2013 Arnoldshain - Plädoyer für den ÖRK

2.- 4. April 2013


Vorbereitungstagung für die ÖRK-Vollversammlung in Korea

"Gott des Lebens, weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden"

 

 

 

 

Karl-Heinz Dejung 

Plädoyer für den ÖRK als Katalysator der Ökumenischen Bewegung!

 

 

Plädoyer für den ÖRK als Katalysator der Ökumenischen Bewegung! 
Impulse

 

 

Zur Bildsprache des gestellten Themas

Schlägt man in gängigen Lexika nach oder googelt bei Wikipedia zum Stichwort „Katalysator“, so trifft man immer wieder auf die Definition des Chemikers Wilhelm Oswald, der 1913 den Nobelpreis für Chemie erhielt. Danach ist ein Katalysator ein „Stoff, der die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion erhöht ohne selbst dabei verbraucht zu werden“. In seiner gängigen Alltagsbedeutung Bedeutung kennen wir den Katalysator als eine technische Vorrichtung zur Reinigung der Abgase!

Bei aller Skepsis gegenüber naturwissenschaftlich-technischen Bildern bringen beide Definitionen viel von Erwartungen und Erfahrungen auf den Begriff, die viele unter uns über Jahre und Jahrzehnte hinsichtlich der Funktion des ÖRK hatten. Sollte er doch, wie in chemischen Prozessen die gemeinsame Handlungsfähigkeit der Kirchen beschleunigen, ohne selbst davon in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Er sollte zudem die unterschiedlichen konfessionellen Kräfte und Strömungen der Weltchristenheit von belastenden Schadstoffen reinigen und damit zu verträglichen Bewegungen erneuern!

Wir haben solche Erwartungen an den ÖRK vor allem in den siebziger und achtziger Jahren immer wieder gepflegt, ohne wahrzunehmen, dass – im Gegensatz zum Bild vom Katalysator – seine Energien zunehmend verbraucht werden können! Vor allem die zurückliegenden Vollversammlungen in Harare und Porto Alegre haben aber vielen die Augen dafür geöffnet, dass der in die Jahre gekommene ÖRK offenbar nicht nur seine Antriebsenergien verbrauchen kann, sondern – so Margot Käßmann schon vor sieben Jahren – von einem zunehmenden Bedeutungsverlust bedroht ist. Vor Busan gilt es deshalb zu fragen, ob und in welcher Weise der ÖRK noch „Katalysator“ der Ökumenischen Bewegung sein kann!


Zum Paradigmenwechsel von Selbstverständnis und Funktion des ÖRK

Das Genfer Ökumeneschiff ist in den zurückliegenden 20 Jahren durch vielfältige Krisen gegangen, von der die Finanzkrise, so folgenreich sie immer noch ist, wohl die einfachste zu sein scheint. Was offensichtlich ist: Sein Selbstverständnis hat sich gewandelt vom „privilegierten Instrument (Gottes) zur Erneuerung der Kirchen“ zum „Raum und Symbol der Begegnung der Kirchen“. Danach ist er weniger „Motor und Impulsgeber“ als „Forum des Austausches“. Ablesen lässt sich dies nicht nur an der beklagenswerten Reduktion des Genfer Mitarbeiterstabes seit Beginn der neunziger Jahre auf ungefähr ein Drittel der Menschen, die für die ökumenische Zentrale arbeiteten. Überdeutlich wird die Reduktion des ÖRK auch auf inhaltlicher Ebene. Wird doch die theologische Arbeit mehr denn je von den Weltbünden beansprucht, nicht zuletzt um seine spirituellen Impulse – sichtbar etwa in ökumenischer Gottesdienstpraxis - konfessionell zu domestizieren.
Zusätzliche Gründe für diesen Wandel werden darin gesehen, dass sich die hehren Vorstellungen vom ÖRK als Vorreiter in Fragen von Frieden und Gerechtigkeit nicht erfüllt haben. Der von uns allen geschätzte „Konziliare Prozess“ hat mit den sog. „Zehn Affirmationen“ zwar einen beachtenswerten und grundlegenden Rahmen hinsichtlich der Weltverantwortung der Weltchristenheit formuliert. Aber die von vielen mit dem ÖRK verknüpfte Erwartung einer eindeutigen und kämpfenden Ökumene, die die Fahne des christlichen Fortschritts voranträgt, hat sich als Illusion erwiesen.

