2015: Restauration auf Raten

Quelle:  Junge Welt, 02.09.2015
Mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers.
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Restauration auf Raten

Am 2. September 1945 endete mit Japans Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde offiziell der Zweite Weltkrieg (Teil II und Schluss): Ein imperialistisches Projekt und sein Untergang
Von Rainer Werning



Von 1930 bis 1940 erlebte Japan ein phänomenales Wachstum seiner Wirtschaft. In diesem Jahrzehnt wuchs die Industrieproduktion um das Fünffache. Im selben Zeitraum war die jährliche Stahlerzeugung von anfänglich 1,8 auf 6,8 Millionen Tonnen und die Fertigung von Automobilen und Flugzeugen von 500 beziehungsweise 400 im Jahre 1930 auf 48.000 bzw. 5.000 im Jahre 1940 gestiegen.


Kriegs- und Kommandowirtschaft

Ebenso rasant stieg die Schiffsproduktion – von einer Tonnage bei Handelsschiffen von 92.093 (1931) auf über 405.195 im Jahre 1937. Die Militärausgaben wuchsen ebenfalls überproportional. Gemessen am Gesamthaushalt Japans beliefen sie sich auf knapp 30 Prozent im Jahre 1931, erreichten ihren Höhepunkt 1938 (ein Jahr nach der großangelegten Invasion gegen China) mit 75,4 Prozent, um sich danach bei mindestens zwei Dritteln einzupendeln. Gleichzeitig stockte Japan seine Streitkräfte drastisch auf. Allein von 1936 bis 1941 verdoppelte sich die Zahl der Wehrpflichtigen und die der Divisionsstärke von 24 auf 50, von denen 27 Divisionen in China, 12 in der von China abgetrennten Mandschurei und der Rest auf der koreanischen Halbinsel stationiert waren. Die Zahl der einsatzbereiten Soldaten überschritt bald die Marke von sechs Millionen. 1941 verfügte Japan im Pazifik über eine Kriegsmarine, die stärker war als die Streitmacht der USA und Großbritanniens in der Region.

Die Wirtschaft war unter dem Kommando des Militärs in eine Kriegswirtschaft umgewandelt worden, wobei alles unternommen wurde, um ausreichend Vorräte strategisch bedeutsamer Rohstoffe anzulegen, die wesentlich aus China und Korea sowie aus Niederländisch-Indien und Indochina bezogen wurden. Im August 1940 hatte das Vichy-Regime in Frankreich der Forderung Japans zustimmen müssen, Flugplätze und Marinebasen der Kolonialmacht in Indochina zu nutzen, von denen aus Japan den noch über die Birmastraße laufenden Nachschub für Tschiang Kai-tschek und die chinesische Regierung in Chungking unterbinden wollte. Bis zum Sommer 1941 war Indochina mitsamt seinen bedeutsamen Rohstoffvorkommen (Gummi, Zinn, Kohle, Mangan, Bauxit und Nickel) ohne nennenswerten Widerstand Japan überlassen worden, wo seine Truppen jetzt nach Belieben schalten und walten konnten. Je mehr die USA und Großbritannien ihren Druck auf Japan verstärkten, sich aus China und Indochina zurückzuziehen, desto vehementer warf Tokio ihnen vor, mit ihrer Embargo- und Sanktionspolitik das Land in die Knie zwingen zu wollen.


Belebung des Panasianismus

Mit Blick auf die Regionen Ost- und Südostasien reaktivierte und beschwor Japan seine panasiatische Vision – diesmal in Gestalt der »Größeren Ostasiatischen Gemeinsamen Wohlstandssphäre« (GOGW), die sich aus dem religiös-ideologischen Konstrukt des Staats-Shinto (»Weg der Götter«) nährte. Demnach bestand keine Trennlinie zwischen mythisch verklärter und wirklicher Geschichte: Die Größe der eigenen Nation wurde ebenso beschworen wie der unerschütterliche Glaube an eine seit Menschengedenken bestehende Großfamilie – geführt von einem Tenno mit göttlicher Aura, Ahn einer ununterbrochen regierenden Herrscherdynastie.

