sich ein militärischer Einsatz zum Krieg (vgl. Anm. 2), dann treten Faktoren auf den Plan, die der Politik das Heft des Handelns aus der Hand nehmen. Der amerikanische Kriegsforscher Gabriel Kolko analysiert die Kriege des 20. Jahrhunderts und stellt fest: "Die Planung der Kriege in diesem Jahrhundert zeugt stets von Wunschdenken, so z.B. allein durch hohe Mobilität einen glatten Sieg zu landen oder, neuerdings, mit der Luftwaffe und modernsten Techniken "kurzen Prozeß" machen zu können: Militärstrategen haben zwar durchaus großartige Pläne gemacht, aber es kam immer ganz anders.“ “Sobald ein Krieg einmal vom Zaun gebrochen ist, beherrschen gänzlich unvorhersehbare Faktoren seinen weiteren Verlauf, was sich immer wieder aufs Neue bestätigt hat."11 Was Kolko für das 20. Jahrhundert analysiert, gilt ebenso für die Kriege der letzten 15 Jahre.

So glaubte die NATO zu Beginn des Kosovokrieges, Präsident Milosevic werde nach einem zweitätigen Bombardement nachgeben und seine Unterschrift unter den Vertrag vom Rambouillet setzen. Niemand hatte vorher das sich dann entwickelnde Szenario einer schrankenlosen Eskalation vorhergesehen: In der Luft bombardierte die NATO und am Boden wurde Tausende von Kosovo-Albanern durch serbische Milizen vertrieben und getötet. Der asymetrische Krieg zog sich noch über mehrere Wochen hin. Das politische Ziel im Vertrag von Rambouillet war es, war, einen multiethnischen Kosovo zu erhalten. Dieses Ziel wurde durch den Krieg völlig ad absurdum geführt, am Ende stand ein Ergebnis, das so zuvor niemand gewollt hatte: Ein eigenständiger Kosovo, aus dem dann Hunderttausende von Serben vertrieben wurden.

Diese Unkalkulierbarkeit und Unberechenbarkeit von Kriegen macht deutlich: Der Einsatz militärischer Gewalt erweist sich in der Tat als das Irrationalste, das es im Bereich des Politischen geben kann. Es wäre darum angemessener, von der ultima irratio des Krieges zu sprechen, als von einer ultima ratio. Sich den Einsatz militärischer Gewalt für den Fall vorzubehalten, daß alle friedlichen Versuche scheitern, kommt angesichts der Erfahrungen aus den Kriegen der letzten 15 Jahre dem Versuch gleich, ein Feuer mit Benzin zu löschen, wenn alle anderen Versuche, einen Brand einzudämmen, gescheitert sind.

Kriege beginnen immer mit einer Lüge
Da kein Mensch das Elend, das Kriege anrichten, gutheissen kann, bedarf es eines hohen argumentativen Aufwands, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es jetzt notwendig sei, Soldaten in einen Krieg zu schicken. In einer postheroischen Gesellschaft wie der unseren ist dies noch schwerer. „Die Vorbereitung eines Krieges beginnt meist mit der Dämonisierung und Kriminalisierung des Gegners …Wenn in schneller Abfolge von monströsen Foltermethoden, grauenhaften Massakern, aus Brutkästen herausgerissenen Babys berichtet wird, kann man sicher sein, dass es demnächst losgeht. An der Dämonisierung des Gegners wird oft jahrelang gearbeitet.“12 Jeder Kriegseinsatz der letzten Jahre wurde mit einem Lügengebilde begründet, das hinterher in sich zusammenfiel. Beispiele sind die Rede von einem sog. Hufeisenplan, den Verteidigungsminister Scharping im Kosovokrieg ins Feld führte, oder die Rede von den Massenvernichtungswaffen, die der amerikanische Geheimdienst vor dem Irakkrieg gesichtet hatte.