Kein geringerer als Konrad Raiser plädiert deshalb in den letzten Jahren immer wieder vehement dafür, Abschied zu nehmen von dieser „romantischen Vorstellung“ einer kämpfenden und einmütigen Ökumene. Er setzt dagegen auf einen ÖRK, der Raum und Rahmen schafft für die Begegnung der Kirchen. In diesem Raum legen diese gegenseitig Rechenschaft ab und suchen so in Versuch und Irrtum Prozesse der Befreiung, der Heilung und der Versöhnung in einer gebrochenen Welt zu organisieren. Für ihn besteht die Aufgabe des ÖRK in Zukunft also nicht in der Umsetzung eines zentral ausgebauten Programms, sondern im wechselseitigen Austausch, in kritischer Befragung und helfender Ermutigung.


Auswirkungen des Bedeutungsverlustes des ÖRK als „global player und global prayer“ im Zeitalter der Globalisierung!

Auch vor dieser Vollversammlung werden wir wieder einen vollmundigen Satz hören, der schon die beiden zurückliegenden Vollversammlungen begleitete: Im Zeitalter der Globalisierung werde der ÖRK mehr denn je gebraucht. Ja, gäbe es ihn nicht, er müsste erfunden werden, konstatieren selbst die schärfsten Kritiker. Dem widerspricht, dass die Mitgliedskirchen des ÖRK seit der großen weltpolitischen Wende des Jahres 1989 sukzessive dagegen entschieden haben, dass dieser weiterhin eine prophetische Rolle übernimmt und in zentralen Fragen für die nichtrömische Weltchristenheit sprechen kann. Meines Erachtens überlassen sie damit die internationale Vertretung der christlichen Stimme ganz dem Vatikan. Es sei denn sie suchen diese konfessionell getrennt wahrzunehmen, wie dies in den letzten Jahren von lutherischer Seite – etwa von Margot Käßmann - immer wieder formuliert worden ist. Dass solches verbale Eintreten für den ÖRK einhergeht mit Kürzungen von Mitgliedsbeiträgen und Zuwendungen – so werden z.B. die deutschen evangelischen Kirchen bezogen auf das Jahr 2004 bis zum Jahre 2016 ihre Zahlungen nach Genf auf ein Drittel reduzieren (von 1,5 Millionen auf 505100 Euro) – gehört zu den unerträglichen Widersprüchen und Ärgernissen der ökumenischen Wirklichkeit. So wird diese einzige global und multilateral arbeitende Institution der Weltchristenheit ausgehungert. Mit allen Folgen, die dies für dessen inhaltliche Arbeit und die Motivation seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat.

Angesichts dieses offensichtlichen Paradigmenwechsels hinsichtlich des Mandates und der Funktion des ÖRK bleiben für mich zwei beunruhigende Fragen: Wie kann verhindert werden, dass bei dieser spürbaren Rücknahme des Selbstverständnisses des ÖRK der „Mehrwert“ ökumenischer Begegnung verloren geht. Ich meine damit einmal jenen „Welthorizont“, den unsere Kirchen brauchen, wollen sie nicht in die provinzielle „Selbstgenügsamkeit“ von Landeskirchen und Nationalkirchen zurückfallen? Und ich meine damit auch jene „Weisheit der Argumente“, die nur in ökumenischer Begegnung gewonnen werden kann und die – nach dem schönen Satz von William Temple – allein die Autorität eines Rates der Kirchen sein kann. Ich frage damit: Wie kann gewährleistet werden, dass im nicht zu bestreitenden globalen Wettstreit der Glaubensweisen und Religionen es auch dann eine gemeinsame christliche Stimme gibt, wenn diese mit guten theologischen Gründen von der des Vatikans abweichen muss?


