In Memoriam: Bischof TING Kuang Hsun

China Christian Council

BISCHOF TING KUANG HSUN
(Ding Guangxun)
ist am 22.November 2012 verstorben

Bischof Ting starb in Nanjing im Alter von 97 Jahren. Sein Name ist mit der chinesischen evangelischen Kirche auf das engste verbunden. Obwohl er sich von seinen kirchenleitenden Ämtern bereits 1995 zurückgezogen hatte, blieb er weiterhin Ehrenpräsident der Ginling Theologischen Hochschule in Nanjing, Ebenfalls war er Ehrenvorsitzender des Chinesischen Christenrates (CCC) und der Chinesischen Christlichen Patriotischen Drei-Selbst Bewegung (PDSB). Nach seiner Pensionierung wurde er wie ein ‚Patriarch' verehrt. Er gab den Anstoß zu einer theologischen Bewegung, die noch nicht abgeschlossen ist, mit dem Ziel, für die Kirche eine angemessene chinesische Theologie zu entwickeln. In der Ökumene ist Bischof Ting weithin bekannt als Kirchenführer, der in schwierigen Jahren in einer sozialistischen Umwelt für Religionsfreiheit eingetreten ist und mäßigend auf die staatliche Religionspolitik einwirkte. Auch hat Ting die Gemeinden des CCC 1991 in der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Canberra zur Mitgliedschaft als ‚uniting church' geführt.

Als Kirchenführer war Ting Mitglied im Nationalen Volkskongress, ebenfalls auch in der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes. Er wurde zum Stellvertretenden Vorsitzenden der Sektion für Religion gewählt. Er benutzte diese Plattform, um die Christenheit und die Religionsgemeinschaften im Umfeld chinesischer Politik zu vertreten. Anlässlich seines Todes kondolierte der Staatspräsident Hu Jintao persönlich und auch sein designierter Nachfolger Xi Jinping, sowie eine Reihe führender Politiker. Die Nähe Tings zur Regierung ist Gegenstand scharfer Kritik in China wie auch im Ausland. Seine Person ist nicht unumstritten.

Ting verstand sich als Patriot. Er wurde 1915 in Shanghai geboren. Die sozialen und politischen Widersprüche der Großstadt mit ihren ausländischen ‚Konzessionen' wirkten prägend auf ihn. Nach seinem Studium arbeitete Ting als Sekretär des Student Christian Movement in Kanada. Später wurde er zur Zentrale des Christlichen Studentenweltbundes nach Genf berufen. Von der gängigen Berichterstattung über die kommunistische Revolution in seiner Heimat ließ er sich nicht abschrecken, sondern kehrte mit seiner Familie 1951 dorthin zurück.

Er wurde anglikanischer Bischof für Zhejiang und Leiter des Nanjing Union Theologischen Seminars. Das Neue China beeindruckte ihn und er stellte sich mit großer Begeisterung in seinen Dienst. Dabei verteidigte er aber mutig gegenüber der atheistischen Ideologie den christlichen Glauben und wurde deshalb innerhalb der Kirche zur Zeit der verheerenden Kampagne gegen „Rechtsabweichler" angegriffen. Doch zweifelte er nicht daran, dass Christen trotz des ideologischen Gegensatzes am nationalen, sozialistischen Aufbau teilnehmen können.

Nach der Kulturrevolution (1966-1976) waren trotz der völligen Zerstörung der Kirche als Institution christliche Zellen erhalten geblieben. Hieraus entwickelte sich eine blühende, rasant anwachsende Kirche. Von 1980 an begleitete Ting als Leiter der Gemeinden mit seiner biblisch begründeten Ekklesiologie den Wiederaufbau der Kirche und mühte sich, den Einfluss politisierender Kräfte in der Kirche zurückzudrängen. Der CCC wurde 1980 gegründet. Ihm kam die eigentliche Kirchenleitung zu, während der PDSB als staatlicher Massenbewegung die kirchlich legitime und wichtige Aufgabe zugewiesen blieb, die Unabhängigkeit und Selbständigkeit der chinesischen Kirche zu wahren. In dieser Zeit setzte er sich auch für die Unabhängigkeit der sogenannten ‚Hauskirchen' ein. Ting sympathisierte mit der Demokratiebewegung, die 1989 auf dem Tiananmenplatz in Beijing zerschlagen wurde. Danach verlor er mehr und mehr seinen politischen Einfluss.

Mit der Gründung der Amity Foundation, einer einflussreichen NGO, unterstützt aus der Ökumene und von chinesischen Gemeinden, gelang es ihm, gesellschaftsdiakonische Verantwortung der chinesischen Kirche anzuregen und zu verwirklichen. Ihre Arbeit erreicht heute viele chinesische Provinzen.