Offiziell verkündete die Regierung in Tokio ihr Konzept der GOGW auf einer Pressekonferenz am 1. August 1940 durch Außenminister Matsuoka Yosuke. Japans Außenpolitik, so Matsuoka, ließe sich von dem Gedanken leiten, »die Größere Ostasiatische Gemeinsame Wohlstandssphäre mit Japan, der Mandschurei und China als ihrem Kern zu errichten«.

»Die Welt«, so beginnt die japanische Regierungserklärung, »ist an einem Wendepunkt angelangt, da neue Formen der Regierung, Wirtschaft und Kultur entstehen (…) Um in dieser Lage unsere nationale Politik in Übereinstimmung mit dem hehren Geist, in dem unser Land gegründet wurde, durchzusetzen, stellen wir uns der bedeutsamen Aufgabe und dringlichen Notwendigkeit, den unausweichlichen Entwicklungen der Weltgeschichte Rechnung zu tragen, zügig grundlegende Erneuerungen in allen Bereichen der Regierung einzuleiten und die Vervollkommnung einer Staatsstruktur anzustreben, die für die nationale Verteidigung entsprechend gewappnet ist«.

Als vorrangiges Ziel enthielt die Erklärung vom 1. August 1940 die Schaffung des Weltfriedens im Gründergeiste Japans. Als erster Schritt in diese Richtung »dient der Aufbau einer neuen Ordnung im Größeren Ostasien, dessen Fundament die Solidarität von Japan, Mandschukuo (des nach der Besatzung der Mandschurei 1931 im Frühjahr 1932 dort ausgerufenen Marionettenstaates, R. W.) und China ist.« Die nationale Verteidigung und Außenpolitik Japans müssten so gestaltet werden, dass das Land den neuen Herausforderungen – darunter »eine vollständige Beilegung der China-Angelegenheit« – gemäß seiner Stärke vollauf gewachsen ist. Sämtliche internen Strukturen sollten so weit verändert und erneuert werden, dass sie sich »in Harmonie mit den fundamentalen Prinzipien der nationalen Politik befinden«. Landesweit galt es, solche ethischen Grundsätze zu verankern, »die den Dienst für den Staat über alles stellen und selbstsüchtige und materialistische Gedanken ausmerzen«. Staat, Gesellschaft und das Kaiserhaus sollten im nationalen Einklang und Interesse künftig enger zusammenarbeiten.

Weiter heißt es in dem Dokument vom 1. August 1940: »Der Aufbau der nationalen Verteidigungswirtschaft basiert auf der autonomen Entwicklung der Wirtschaften von Japan, Mandschukuo und China mit Japan als ihrem Zentrum.« Anschließend ist in elf Punkten skizziert, wie Japans Kriegswirtschaft zu organisieren sei. Dazu zählten beispielsweise die Einführung staatlicher Planung und Regelung, die stärkere Einbindung der Bevölkerung sowie die Perfektionierung eines vereinheitlichten Kontrollsystems in den Bereichen Produktion, Verteilung und Konsum lebensnotweniger Güter, um die Selbstversorgung des Landes zu garantieren. Das Finanzwesen sollte effektiver gestaltet und der Bankensektor unter staatliche Aufsicht gestellt werden. Avisiert wurde in diesem Zusammenhang eine »epochale Ausweitung solch lebensnotwendiger Industrien wie der chemischen, Maschinen- und Schwerindustrie, gekoppelt mit einer ebenso bahnbrechenden Förderung der Wissenschaft und der Rationalisierung der Produktion«.