Die Rolle der Jubiläumsvollversammlung von Busan

Wenn auch nur ein Teil der von mir angesprochenen Probleme zutrifft, dann muss die Frage gestellt werden, was von der anstehenden Vollversammlung realistischerweise hinsichtlich des Beitrages des ÖRK zur Gestaltung der Ökumenischen Bewegung erwartet werden kann. Zunächst gilt: Vor Busan kann es kaum um einen letzten und verzweifelten Versuch gehen, die Kirchen zu einem gemeinsamen Akt von Bekenntnis und Widerstand zu mobilisieren, um im Sinne des berühmten Diktums von Dietrich Bonhoeffer aus dem Jahre 1934 „gemeinsam das eine Wort zu sprechen, das die Welt nicht überhören kann“. Mit solchen Erwartungen ist schon der „Konziliare Prozess“ der achtziger Jahre an seine Grenzen gekommen. Ähnliche Hoffnungen sind wohl heute – angesichts der unbestreitbaren Verschlechterung der ökumenischen Großwetterlage – kaum zu revitalisieren. Auch wenn die Dringlichkeit eines solchen Bekenntnisses angesichts der auf dieser Tagung formulierten Herausforderungen unübersehbar ist.

Ich versuche deshalb Möglichkeiten und Aufgaben der bevorstehenden Vollversammlung zu formulieren, die der gegenwärtigen Lage des ÖRK als eines Instrumentes der Kirchen entsprechen können. Ich setze auf Entscheidungen und Beschlüsse, die auch in der gegenwärtigen ökumenischen Gemengelage möglich sein sollten und die gleichzeitig eine nachhaltige Wirkung haben könnten! Dabei geht es weder um ein Maximalprogramm noch um ein Minimalprogramm, sondern es handelt sich um Vorschläge, um die Kommunikation und Kooperation der Mitgliedskirchen nicht dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen. Denn auf einem freien Markt der Mitgliedskirchen werden automatisch die starken Kirchen das Sagen haben, die Schwachen werden allenfalls zu Objekten von deren Großzügigkeit. Das kann nicht gehen, geschweige denn gut gehen. Es ist theologisch auch nicht zu verantworten.

Ich setze zunächst als Konsens der Mitgliedkirchen voraus, dass den Vollversammlungen entscheidende Bedeutung für die zukünftige Gestalt des ÖRK zukommt. Jede Vollversammlung konstituiert den ÖRK neu. Und so entscheidet auch Busan darüber, ob sich der Abwärtstrend fortsetzen oder zu einem institutionellen Aufbruch kommen wird. Dann aber ist es erforderlich, dass diese Vollversammlung mehr sein will und muss als ein ökumenischer „Markt der Möglichkeiten“, so ermutigend ein solch buntes Angebot ökumenischer Vielfalt auch immer wirken mag. Deshalb gilt zuallererst: Die Vollversammlung in Busan hat die Aufgabe, ein klares Mandat für Prioritäten der ökumenischen Zusammenarbeit für die nächsten sieben Jahre zu geben und sie steht damit zugleich in der Pflicht aufzuzeigen, wie der ÖRK zur Erfüllung dieser Aufgabe ausgerüstet werden kann. Im Programmablauf der Vollversammlung muss es für die Klärungen solcher Mandatsfragen genügend Raum gegen. Busan darf nicht in der Dauerreflexion verharren, sondern muss entschlussfähig sein!