Kriege dämmen das Böse nicht ein, sondern entfesseln es erst.
Pazifisten wird immer wieder vorgehalten, sie würden die abgrundtiefe Bösartigkeit der menschlichen Natur leugnen. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade weil Pazifistinnen und Pazifisten um die potentielle Boshaftigkeit der menschlichen Natur wissen, raten sie davon ab, Kriege zu führen. Der Krieg hält das Böse eben nicht in Schranken, sondern entfesselt es erst. Schon Immanuel Kant weist in seiner Rede zum ewigen Frieden darauf hin:
„Der Krieg ist darin schlimm, dass er mehr böse Menschen macht, als er deren wegnimmt“13. Wer sich für den Krieg als ultima ratio entscheide, der macht all die Grausamkeiten erst möglich, die jeder Krieg mit sich bringt. Der 24-jährige US-Soldat Paul Cortez, der wegen Vergewaltigung eines vierzehnjährigen irakischen Mädchens und der anschließenden Ermordung ihrer ganzen Familie zu 100 Jahren Haft verurteilt wurde: hätte er so eine Tat in einer normalen Umgebung begangen? Was tut eine Gesellschaft jungen Menschen an, wenn sie sie in Kriege schickt? Das Phänomen des Berserkers, des Kriegers, der in Raserei gerät und voller Glück leidenschaftlich tötet, gibt es so nur im Krieg. Man lese dazu die Ausführungen Ernst Jüngers aus dem ersten Weltkrieg14: Ähnliche Schilderungen gibt es leider auch aus dem Afghanistankrieg und dem Irakkrieg.

Protestantische Kriegslegitimationen
Es gibt zwei spezifische Argumentationslinien in der friedensethischen Debatte, die vor allem im Protestantismus beheimatet sind. Eine zentrale Rolle spielen die Dilemmathese und die Rede von der unerlösten Welt.

Die Dilemmathese
Die „Dilemmathese“ geht davon aus, dass man sich in bestimmten politischen Situationen in einem Dilemma befindet. Man werde schuldig, wenn man wegsschaue und so z.B. Völker-mord zulasse und man werde schuldig, wenn man militärisch eingreife. Meistens dient die Dilemmathese dann zur Begründung militärischen Eingreifens.
Diese Dilemmathese ist sachlich nicht falsch. Es ist in der Tat so, dass wir immer schuldig werden, auch durch Nichtstun. Wir werden auch schuldig durch unsere Verflechtung in ungerechte Strukturen der Weltwirtschaft und können uns auch mit dem fairsten Konsumverhalten daraus nicht völlig lösen. Aber mit dieser These Kriegseinsätze zu begründen, die, wie der Rückblick zeigt, die Situation meistens verschlimmert haben und weit mehr Schaden angerichtet haben als ein Nichteingreifen, ist fahrlässig. Kein einziger Kriegseinsatz der letzten Jahre hat einen Völkermord verhindert, im Gegenteil! Aber die Dilemmathese hat nach wie vor eine verführerische Kraft. Sie gibt den politisch und militärisch Verantwortlichen so etwas wie einen Freibrief, einen Freispruch durch die Kirche, die dem militärischen Handeln freien Lauf lässt, statt an die strengen Bedingungen der Lehre vom gerechten Krieg zu erinnern, und davor zu warnen Krieg zu führen. Wie wirkungsvoll die Dilemmathese ist, zeigt sich u.a. daran, dass der protestantische SPD Politiker Erhard Eppler damit vor dem Parteitag der SPD im April 1999 die Zustimmung der Sozialdemokraten zum Militäreinsatz der Bundeswehr im Kosovokrieg herbeiführte. Er sagte: “Tragisch ist eine Situation, wenn man schuldig wird, ganz gleich, was man tut“. Zum Luft-krieg der NATO gegen Jugoslawien meinte er dann: hierbei habe er das Gefühl „dass wir ein bisschen weniger schuldig werden, als wenn wir es nicht täten.“ Gerührt spendete der Parteitag ihrem christlichen Vordenker lang anhaltenden Beifall für diesen Schuldspruch, den sie dankbar aufnahmen als Quasi-Absolution für den Militäreinsatz15.

