2008: Besuch Albruschat
Die DIAKONIA lebt
Besuch bei den Schwestern in Korea
Pfarrer Hartmut Albruschat
Nach meiner Teilnahme an dem 3. koreanisch-japanisch-deutschen Symposium in Seoul/Korea vom 31.3. bis 4.4. 2008 habe ich die Gelegenheit genutzt und die koreanische Schwesternschaft DIAKONIA auf ihren Arbeitszentren in Cheonan und in Mokpo besucht.
Wenn man 7 Jahre nicht in Südkorea war, fällt die rasante Entwicklung des Landes ins Auge. Wirtschaft und Industrie, Wohnkomplexe und technische Neuerungen zeigen deutlich, warum Korea ein kleines Wirtschaftswunder erlebt hat. Dazu gehören natürlich die Probleme, die hoch entwickelte Länder weltweit in sich tragen. Die soziale Kluft von Arm und Reich, die Frage nach dem Verkraften von Fremdarbeitern und deren Integration, die große Landflucht und das immer noch offene Thema der sehr gewünschten Wiedervereinigung mit dem Norden spülen einen Europäischen Besucher mitten in die Diskussionswellen der koreanischen Gesellschaft von heute.
Die erste Station sollte der neue Schwesternstützpunkt in Cheonan sein. Das moderne Eisenbahnnetz ermöglicht problemlos das Kaufen von Tickets, obgleich man auch hier so seine Merkwürdigkeiten erleben kann. Im Schnellzug saß ich auf dem ausgedruckten Platz, als ein weiterer Fahrgast meinen Platz beanspruchte. Bei genauem Hinsehen hatte man mir ein Ticket für einen viel späteren Termin im April verkauft. Da mein Zielbahnhof schnell erreicht werden würde, war das kurze Warten bis zum Aussteigen keine Herausforderung. Anders war es auf dem Bahnhof. Den kannte ich so nicht. Super modern, Rolltreppen. Glas, Geschäfte, gute Wegweisung, und alles auch in Englisch. Nur der Name: früher hieß er Cheonan, heute las ich: Cheonan-Ansan.
Korea entwickelt sich entlang der Verkehrsstrecken durch das Land. Das konnte ich hier deutlich zur Kenntnis nehmen. Um den Superbahnhof herum wird eine neue Stadt mit Industrie und Wohnen entstehen. 20 Min. von der Hauptstadt entfernt ein idealer Platz zum Leben, auch für Zulieferindustrien. Das Kreisstädtchen Cheonan wird zu einer kleinen Großstadt; geplant sind ca. 250 000 Einwohner.
Von dieser Entwicklung in den letzten Jahren wusste ich nichts. Also, kaum verwunderlich, dass niemand zur Abholung wie verabredet bereit stand. Nach 30 Min. habe ich telefoniert; die Assistentin im Info-Kiosk sprach perfekt Englisch. Oberin KIM Jong Ran am anderen Ende der Leitung fiel aus allen Wolken, entschuldigte sich vielmals und versprach den Wagen zu schicken. Sie hatte mit meiner Ankunft auf dem kleinen Bahnhof von Cheonan gerechnet.
Ein pensionierter Major der Südkoreanischen Streitkräfte, früher flog er Hubschrauber, holte mich ab. Er ist eine wichtige Hilfe für die Diakonissen. Über toll ausgebaute Straßen, die die enorme Entwicklung noch mehr verdeutlichten, kamen wir bald in mir bekannte Gegenden und erreichten das auf einer kleinen Anhöhe gelegene Gelände der Schwestern. Das Hallo und Umarmen war herzlich wie eh und je.
Die Gespräche am Abend und an den beiden anderen Tagen waren für mich sehr instruktiv.. Gerade die Oberin, Schwester Kim machte immer wieder deutlich, dass die Schwestern von einem soliden Freundeskreis getragen werden. Der Sonntags-Gottesdienst bringt immer wieder bis zu 20 Personen zusammen, die dann bis nach dem Mittagessen bleiben. Die Retrait-Arbeit mit Gemeindegruppen und Einzelpersonen ist angenommen und wird weiter ausgebaut. Die für die kleine Gruppe der Schwestern viel zu weiträumigen Gebäude, - von Prof. Ahn damals noch nach einem anderen Konzept entworfen werden genutzt, so gut man es kann. Neben dem Mutterhaus, das nur für die Diakonissen zugänglich ist, wird die große Küche mit dem Essraum und der Kapelle das Zentrum zum Treffen, sich Begegnen und Reden.