Vorschläge zur Stabilisierung des ÖRK in Inhalt und Struktur

• Die Ökumenische Bewegung war in ihrer Geschichte immer dann lebendig und zukunftsfähig, wenn die Mitgliedskirchen sich für die Jahre zwischen zwei Vollversammlungen auf ein inhaltliches Thema verpflichteten, das sie im Sinne von Gottes Verheißung und Gebot als „Zeichen der Zeit“ erkannten und als gemeinsamen Bezugspunkt ihres Denkens und Handelns anzunehmen bereit waren. In den ersten Jahren des ÖRK war dies die Frage nach der „Beziehung der der christlichen Hoffnung zu den Hoffnungen der Welt“ (1948-1954), später die „Bedeutung der Einheit der Kirchen für die Einheit der Menschheit“ (1961-1968), zwischen Nairobi und Vancouver (1975-1983) die Suche nach einer „Kirche in Solidarität mit den Armen“, zwischen Harare und Porto Alegre die Auseinandersetzungen mit der Globalisierung im „Agape-Prozess“ (1997-2006). Im Rahmen solcher gemeinsamen Verpflichtungen konnte bzw. kann die gegenseitige Rechenschaftslegung der Kirchen eingeübt werden, konnten Prozesse der Heilung, der Befreiung und der Versöhnung eingeübt werden, konnten in Prozessen von Versuch und Irrtum Lösungen erarbeitet werden, die den lokalen Bedürfnissen der Kirchen und den globalen Perspektiven der Weltchristenheit entsprechen. Solche Lösungen müssen nicht notwendig einmütig erfolgen, aber sie bleiben aufeinander bezogen und sind deshalb offen für bessere Praxis. Sie spiegeln eine dynamische Gemeinschaft wieder und sind deshalb mehr als die Festschreibung des zwischenkirchlichen „status quo“. Bleiben in dieser verpflichtenden Wahrheitssuche Konziliarität und Katholizität der Kirchen aufeinander bezogen, dann wird damit ernst gemacht, dass Kirchen nur Kirche sind und bleiben in der Gemeinschaft mit den anderen Kirchen.

Die Diskussionen dieser Tagung haben deutlichen werden lassen, dass es unterschiedliche Zugänge zu einer gemeinsamen Thematik gibt, die mit den Titeln „Klimagerechtigkeit“, „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens“ und „tranformatorische Kirche“ umschrieben werden können. Von vielen Mitgliedskirchen werden die damit angesprochenen Herausforderungen als dringlich für ihre Zukunft verstanden. Der ÖRK selbst hat mit wegwesenden Erklärungen und Studien aus den zurückliegenden Jahren Beziehungen zwischen den biblischen-theologischen, spirituellen, ekklesiologischen und sozialethischen Dimensionen dieser Thematik hergestellt. In mehreren Gesprächen während dieser Tagung wurden Fingerübungen zur Formulierung eines solchen „Schwerpunktthemas“ versucht, das in folgende Richtung entwickelt werden könnte: „Becoming Transformative Churches on a Pilgrimage of Justice and Peace“

In ein solches „Schwerpunktthema“ könnten die unterschiedlichen Kirchen und Konfessionsfamilien ihre verschiedenen Erfahrungen und vielfältigen Einsichten einbringen. Sind sie doch alle mit den entsprechenden Herausforderungen konfrontiert. Die einen mehr als Täter, die anderen mehr als Opfer, was die unübersehbare Konflikthaltigkeit und die Interessen- und Machtkämpfe in den anstehenden Auseinandersetzungen unterstreicht. Die Chancen zu einer solchen Prioritätensetzung können dadurch wachsen, dass ein solcher thematischer Rahmen nicht als ein einliniges politisches Programm entworfen wird, sondern in seinen biblischen, spirituellen, ekklesiologischen, sozialethischen Dimensionen differenziert entfaltet wird. Dem ÖRK käme dabei die Aufgabe zu, diese Prozesse zu steuern und zu vernetzen, Ergebnisse zu kommunizieren und auszuwerten. Für Busan stellt sich im Gefälle solcher Überlegungen die Frage, ob die Mitgliedskirchen dem ÖRK bei der Entwicklung und Entfaltung eines solchen verbindlichen Themas eine aktive Rolle zuerkennen und ob sie ihm dafür eine belastbare Logistik zugestehen werden.