Die Rede von der unerlösten Welt
Die zweite ethische Denkfigur wird regelmässig von Vertretern der Militärseelsorge angeführt. Sie verweisen in ihren Stellungnahmen auf die sogenannte „unerlöste Welt“ hin, in der wir als Christen leben. In dieser müsse man gelegentlich zu militärischen Mitteln greifen, wenn auch nur als ultima ratio. Die Bergpredigt wird in diesem Zusammenhang gerne in das Reich Gottes16 verwiesen. In einer unerlösten Welt könne man nicht seine Feinde lieben. Manfred Jeub hat sich in einem Artikel für das Deutsche Pfarrerblatt17 ausführlich mit dem Argumentationsmuster von der unerlösten Welt auseinandergesetzt. Er stellt die Rede von der unerlösten Welt historisch in den Kontext der Barmer Theologischen Erklärung. Zum einen weist er darauf hin, dass sich die Aufgabe des Staates, durch Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen, allein auf den innerstaatlichen Bereich beziehe, also den Bereich der Polizeigewalt. Deren Legitimität wird von den meisten Pazifisten ja gar nicht in Frage gestellt. Zum anderen weist Jeub darauf hin, dass es ja gerade die Aufgabe von Christen sei, als mit Gott versöhnte Menschen in der noch nicht erlösten Welt, Gottes Versöhnungswillen, seine Feindesliebe zu bezeugen18.
Der mennonitische Theologe Fernando Enns nimmt in seinem Referat vor der badischen Landessynode ebenfalls zu der Rede von der unerlösten Welt Stellung: „Die Unerlöstheit der Welt legitimiert gerade nicht unser unerlöstes Handeln, sondern fordert gerade das erlöste Handeln der Christen heraus. Kein Zweifel, diese Welt harrt noch ihrer Vollendung… Aber die, die tatsächlich an die geschehene Erlösung in Christus glauben, partizipieren bereits an der erlösten Wirklichkeit, die mit Christus in die Welt kam, - um diese zu transformieren. Wer die Unerlöstheit der Welt zum Argument nutzen will, ein unerlöstes Leben als Christ zu führen, stellt damit nicht weniger als die Erlösung in Christus selbst in Frage.“19

Auswege aus dem Dilemma
Die militärische Option ist mit dem Risiko behaftet, zum Krieg zu führen, verbunden mit den ganzen negativen Auswirkungen, die Kriege immer haben. Was aber sollen Christen dann tun, angesichts der Konflikte in der Welt, in denen ja nicht Wegducken geboten ist, sondern mutiges und zugleich besonnenes Eingreifen. Hier weist das Diskussionspapier auf die Fülle ziviler gewaltfreier Mittel hin, die Christen und eben auch christlichen Politikern zur Verfügung stehen, wenn sie einen aktiven Beitrag dazu leisten wollen, Frieden zu stiften. In der Zusammenfassung unter 2.6 heisst es dazu: In der Nachfolge Jesu stehen uns eine Fülle ziviler, gewaltfreier Mittel zur Verfügung, um uns national und international für gerechten Frieden einzusetzen. Als Christen sehen wir für diesen Weg alle Verheißungen. Nur so kann wirkliche Versöhnung zwischen verfeindeten Parteien wachsen.

Die Vernunft der Bergpredigt ins Spiel bringen
Das Ethos der Bergpredigt bestimmt im Diskussionspapier die Ausführungen, in denen von einem dritten Weg gesprochen wird. Der amerikanische Theologe Walter Wink hat in seinen Studien zum Gewaltbegriff in der Bibel20 diesen Begriff geprägt. Er interpretiert die Bergpredigt Jesu als einen Versuch, einen dritten Weg einzuschlagen jenseits von Gewaltanwendung oder Passivität. Der aktive gewaltfreie Widerstand sei die Konsequenz einer intelligenten Feindesliebe, wie sie in der Bergpredigt eingefordert wird. Wink entzaubert in seinen Studien den Mythos von der erlösenden Gewalt, der in unserer westlichen Gesellschaft tief verankert ist und stellt ihm den Glauben an die erlösende Kraft der Gewaltfreiheit gegenüber.