»Asien den Asiaten«

Das GOGW-Konzept zielte im Innern auf die Umgestaltung von Staat, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, um für die bevorstehenden Kriegshandlungen in der Region gewappnet zu sein. Gleichzeitig versuchte man den antikolonialen und antiimperialistischen Geist, der zahlreiche Länder Ost- und Südostasiens erfasst und zum Widerstand gegen die westlichen Kolonialmächte getrieben hatte, für japanische Interessen zu instrumentalisieren. Diese Bestrebungen wurden in der Losung »Asien den Asiaten« zum Ausdruck gebracht. Schließlich war das GOGW-Konzept auch Teil der Strategie Tokios, im Westen die Allianz mit den faschistischen Regimen in Deutschland und Italien zu festigen, um: a) in China den Rücken frei zu bekommen, wo sich Japans Feldzug aufgrund der Zusammenarbeit zwischen Nationalisten und Kommunisten schwieriger und verlustreicher als ursprünglich angenommen erwies; b) als rohstoffarmes Land die Invasion des insularen und kontinentalen Südostasien vorzubereiten, um sich dessen Bodenschätze anzueignen (beispielsweise Öl aus Niederländisch-Indien und Kautschuk aus Indochina) und die eigene Kriegsindustrie auszuweiten sowie c) dort jene Kolonialmächte (England, Frankreich und die Niederlande) zu schwächen, die mittlerweile in Europa in den Krieg hineingezogen worden waren.

In Japan selbst stießen diese Ideen auf keinerlei nennenswerten Widerstand. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung konnte sich damit identifizieren, stärkte dies doch die Binnensolidarität, den Glauben an die eigene herausragende Stellung in Asien und die »Mission« ihrer Regierung in der Region – nämlich einen von Japan dirigierten autarken Block asiatischer Nationen, frei von Einflüssen westlicher Mächte, zu schaffen. Entsprechend wurden die Invasionen der japanischen Truppen in Ostasien, Südostasien und im Pazifik in Tokio als der Große Ostasiatische Krieg zur Befreiung Asiens vom Joch des europäischen und US-amerikanischen Kolonialismus bezeichnet.

Kernanliegen der GOGW war, die ost- und südostasiatischen sowie pazifischen Regionen in die ökonomische und politische Abhängigkeit des japanischen Zentrums zu bringen. Aus der Sicht Tokios wähnte man sich als Mittelpunkt, sozusagen als Krone der Schöpfung von des Kaisers Gnaden und als natürlicher »Führer der asiatischen Rassen«. Um dieses Zentrum herum sollten sich – in Form kleinerer und größerer konzentrischer Kreise – unterschiedliche Länder gruppieren, aus denen Tokio die für den Unterhalt seiner Kriegsmaschinerie benötigten Ressourcen bezog – von Bodenschätzen bis hin zu »Menschenmaterial«. Zum engsten Kreis zählten das östliche China, Korea und die Insel Formosa (Taiwan), die als Reiskammern Japans dienen sollten. Ein größerer Kreis umfasste neben den Kernlanden Chinas Kontinentalsüdostasien (im Westen bis einschließlich Thailand) und mit den Philippinen einen Teil des insularen Südostasien. Schließlich wurden als äußere Peripherie die pazifische Inselwelt (einschließlich Indonesien, Papua-Neuguinea, Nordaustralien) und der indische Subkontinent mit Birma als Brücke zwischen Südost- und Südasien betrachtet. Aus diesen Regionen sollten jeweils strategisch wichtige Rohstoffe (von Erdöl, Kupfer, Kautschuk und Bauxit bis hin zu Baumwolle) bezogen werden, die sowohl zivilen wie militärischen Zwecken dienten. Sie sollten Tokio befähigen, sich gänzlich unabhängig vom Handel mit anderen Ländern und Regionen zu machen und Embargomaßnahmen des Westens zu unterlaufen. Gleichzeitig wollte sich Japan in diesen Regionen Absatzmärkte für seine Produkte und Land für Siedlungsprogramme sichern.