Das Problem des Nachwuchses wird diskutiert, etwas verhalten Gott wird helfen denn die Zahl stagniert. Die Schwestern freuen sich über eine kleine Lebensgemeinschaft, die Pfarrer Chung in einem kleinen Dorf in der Nähe von Cheonan aufgebaut hat. Der handwerklich sehr geschickte Mann baut seit 5 Jahren an einem Begegnungszentrum auf ökologischer Grundlage. Er verwendet nur Holz, Sand und andere Naturalien, aber keine Steine oder Zement. Es ist beeindruckend wie diese kleine Gemeinschaft aus 2 Familien die Umgebung mit motiviert, beim Bau zu helfen und sich zu einer kleinen Gemeinde zu formen. Dia Diakonissen feiern dort mit dem Dorf ihren Weihnachtsgottesdienst.
Die Gespräche mit den Besuchern nach dem Sonntagsgottesdienst es waren zwei Professoren mit ihren Familien dabei waren intensiv und berührten natürlich die Frage nach der Wiedervereinigung in Korea und den kirchlichen Kontakten zwischen Korea und Deutschland. Meine Rückfrage nach der Einschätzung der in Nordkorea aufgebauten Freihandelszone Kaesong bei Panmunjom, die unsere Konferenzteilnehmer besucht hatten, war zwiespältig. Einerseits wird die Begegnungs-Möglichkeit mit der Situation des Nordens begrüßt, obwohl man weiß, dass es zu keiner direkten Begegnung mit der einheimischen Bevölkerung gibt, andererseits wird der in der Freihandelszone entstandene Fabrikaufbau skeptisch beurteilt, weil die direkte Kommunikation zwischen Nord und Süd nur sehr begrenzt gelingt. „Der Norden nutzt uns nur aus“, so der O-Ton.
Zum Abschied von Cheonan bekomme ich Geschenke für die Jubiläumsschwestern in Lazarus mit. Ich musste die Namen der Berliner Diakonissen einsetzen, die vor 50 und 40 Jahren eingesegnet wurden. Oberin Kim bringt mich zum Bahnhof und an den Zug. Gegen 18:30 Uhr bin ich in Mokpo und werde von vier Schwestern abgeholt, wobei Schwester HAN, die einige Jahre Oberin war, das Auto fährt. Es geht zum Abendessen in ein Restaurant, wo man nach BIO-Regeln kocht und ein wunderbares Buffet aufgebaut hat. Man war gnädig mit mir und steckte mich um 20:30 Uhr ins Bett.
Am nächsten Morgen gibt es Frühstück bei Frau Dr. YO, die immer noch rüstige, wenn auch etwas gehbehinderte Lungenärztin, die vor vielen Jahren mit den Schwestern gemeinsam das Lungensanatorium aufgebaut hatte und an der späteren Umgestaltung der Arbeit und den Zielvorstellungen mit gearbeitet hatte. Es ist eine fröhliche Runde. Man erzählt viele kleine Begebenheiten mit den Besuchern, besonders mit den Schwestern aus Berlin und anderen Gruppen. Das Gedächtnis von Frau Dr. YO ist phänomenal.
Hier auf dem alten Gelände der DIAKONIA wird gerade ein neues Altenzentrum gebaut; Die Einweihung soll im Sommer 08 passieren. Für 50 Plätze ist das Zentrum ausgerichtet; vorab gibt es schon 17 Anmeldungen.
Das alte Gebäude in Tolsan mit den unheilbar Kranken wurde aufgegeben. Man hat die nicht ansteckenden Kranken in einem alten Gebäude untergebracht. Die anderen Tbc-Kranken wurden an städtische Kliniken übergeben. Etwa 15 Kranke und alte Menschen leben hier und werden geriatrisch versorgt; jetzt mit vier Mitarbeiterinnen, darunter eine Physiotherapeutin. Schwester HAN hat die Küche unter sich. Wir essen mit den Kranken dort zu Mittag: sehr schmackhaft.
Eine neue Aufgabe der Schwestern lerne ich am Nachmittag kennen. Schwester Lee, der Spiritus Rector der Gruppe in Mokpo und Schwester Park haben in umliegenden Dörfern einen kleinen Besuchs- und Betreuungsdienst aufgebaut für alleinlebende Menschen. Sie unterstützen die hier lebenden Menschen in medizinischen Fragen, übernehmen mit dem eigenen PKW Transportdienste. Das Auffinden der allein lebenden Menschen ist manchmal schwierig, bringt aber für beide Seiten viel Gewinn. Es fehlt meist am Geld. Die Schwestern helfen mit ihrem Freundeskreis; auch aus Deutschland kommen Spenden.