Ein dritter Weg jenseits von Passivität oder Gewaltanwendung
Der Hinweis auf einen dritten Weg der Parteinahme in Konflikten, ist vielleicht der wichtigste Beitrag zur friedensethischen Diskussion der Gegenwart. Dabei geht zivile Konflikt-bearbeitung von einem anderen Konfliktverständnis aus. Bei gewaltfreier Konfliktbearbeitung geht es nicht darum, einen Feind auszulöschen und zu besiegen, sondern gewaltfreien Druck zu entfalten und Lösungen anzustreben, von denen letzten Endes beide Seiten in einem Konflikt profitieren. Gewaltfreiem Handeln wird oft nur eine begrenzte Wirkung zugewiesen. Man sagt, Gewaltfreiheit funktioniere nur in Demokatien, aber nicht in Diktaturen. Das ist so nicht richtig. Wenn wir in die Geschichte blicken, dann können wir sehen, dass im 20. und 21. Jahrhundert zahlreiche Diktaturen der people power, der Kraft der Gewaltfreiheit weichen mussten. Auch wir in Deutschland verdanken unsere Einheit den gewaltlosen Demonstrationen von Leipzig, die stärker waren als die Macht des SED Regimes. Selbst gegen den Völkermord Hitlers haben gewaltfreie Widerstands0methoden eine beeindruckende Wirkung entfaltet21. Im Jahre 1943 demonstrierten Hunderte von Frauen in Berlin öffentlich für die Freilassung ihrer jüdischen Männer und hatten damit Erfolg. Die orthodoxe Kirche in Bulgarien solidarisierte sich geschlossen mit der jüdischen Bevölkerung im Land, und bewahrte sie dadurch vor der Deportation nach Auschwitz. Die Tragödie ist nicht, dass gewaltfreie Widerstandsmethoden nicht auch unter Hitler funktioniert hätten, sondern, dass sie so selten angewandt wurden.

Gewaltfreier Widerstand ist die erfolgreichere Variante
Vergleicht man sämtliche Aufstände, Revolutionen und Regimewechsel des 20. Jahr-hunderts und zwar die gewaltsamen und die gewaltfreien, dann kommt man zu der Erkenntnis, dass gewaltfreier Widerstand dabei doppelt so häufig zum Erfolg führte wie militärisch gestützter Widerstand22. Eine wichtige Rolle in dem badischen Diskussions-prozess spielt auch der gewaltfreie Einsatz liberianischer Frauen um die spätere Friedens-nobelpreisträgerin Leymah Gbowee23. Ihr Einsatz zeigt, dass auch in sogenannten zer-fallenden Staaten Afrikas der Einsatz gewaltfreier Mittel erfolgreich sein kann. Selbst den brutalen Diktator Charles Taylor brachten die christlichen und muslimischen Frauen mit ihren gewaltfreien Aktionen zum Einlenken24.

Zivile, gewaltfreie Konfliktbearbeitung stärken
Die Landessynode fordert demgemäss in ihrem Beschluss die stärkere Unterstützung von Konfliktprävention und ziviler Konfliktbearbeitung. Hier könnten die Kirchen auch selbst aktiv werden, indem sie etwa Projekte des zivilen Friedensdienstes fördern und Gruppen unterstützen, die auf gewaltfreien Wegen Änderungen in Diktaturen und Bürgerkriegsländern anstreben. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, warum in unserem Land diejenigen Mittel und Methoden, die wesentlicher effektiver Frieden herbeiführen können, mit so wenig Ressourcen ausgestattet werden, und warum man für militärische Lösungen, die angeblich nur die ultima ratio sein sollen und im Grunde wesentlich unwirksamer sind, Milliarden einsetzt? Müsste sich das Verhältnis hier nicht umkehren? Die Politik wäre gut beraten, wenn sie die Ausgaben für zivile Konfliktbearbeitung verstärken würde. Mittlerweile gibt es eine Evaluation der ersten Einsätze im Zivilen Friedensdienst25, die Kriterien dafür benennt, wann zivile Konfliktbearbeitung besonders erfolgreich eingesetzt werden kann und was für den Erfolg einer zivilen Mission wesentlich ist. Bisher werden aber für den zivilen Bereich nur Millionen ausgegeben, für militärische Einsätze Milliarden. Das Verhältnis müsse sich hier umkehren, dies hatte die badische Landessynode schon 200826 gefordert.