»Erstklassiges Land«



Das GOGW-Konzept knüpfte in dieser Ausprägung an frühere Vorstellungen an, die in den 1920er und 1930er Jahren konkretere Gestalt annahmen. Die Überzeugung, dass Japan »allen anderen asiatischen Rassen« kulturell überlegen sei, war bereits im späten 19. Jahrhundert virulent. Fukuzawa Yukichi (1835–1901) beispielsweise, ein einflussreicher Autor, politischer Theoretiker, Pädagoge und Gründer der renommierten Keio-Universität, vertrat in seiner 1882 veröffentlichten Schrift »Japans Mission in Asien« die Idee einer asiatischen Leitkultur unter japanischer Führung, welche vor allem nach Japans Sieg über das zaristische Russland (1904/05) an Konturen gewann. In diese Zeit fiel auch die Gründung mehrerer ultranationalistischer Gruppierungen wie der Schwarzer-Drachen-Gesellschaft, die geheimdienstliche Tätigkeiten in Russland, den USA und einigen Ländern Südostasiens (z. B. im Süden der Philippinen) mit messianischem Sendungsbewusstsein »der einzigartigen, moralisch reinen, auf die Sonnengöttin Amaterasu zurückgehenden Yamato-(japanischen) Rasse« und eigenen Herrschaftsansprüchen verknüpften.

Kolonialbesitz sah Japan als eine Vorbedingung dafür an, international Ansehen zu erlangen und in die Phalanx der »erstklassigen Länder« (ittô koku) vorzustoßen. Durch eine Reihe politischer Maßnahmen seitens des Westens wähnten sich Tokios Diplomaten indes in die Enge gedrängt und auf provokante Art gedemütigt. 1919 war auf der Versailler Friedenskonferenz Japans Ansinnen, in das Regelwerk des Völkerbundes eine Klausel über die Rassengleichheit aufzunehmen, brüsk abgelehnt worden. Als es 1921/22 auf der Washingtoner Flottenkonferenz darum ging, in Marineverträgen die Höchstgrenze von Kriegsschiffen festzulegen, fühlte sich Tokio benachteiligt; es wurde eine Regelung im Verhältnis von 5:5:3 für die USA, Großbritannien und Japan getroffen. Und im Jahre 1924 wurde in Washington ein Gesetz erlassen, dass Japanern die Immigration in die Vereinigten Staaten verwehrte.


»Licht, Beschützer, Führer Asiens«

Alle diese Maßnahmen begünstigten in Japan eine Politik, die in eben der GOGW ihren Ausdruck fand. Um sie den Nachbarn akzeptabel erscheinen zu lassen, propagierte Tokio als eines seiner Ziele, den noch vom westlichen Kolonialismus unterdrückten Ländern beizustehen und ihnen zur Unabhängigkeit zu verhelfen. Flankiert wurde dies von einer offensiven Aktion, in der sich »das japanische Kaiserreich als Zentrum und Pionier der östlichen Moral und des kulturellen Wiederaufbaus, als Licht Asiens, Beschützer Asiens und Führer Asiens« wähnte.

Doch schon bald musste die Bevölkerung in den besetzten Ländern am eigenen Leib erfahren, wie wenig die Wirklichkeit der neuen japanischen Ordnung mit den hehren Idealen der Gemeinsamen Wohlstandssphäre gemein hatte. Die von Japan in zahlreichen Ländern der Region eingesetzten lokalen Regierungen waren Marionettenregimes – vollkommen abhängig von der Gnade Tokios und der eigenen Bevölkerung entfremdet. In jenen Ländern zeigten die neuen Kolonialherren eine Verachtung lokaler Sitten, Bräuche und Glaubensvorstellungen und strebten statt dessen eine umfassende »Japanisierung« an. Die Folge: Hunderttausende in den Ländern Ost- und Südostasiens wurden als Widerstandskämpfer gefoltert und hingerichtet oder starben als Zwangsarbeiter wie beim Bau der Thailand-Birma-Bahn. Die großspurig verkündete GOGW entpuppte sich früher oder später als zumindest ebenso repressiv wie die Regime der westlichen Kolonialmächte.