Schwester LEE, die über 27 Jahre verantwortlich für fast alle Bereiche war, gibt die Arbeit langsam an Schwester AHN ab, Schwester PARK betreut die zahlreichen Stipendiaten und Schwester HAN leitet die Hauswirtschaft und Küche im kleinen Altenheim. Für das neue Haus ist schon ein Geschäftsführer eingestellt; ein kleines Büro für 6 Personen mit PC und anderen technischen Geräten wartet auf die Eröffnung. Schwester LEE berichtet, dass ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer die Arbeit nicht zu leisten wäre.
Nach dem Besuch auf den Dörfern fahren alle Schwestern mit mir nach Mokpo an die Küste. Dort blühen die ersten Kirschbäume. Auf der serpentinenähnlichen Straße sieht das sehr malerisch aus. Für einen Montag Nachmittag gibt es erstaunlich viele Schau-listige.
In einem Hotel am Meer trinken wir im 10 Stock Kaffee und haben ein ernstes Gespräch. Bei meinen Nachfragen nach dem inneren Ergehen der Schwestern, wird schnell klar, dass ihnen ein ständiger Seelsorger fehlt. Nach dem Tod von Prof. AHN Byung Mu kann Prof. Dr. KIM Sung Jae diese Aufgabe nur bedingt übernehmen. Er leitet offiziell die Schwesternschaft als Theologe und ist gleichzeitig Direktor des Koreanisch Theologischen Forschungsinstitutes, das zuerst in Cheonan gebaut wurde, bevor die Schwestern einen Teil ihrer Arbeit dorthin verlegt hatten. KIM leistet das alles neben seiner politischen Arbeit, die er auch in Nacharbeit der Aufgaben von Präsident KIM Dae Jung übernommen hat. Dazu kommt sein Engagement für den privaten Sender OBS, mit dem er und seine Freunde Informationen, Nachrichten, Beiträge und Berichte an die staatlichen Sender und Fernsehstationen verkaufen.
Den Schwestern ist die Nachwuchsfrage sehr wichtig. Sie sind von den einst selbst gewählten Aufnahmebeschränkungen, nur Frauen zwischen 22 und 36 Jahren aufzunehmen abgegangen. Heute dürfen sich auch geschiedene oder verwitwete Frauen um die 40 Jahre bewerben. Was nachhaltig zu spüren war, ist das Martha-Maria-Problem.
Wie kann Arbeit und Spiritualität in Einklang gebracht werden. Sie lehnen deshalb eine Aufteilung einer Martha-Arbeit in Mokpo, und Maria-Ausrichtung in Cheonan ab. Beide Aufgaben wollen sie im Herzen tragen. Cheonan wird für sie wichtig, wenn es zur Wiedervereinigung kommt wegen der Nähe zur Hauptstadt. Denn den alten Aunae-Gedanken von AHN mit GEBET Theologie Asienkooperation wollen sie weiter pflegen. Für ihre spirituelle Zeit bekommt jede Schwester im Jahr 9 Tage Zeit, die sie selbst gestalten kann.
Blicke ich auf die Tage bei den Schwestern zurück, so verfestigt sich mein Eindruck, dass die Partnerschaft zwischen DIAKONIA und LAZARUS, ja auch zu Berlin und Stuttgart sehr fest ist, auch wenn die Kommunikation wegen der Sprache nicht immer leicht ist. Besuche hin und her sind ein stabilisierendes Element. Die Familie der Kaiserswerther Generalkonferenz hält über Tausende von Kilometern. Die Problemanzeigen in Korea und Deutschland entbehren nicht einer gewissen Ähnlichkeit. Strukturveränderungen und die Nachwuchs-Fragen bewegen uns alle. Die starke Glaubenskraft aber ist ermutigend und kann wenn richtig gezeigt, ja werbewirksam verkauft, einladend wirken. Partnerschaft im Gebet steht nicht nur auf dem Papier. Für mich waren es erfüllte Tage.
Pfr. Harmut Albruschat ist Mitglied im Vorstand der DOAM und Vorsteher
i. R. im Lazarus-Diakoniewerk/Berlin