• Eine solche inhaltliche Prioritätenplanung für die nächsten sieben Jahre erfordert eine Konzentration von Ressourcen und Kompetenzen, wie sie gegenwärtig mit dem geringen Stab von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des ÖRK kaum zu erreichen ist. Wenn davon ausgegangen werden muss, dass auf absehbare Zeit dieser Engpass auf Genfer Ebene nur schwer zu überwinden ist, bedarf es einer klugen Verknüpfung regionaler und lokaler Ressourcen auf der Grundlage einer konstruktiven Arbeitsteilung. Hier können und müssen die vielfältigen Kompetenzen der Mitgliedskirchen und Konfessionsfamilien ins Spiel gebracht und der Ökumenischen Bewegung als Ganzer bereit gestellt werden, wie dies auch in der Vergangenheit immer wieder geschehen ist. So hat etwa die anglikanische Familie in den zurückliegenden Jahrzehnten immer wieder Pionierdienste in Fragen des Dialogs der Religionen, die traditionellen Friedenskirchen haben stets wegweisende Initiativen und Beiträge in die Ökumenische Bewegung eingebracht, deutsche Kirchen haben versucht, ihren finanziellen Reichtum dem Entwicklungsdienst der Kirchen zur Verfügung zu stellen. Im Vorfeld von Busan könnte und sollte damit begonnen werden, solche vielfältigen Ressourcen und Kompetenzen sichtbar zu machen, um auf der Vollversammlung selbst zu verbindlichen Absprachen über Forschung, Spiritualität, Handlungsperspektiven und Kampagnen zu gelangen.

Der ÖRK als Organisator einer konstruktiven Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedskirchen hat in solchen Prozessen eine aktive Rolle. Er ist nicht nur Einberufer, sondern auch Vermittler. Er steuert die Auswertungen, er erinnert und mahnt, Verpflichtungen einzuhalten. In alledem konkretisiert er seine elementare Rolle, als einziges global und multilateral arbeitendes Instrument der Christenheit diese zu Gemeinsamkeit und Erneuerung zu rufen. Und – um dies nicht zu vergessen – den aus theologischen Gründen notwendigen Streit um die Grenzen unbestreitbarerer Pluralität in Gang zu halten.


• In der Geschichte der Ökumenischen Bewegung hat sich das Modell der gegenseitigen Visitationen, die sog. „Team-Visits“, als ein effektives und nachhaltiges Instrument zur Rechenschaftslegung zwischen den Kirchen erwiesen. Die vom ÖRK seit seinen Anfängen immer wieder organisierten ökumenischen Besuchsprogramme haben entscheidend dazu beigetragen, inhaltliche Kontroversen zu klären, Blockaden in der Kommunikation zu überwinden und die Arbeit an unversöhnlich erscheinenden Differenzen lebendig zu halten. In der gemeinsamen Arbeit an den Herausforderungen eines in Busan entwickelten „Schwerpunktthemas“ sollte meines Erachtens das Instrument der Visitationen klug und sensibel genutzt werden, um zu einem Austausch unterschiedlicher Verstehensweisen und Handlungsmodelle zu gelangen und im Zuge von Versuch und Irrtum zu größerer Gemeinsamkeit zu gelangen. Kommt es in Busan zu entsprechenden Beschlüssen für einen „gemeinsamen Pilgerweg“ der Kirchen, dann wären lokale und regionale „Pilgerherbergen“ zu entdecken und zu entwickeln, in denen solche Visitationen ihren Ort finden können, um die gegenseitige Rechenschaftspflichtigkeit zu leben!