Schutz des Tenno

Unter dem Besatzungsregime von US-General Douglas MacArthur, des Oberbefehlshabers der Alliierten im Fernen Osten und Pazifik, wurde unmittelbar nach der Kapitulation Japans das Land von der Außenwelt abgeriegelt: Die japanische Währung (Yen) war nicht konvertierbar, und den Japanern waren Auslandsreisen untersagt. Die USA stellten etwa zwei Drittel aller japanischen Importe, während sie selbst weniger als ein Viertel seiner Exporte abnahmen. Auf politischer Ebene erwirkte MacArthur die Durchsetzung einer nach amerikanischem Vorbild modellierten Verfassung, die am 3. Mai 1947 in Kraft trat. Ihre Kernpunkte waren die Kompetenzbeschneidung des Kaisers sowie das im Artikel 9 festgeschriebene Wiederaufrüstungsverbot: »Das japanische Volk verzichtet auf ewig auf Verwendung von Waffengewalt als Mittel zur Beilegung von internationalen Auseinandersetzungen. Um den Zweck des obigen Abschnittes zu erreichen, werden keine Land-, See- und Luftstreitkräfte oder sonstiges Kriegsmaterial unterhalten. Das Recht auf Kriegführung durch den Staat wird nicht anerkannt.«

Gemäß einer am 27. Dezember 1945 in Moskau getroffenen Vereinbarung wurden zwei internationale Körperschaften zur Überwachung des besetzten Nachkriegsjapan aus der Taufe gehoben. Der Fernostkommission (FEC) in Washington fiel die Formulierung und Bestimmung der für Japan fortan geltenden politischen Richtlinien zu. Der von Repräsentanten der vier Siegermächte zusammengesetzte Alliierte Rat für Japan (ACJ) mit Sitz in Tokio wachte unter Federführung MacArthurs über die Durchführung der Festlegungen. Auffällig an Washingtons Okkupationspolitik war der milde Umgang mit den Architekten des japanischen Militarismus: Eine mit Deutschland vergleichbare »Entnazifizierung« gab es nicht. Aufgrund des vom Alliierten Kriegsgericht für den Fernen Osten, dem ostasiatischen Pendant zum Nürnberger Tribunal, verkündeten Urteils wurden Ende 1948 lediglich sieben vormals hochrangige Politiker und Militärs gehängt. Kaiser Hirohito, dessen über 60jährige Regentschaft (1926–1989) als Showa-Ära (»Weg des Friedens«) in die Geschichtsannalen einging, blieb unangetastet, wenngleich er für Japans militaristische Politik mitverantwortlich und in diese verstrickt war.

Washington mied bewusst eine öffentliche Demontage des Tenno, was politisch und sozial mit großen Unwägbarkeiten verbunden, wenn nicht letztlich sogar kontraproduktiv gewesen wäre. MacArthur und seinem Stab ging es vielmehr um die Entflechtung von Mythos und Wirklichkeit. So wurde per Direktive vom 15. Dezember 1945 der Staats-Shinto untersagt und in der kaiserlichen Neujahrsbotschaft vom 1. Januar 1946 hieß es denn auch, dass die zwischen dem Kaiser und seinem Volk bestehenden »Bande stets durch gegenseitiges Vertrauen und beiderseitige Verehrung geknüpft waren. Sie hatten ihren Ursprung weder in einem Mythos noch in der Legende. Sie beruhten nicht auf den fiktiven Ideen, dass der Kaiser ein menschgewordener Gott (akitsu mikami) und das japanische Volk eine höherwertige Rasse darstellt, dazu auserkoren, die Welt zu beherrschen.«