Tings theologischen Anstöße zielen darauf hin, dass die Kirche sich auf den sozialistischen Kontext einstellen muss. Ting sucht darum die Verbindung zwischen christlichem, chinesischem und sozialistischen Denken zu finden.

Theologisch wurde er durch die anglikanische Tradition geprägt. Als liberaler Theologe wandte er sich kritisch gegen die konservativen und fundamentalistischen Kräfte in den evangelischen Kirchen. Die Haltung des bekannten Predigers Wang Mingdao lehnte er ab. Als dieser sich 1955 weigerte, der Drei-Selbst Bewegung beizutreten, wurde für Ting aus dieser innerkirchlichen Auseinandersetzung ein grundsätzlich politischer Gegensatz. Er griff Wang Mingdao öffentlich an und trug somit zu seiner Verurteilung und langjährigen Inhaftierung bei.

Von dieser ‚links-extremen' Haltung distanzierte sich Ting später. In den Jahren des kirchlichen Wiederaufbaus nach der Kulturrevolution bemühte er sich um einen Ausgleich mit der starken evangelikalen Strömung in den chinesischen Gemeinden, zugleich suchte er sie für den Aufbau Chinas, des sozialistischen Chinas, zu gewinnen.

Liebe zum Lande – Liebe zur Kirche." Dieses Motto ist häufig als Inschrift in kirchlichen Räumen in China zu lesen. Diese beiden Pole haben Ting Zeit seines Lebens bestimmt. Als er 1982 während der ersten Delegationsreise des CCC zum ersten Mal nach der Kulturrevolution England besuchte, sprach er im Lambeth Palace vor den versammelten anglikanischen Bischöfen über die „Wahrheit der Auferstehung." Es war selbstverständlich für ihn, bei dieser ersten Begegnung nach den Jahren der nahezu völligen Ausmerzung religiöser Strukturen die Kraft der Auferstehung Christi nicht nur im Wiedererstehen der chinesischen Kirche, sondern auch in der Auferstehung Chinas zu betonen. Dass sein Patriotismus dem sozialistischen China galt, hat er nie geleugnet. Hieran entzündet sich die Kritik an seiner Person.

Nicht übersehen werden darf aber auch das andere: die ‚Liebe zur Kirche.' Häufig überreichte er Besuchern aus der Ökumene den chinesischen Text einer Predigt, die er 1986 vor seinen Studenten in Nanjing gehalten hatte. Darin bejaht er die Notwendigkeit ideologisch-politischer Neuordnung. Die Revolution hat ihr Recht, der Sozialismus hat sein Recht. Aber Petrus sagt: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens." (Joh.6, 68).

Tings Bemühungen um eine neue chinesische Theologie werden heute in China selbst wie im Ausland kontrovers diskutiert.

Wie auch immer Bischof Ting beurteilt wird: Die evangelische Christenheit in China hat er durch schwere Zeiten hindurch geleitet und dabei trotz mancher Widersprüchlichkeit in seiner Person bleibend geprägt.

3. Dezember 2012
Winfried Glüer

(alle Fotos: Winfried Glüer, 1995)

Siehe auch eine Würdigung der theologischen Lebensleistung von Bischof Ting.

 

 

CCC

Stichwörter zur Geschichte

7.-9. Jhd.
Nestorianer

1583 - 1717
Jesuitenmission, zeichnet sich durch starke Assimilation an die chinesische Kultur aus, zielt auf die Gewinnung der Oberschicht.
Matteo Ricci.
Ritenstreit beendet die Missionstätigkeit aller Orden

Beginn 19. Jhd.
protestantische Mission

1807
Robert Morrison, intensive Übersetzungstätigkeit

1814
erster Konvertit

1819
chinesische Bibel

1844
Kar1 Gützlaff

1832-1905
Hudson Taylor

1840
1. 0piumkrieg

1850-64
Taiping-Revolte unter Hong Xiuquan

1857-60
2. Opiumkrieg. Verlust der Zollautonomie, Konzessionen, verstärkte Ansiedelung von Ausländern

1865
China Inland Mission gegründet (1895 641 Missionare, 462 Assistenten, 260 Missionsstationen)

1912
Ausrufung der Republik China durch Sun Yatsen

1949
Ausrufung der Volksrepublik China durch Mao Zedong, Ausweisung aller Missionare

1951
Beginn der Drei-Selbst Bewegung unter Schirmherrschaft von Ministerpräsident Zhou Enlai.

1965-75
Kulturrevolution

1978
Wiedereröffnung der ersten Kirchen

1980
Nationale Christenkonferenz gründet Chinesischen Christenrat.

1981
Lehrbetrieb des Theologischen Jinling Seminars in Nanjing wird wieder aufgenommen.

4. 6. 1989
Tiananmen "Zwischenfall"

1996
Nationale Christenkonferenz

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