Langfristig aus der militärischen Friedenssicherung aussteigen
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Landessynode in ihrem Beschluss vom Oktober 2013 sogar vorstellen kann, ganz aus der militärischen Friedenssicherung auszusteigen. Sie schlägt vor, im Gespräch mit anderen Kirchen in Europa ein Szenario zum mittelfristigen Ausstieg aus der militärischen Friedenssicherung zu entwerfen. Pate für solche Überlegungen steht dabei der Ausstieg aus der nuklearen Energiegewinnung. Eine so klare Infragestellung der Institution des Militärs ist bisher aus keiner der Gliedkirchen der EKD bekannt. In der Tat stellt sich ja die Frage, welche Funktion das Militär noch hat, wenn die alte Aufgabe der Landesverteidigung entfällt. Denn dies stellt selbst die Bundeswehr in ihren neuesten verteidigungspolitischen Richtlinien27 in Frage. Wenn also keine akute Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland existiert, die durch Streitkräfte zu bekämpfen wäre, und wenn zum anderen die Bevölkerung Auslandseinsätze der Bundeswehr in großer Mehrheit ablehnt, weil sie eben nicht erkennen kann, dass unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigt würde, dann ist es erlaubt, diese grundlegende Frage zu stellen oder zumindest ein Szenarium zu entwerfen, in dem die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch andere Mittel gewährleistet wird.

Deutschland soll seine Verantwortung in der Welt wahrnehmen
Deutschland könnte seine Verantwortung in der Welt auch durch die Aufrüstung bei den zivilen Instrumenten der Konfliktbearbeitung wahrnehmen und sich als diplomatische Großmacht einen Namen machen. Denn dass Deutschlands Einfluss in der Welt nötig ist, das bestreitet niemand. Deutschland soll sich nicht wegducken, es muss sich einmischen, aber eben mit den Mitteln der Diplomatie und der nichtmilitärischen Friedenssicherung. Kein Geringerer als der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik28 in Berlin, Dr. Hans-Dieter Heumann fordert genau dieses von der deutschen Außenpolitik. Er schreibt in einem Beitrag für die ZEIT29: „Deutschland ist geeignet, innerhalb der NATO und der EU Führung zu übernehmen. Denn wir haben Erfahrungen zu bieten, die andere Europäer oder Verbündete nicht vorweisen können: zum Beispiel das Prinzip des friedlichen Wandels.“
Und er weist auf die Erfahrungen hin, die Deutschland bei der Überwindung des Kalten Krieges und beim Fall des eisernen Vorhangs machen konnte. Die Erfahrung des friedlichen Wandels könnte ein außenpolitischer Exportschlager werden, der auch für andere Regionen in der Welt wegweisend wäre.

Nein zu Rüstungsexporten
Zum verantwortlichen Handeln in der Welt würde es auch gehören, die Rüstungsexporte drastisch zu verringern und Staaten, die nachweislich den Terrorismus fördern, wie z.B. Saudi Arabien, nicht mit Rüstungsgütern zu unterstützen. So fordert die Landessynode den Exporte von Kriegswaffen mittelfristig ganz einzustellen.

Ja zu rechtserhaltender Gewalt in Form von polizeilicher Gewalt.
Schliesslich verweist das Diskussionspapier unter 2.6 in einer dritten These auf den nach wie vor notwendigen Einsatz von Polizeigewalt: In Ergänzung zu gewaltfreien Mitteln der Konfliktbearbeitung sind allein polizeiliche Mittel ethisch legitim. In kriminellen Konfliktsituationen, die die nationalen Polizeikräfte überfordern, ist an internationale, den Vereinten Nationen unterstehende Polizeikräfte zu denken.

Die Unterscheidung zwischen militärischer und polizeilicher Gewalt stammt aus der friedensethischen Diskussion aus in den USA. Sie könnte ein Lücke schliessen zwischen der pazifistischen Tradition und dem friedensethischen Diskurs, der sich an der Lehre vom gerechten Krieg orientiert. Jahrelang haben sich mennonitische pazifistische Theologen und katholische Moraltheologen in den USA getroffen und über Krieg und Frieden debattiert. Das Ergebnis der Studien30 ist auf beiden Seiten eine Kritik am Krieg und am Einsatz militärischer Mittel. Beide Seiten befürworten den aktiven Einsatz ziviler gewaltfreier Mittel in Konflikten. Auf der anderen Seite halten sie es für möglich (und ethisch erlaubt) in bestimmten Grenzsituationen Polizeikräfte einzusetzen. Diese müssten eine deeskalierende Wirkung entfalten und sich in der Ausübung von Gewalt an polizeilichen Maßstäben orientieren.