Restauration unter US-Aufsicht

Wie die Westzonen in Deutschland wurde auch Japan im eskalierenden Kalten Krieg ein zunehmend geschätzter Juniorpartner der USA, deren stramm antikommunistisch ausgerichtete Kooperation an Intensität gewann, je mehr sich auf dem chinesischen Festland ein Sieg der Kommunisten unter Mao Tsetung abzeichnete. In Japan selbst wurde gegen linke Organisationen und Politiker ein Kesseltreiben entfesselt und große Arbeiterstreiks, die seit 1946 auf einen grundlegenden sozialen Wandel abzielten, wurden von der Besatzungsmacht niedergeknüppelt. Am 1. Februar 1947 wurde schließlich ein Generalstreik gewaltsam aufgelöst und im Juli 1948 das generelle Streikverbot im öffentlichen Dienst erwirkt.

Den im April 1949 von der Dodge-Mission – benannt nach dem Detroiter Bankier Joseph M. Dodge – ausgearbeiteten Wirtschaftsempfehlungen folgten unverzüglich entsprechende Schritte: Die Yen-Dollar-Parität wurde auf 360:1 festgesetzt, eine Niedrigzinspolitik stattete die weitgehend intakt gelassenen und nicht von Entflechtungen oder gar Demontagen bedrohten Großunternehmen mit benötigten Krediten aus und gewerkschaftliche Aktivitäten blieben untersagt. Überhaupt: Die industrielle Basis Japans blieb nach dem Kriege weitgehend unangestatet – mit Ausnahme von Handelsgesellschaften und Kriegsgewinnlern während des China-Feldzuges wie Mitsui. Ferner wurden die Großbanken, die in der Vorkriegsperiode als Schaltstellen der Oligopole fungiert hatten, gänzlich verschont. Mittels niedrig verzinster Kredite im Zuge einer staatlich gelenkten Politik des billigen Geldes vermochten die notorisch hochverschuldeten und mit einer vergleichsweise dünnen Eigenkapitaldecke ausgestatteten Unternehmen wie beispielsweise Fuji, Mitsubishi, Sanwa, Sumitomo und Mitsui Dai-Ichi durch eigene Konzernbanken schon recht bald in neuem Glanz zu erstrahlen.

Rascher als erwartet entwickelte Washington eine rege diplomatisch-politische Offensive, um mit Tokio zu einem normalen Modus vivendi zu gelangen, der es erlaubte, die Souveränität dieses Landes wiederherzustellen und seine Rolle in der Region als enger Verbündeter der USA zu festigen. Grundvoraussetzung dafür war der Abschluss eines Friedensvertrages, der allerdings Sache sämtlicher Siegermächte war und zumindest ihrer gemeinsamen Konsultationen bedurft hätte.

Im April 1949 wurde der spätere US-Außenminister John Foster Dulles unter Umgehung der Sowjetunion mit den Vorbereitungen eines – notfalls – separaten Friedensvertrages mit Tokio betraut. Die Eile, mit der das Zustandekommen dieses Abkommens forciert wurde, resultierte aus den grundlegend geänderten Machtkonstellationen in der Region. Am 1. Oktober 1949 hatte Mao die Volksrepublik China ausgerufen, während das politische Konfliktpotential auf der koreanischen Halbinsel stetig wuchs. In dieser Situation durfte Japan kein unsicherer Kantonist sein; es musste – auch nach außen hin sichtbar – souverän sein und als Bollwerk gegen das neue China und die UdSSR dienen.

Am 8. September 1951 wurde schließlich der Friedensvertrag mit Japan in San Francisco unterzeichnet, der am 28. April 1952 in Kraft trat. Noch am selben Tag schlossen die USA und Japan einen bilateralen Sicherheitspakt, der die Aufrechterhaltung der US-Basen und den Verbleib von GIs auf japanischem Boden (einschließlich Okinawa) ausdrücklich festschrieb.

Teil 1: Imperiales Design


Rainer Werning ist Sozialwissenschaftler und Publizist mit den Schwerpunkten Südost- und Ostasien.







 

Geschichtsinterpretationen