Wir erinnern uns: Am Anfang des ökumenischen Weges der deutschen evangelischen Kirchen nach dem II. Weltkrieg stand eine solche Visitation, die Begegnung von Stuttgart im Oktober 1945. Sie führte zu dem wichtigen „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ von Mitgliedern des neu konstituierten Rates der EKD, das in der Ökumenischen Bewegung nachhaltig wirksam werden sollte. Nicht zuletzt aufgrund dieser eigenen Erfahrung sollten sich deutsche Mitgliedskirchen dafür stark machen, dass der ÖRK auch für die kommenden sieben Jahre dieses Modell ökumenischer Kommunikation nutzen kann und darf

• Generationen von Ökumenikerinnen und Ökumenikern haben seit dem Ende des II. Weltkrieges in sog. „Ökumenischen Aufbaulagern“ die Bedeutung ökumenischer Begegnung leibhaftig erfahren. Viele von ihnen haben auf den Schutthalden der Geschichte erfahren, dass Wunden geheilt und auch Schuld abgetragen werden kann. So wurde für sie Ökumene zu einem Lebensthema. Vergleichbare Wirkungen sind in den zurückliegenden Jahren von vielen Jugendlichen an sozialen, ökologischen und politischen Brennpunkten in ökumenischen Freiwilligendiensten gemacht worden. Ohne solche „Lernorte“ droht unseren Kirchen nicht nur das notwendige ökumenische Personal auszugehen, das die ökumenischen Institutionen der kommenden Jahre und Jahrzehnte zu gestalten vermag. An solchen Lernorten können zudem die „Transformationen“ eingeleitet werden, die wir für die Gestaltung der Zukunft der Kirchen elementar brauchen. In ihnen wird ja jene tranformatorische Spiritualität leibhaftig erfahren, die in diesen Tagen immer wieder eingefordert wurde. In ihnen werden alternative Lebenshaltungen eingeübt. Aus der Erfahrung dass moralische Appelle und Wissen allein nach keine Verwandlungen einleiten, sollten solche „Lernorte“ mit Priorität geschaffen und angeboten werden. Auf sie ist ein zukunftsfähiger ÖRK elementar angewiesen.


Quo vadis ÖRK?

Ist es vermessen, in einer Phase des institutionellen Niedergangs der Ökumenischen Bewegung von der anstehenden Jubiläumsvollversammlung eine Stabilisierung, ja sogar eine Revitalisierung des ÖRK zu erwarten? Ich bin kein Prophet, um diese Frage zu beantworten. Ich habe Ihnen Perspektiven vorgetragen, die Chancen haben sollten eingelöst zu werden um den gegenwärtigen Negativtrend zu wenden. Was ich Ihnen, die Sie nach Busan reisen, vermitteln wollte ist das Gefühl dafür, dass der ÖRK – wieder einmal – an einem Scheideweg steht. Wir anderen, die wir von zuhause dieses Jubiläum mit Interesse, Sympathie und Gebet begleiten, tun dies im Bewusstsein, dass es weiterhin lohnt, das ökumenische Feuer nicht ausgehen zu lassen, sondern es am Brennen zu halten!

Wer die Geschichte der Ökumenischen Bewegung der Neuzeit kennt, weiß dass die regelmäßigen Vollversammlungen rückblickend immer dann als wegweisend gewürdigt wurden, auf denen es den Delegierten gelungen ist, die „Zeichen der Zeit“ zu lesen und daraus eine von Gott gegebene „Zeitansage“ zu formulieren. Hoffnungen auf eine Revitalisierung des ÖRK leben deshalb von dem Glauben, dass Gott auf der Vollversammlung von Busan spricht und dass die dort Anwesenden auch seine Stimme vernehmen. Ich wünsche allen, die nach Busan reisen diesen Glauben. Ich wünsche Ihnen die Erfahrung eines „Kairos“!


Karl-Heinz Dejung
04. April 2013

Impulsbeitrag zum Abschluss einer Vorbereitungstagung für die ÖRK-Vollversammlung in Busan, die vom 2-4. April 2013 in der Evangelischen Akademie in Arnoldshain stattfand.