Weil diese Ausführungen beim Studientag im Juni 2013 auf großes Interesse innerhalb der Synode gestossen sind, hat die Landessynode beschlossen, einen Forschungsauftrag an die FEST zu vergeben, der klären soll, ob und wie in zwischenstaatlichen Konflikten militärische Gewalt immer mehr durch polizeiliche Zwangsmaßnahmen ersetzt werden kann. Vielleicht wäre dies dann eine Form legitimer rechtserhaltender Gewalt, von der die EKD Friedens-denkschrift spricht. Denn in der Tat gibt es Situationen, in denen um der Aufrechterhaltung und Stärkung des Rechts polizeiliche Massnahmen erforderlich sein können. Auch UNO Blauhelmeinsätze können in dieser Weise als deeskalierende Polizeimassnahmen verstanden werden. Sie setzen allerdings das Einverständnis beider Parteien in einem Konflikt voraus.

Ein Nein zum Krieg und zu Militäreinsätzen, ein klares Ja zu ziviler Konfliktbearbeitung und zu begrenzter Polizeigewalt – diese drei friedensethischen Forderungen aus Baden könnten die Diskussion innerhalb der Kirchen befruchten. Die Debatte ist dringend erforderlich. Führende Bundespolitiker31 fordern ein stärkeres militärisches Engagement in der Aussenpolitik. Dies wäre ein Weiterschreiten auf einem Weg, der sich in der Vergangenheit als verhängnisvoll erwiesen hat. Die Kirchen sollten hier ihre mahnende Stimme einbringen.


Anmerkungen

1 Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens – Ein Diskussionsbeitrag aus der Evangelischen Landeskirche in Baden, Dezember 2013, S. 9
2 In der Friedens- und Konfliktforschung versteht man unter Krieg einen internationalen Konflikt zwischen zwei Parteien - von denen mindestens eine den Charakter einer militärischen Streitmacht hat - mit mehr als 1000 Toten.
3 Der Kosovokrieg 1999, der Afghanistankrieg seit 2001, der Irakkrieg 2003 und der Libyenkrieg 2011
4 Der Politiker und Publizist Jürgen Todenhöfer spricht in diesem Zusammenhang vom Afghanistan- und Irakkrieg als einem „Terrorzuchtprogramm“. Jürgen Todenhöfer, Du sollst nicht töten, München 2013, S. 63 „Heute gibt es auf der ganzen Welt ca. 30.000 echte Al Quaida Kämpfer. Die meisten in Syrien, Irak, Pakistan, Jemen und Somalia. Vor dem Afghanistankrieg waren es gerade einmal einige Hundert. Die Antiterrorkriege gegen Afghanistan und den Irak haben Al Quaida zu einer Weltmarke gemacht.“ebd. S. 116
5 Diese Bedingungen entsprechen genau den sieben ethischen Kriterien aus der Lehre vom gerechten Krieg, die die Gewalt im Kriegsfall in Schranken halten soll. Vgl. Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen, Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland 2007, S. 66ff
6 Wer sich für die genaueren Umstände des Kosovokrieges interessiert, sei hingewiesen auf die bemerkenswerte Studie des Brigadegenerals Heinz Loquai:Der Kosovo-Konflikt – Wege in einen vermeidbaren Krieg, Baden-Baden 2000
7 Selig sind die Friedfertigen – Der Einsatz in Afghanistan:Aufgaben evangelischer Friedensethik, eine Stellungnahme der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD Hannover, 2013
8 Ebd S. 49
9 Ebd. S. 50
10 Zum Verlauf und Ergebnis des Libyenkriegs vgl. die erschütternden Augenzeugenberichte von Jürgen Todenhöfer in seinem neuen Buch „Du sollst nicht töten“, München 2013, S. 367ff.
11 Gabriel Kolko, Das Jahrhundert der Kriege, Frankfurt 1999, S. 384f.
12 Jürgen Todenhöfer, Du sollst nicht töten, S. 114
13 Immanuel Kant, zum ewigen Frieden, 1795 in: Weischedel, Wilhelm (Hrsg.): Immanuel Kant: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, Frankfurt/Main, 1991, S. 222
14 „Im Vorgehen erfasste uns ein berserkerhafter Grimm. Der übermächtige Wunsch zu töten beflügelte meine Schritte. Die Wut entpresste mir bittere Tränen. Der ungeheure Vernichtungswille, der über der Walstatt lastete, verdichtete sich in den Gehirnen und tauchte sie in rote Nebel ein. Wir riefen uns schluchzend und stammelnd abgerissene Sätze zu, und ein unbeteiligter Zuschauer hätte vielleicht glauben können, dass wir von einem Übermaß an Glück ergriffen seien.“ Ernst Jünger, Unter Stahlgewittern, Ausgabe Stuttgart 1978, 2012, S. 261, zitiert bei Todenhöfer, S. 121
15 Zitiert nach Theodor Ebert, Der Kosovo-Krieg aus pazifistischer Sicht, Hamburg 2001, S. 33
16 Manfred Jeub, die noch nicht erlöste Welt – Gedanken zu einem missverständlichen Theologumenon, Dt.Pfr.bl. 11/2013, S. 623 Anm. 2: „Man hält uns vor, die Bergpredigt gelte gar nicht für unsere Welt, sondern erst für die vollendete Gottesherrschaft; sie sei sozusagen eine „himmlische Hausordnung“. Da sagen mir schon Sechstklässler: Aber im Himmelreich haut doch keiner dem anderen auf die Backe.“
17 Manfred Jeub, die noch nicht erlöste Welt – Gedanken zu einem missverständlichen Theologumenon, Dt.Pfrbl. 11/2013, S. 621ff.
18 Ebd S. 622
19 Fernando Enns, Kommentar zum „Entwurf eines Positionspapiers zur Friedensethik“, in: Reader zum Studientag der Landessynode vom 7. Juni 2013 zum friedensethischen Diskussionsprozess in der Evangelischen Landeskirche in Baden, hg. Von der Arbeitsstelle Frieden, Karlsruhe 2013, S. 13
20 Walter Wink, Engaging the powers, discernment and resistance in a world of domination, Minneapolis: Fortress press, 1992
21 Vgl. dazu die Studie der badischen Werkstatt für Gewaltfreie Aktion (hg): Gewaltfrei gegen Hitler? Gewaltloser Widerstand gegen den Nationalsozialismus und seine Bedeutung für heute, Karlsruhe 2007
22 Vgl. Erica Chenoweth, Maria Stephan, Why civil resistance works. The strategic logic of nonviolent conflict. New York, Columbia Univ. Press 2011
23 Leymah R. Gbowee, Wir sind die Macht – Die bewegende Autobiographie der Friedensnobelpreisträgerin Stuttgart 2012
24 Vgl auch den preisgekrönten Dokumentarfilm „Zur Hölle mit dem Teufel – Frauen für ein freies Liberia“
25 Andreas Heinemann Grüder, Isabella Bauer (hg.) Zivile Konfliktbearbeitung – vom Anspruch zur Wirklichkeit Opladen Berlin,. Totonto 2013
26 demnach sollten Friedensförderung und zivile Konfliktbearbeitung „gemäß der vorrangigen Option für Gewaltfreiheit und Prävention finanziell nicht schlechter gestellt sein als militärische Sicherheits- und Verteidigungsaktivitäten.“ Beschluss der badischen Landesssynode vom 19.04.2008
27 Verteidigungspolitische Richtlinien 2011, S.ö1: „Eine unmittelbare territoriale Bedrohung Deutschlands mit konventionellen militärischen Mitteln ist unverändert unwahrscheinlich.“
28 Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin ist eine Einrichtung der Verteidigungsministeriums und des Aussenministeriums. Sie will mit ihren Tagungen und Studien Beiträge liefern zum sicherheitspolitischen Diskurs.
29 Hans-Dieter Heumann, Deutschlands bester Export, in ZEIT vom 13. Juni 2013, S. 13

30 Gerald Schlabach (hg.), Just policing, not war: an alternative response to world violence, Minnesota, 2007
31 So z.B. Bundespräsident Joachim Gauck vor der Münchner Sicherheitskonferenz am 31. Januar 2014







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