Teilung Koreas und Perspektiven der Überwindung

Podiumsdiskussion  am 4.2.2015
Integrartion geteilter Gesellschaften
Mit freundlicher Erlaubnis vom Korea-Verband
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Die Teilung Koreas und Perspektiven ihrer Überwindung
Koh Yu-Hwan


1. Gründe für die langanhaltende Teilung Koreas

Dass die nationale Teilung bereits 70 Jahre andauert und noch nicht überwunden werden konnte, ist darauf zurückzuführen, dass ihre Ursachen sehr komplex zusammenwirken. Zu diesen Ursachen gehören die Widersprüche und Konflikte zwischen dem Süden und dem Norden, zwei Staaten, die sich in ihren Ideologien und Systemen unterscheiden, des Weiteren die politischen Strukturen Nordkoreas, in dessen System die Person des Führers (Leiters) im Zentrum steht und diese Funktion in Erbfolge bereits in der 3. Generation ausübt, darüber hinaus die ideologischen Konflikte innerhalb Südkoreas im Zusammenhang mit der Nordpolitik und letztlich die 'Politik der zwei Korea', welche die Nachbarstaaten verfolgen, die ein vereinigtes Korea nicht als wünschenswert ansehen. Machthaber und System im Süden und im Norden sind verantwortlich für die bestehenden 'Beziehungen antagonistischer Abhängigkeit', sie betrieben bisher ihr Null-Summen-Spiel, in welchem beide Seiten danach streben, Machthaber und System der jeweils anderen Seite zu absorbieren, was wiederum ursächlich dafür ist, dass der Zustand der nationalen Teilung so lange andauert. Die konservativen Regierungen Südkoreas gestalteten die Nord-Süd-Beziehungen stets aus machtpolitischem Kalkül heraus, die Zentralregierung beanspruchte das Nachrichtenmonopol im Hinblick auf den Norden, und auch im Bereich des gegenseitigen Austauschs und der Zusammenarbeit übte sie die alleinige Kontrolle aus. Diese Art der Nordpolitik, in deren Zentrum vor allem militärpolitische Interessen standen, erwies sich nicht nur als ungeeignet die nukleare Aufrüstung Nordkoreas zu verhindern, sie führte auch zu keinem bedeutenden Wandel der materiellen Basis in Nordkorea selbst.


2. Das Scheitern der Bemühungen um Aussöhnung und Zusammenarbeit zwischen dem Süden und dem Norden

Während der progressiven Regierungen unter Kim Dae-jung und Roh Moo-hyun kam es zu einigen Fortschritten hinsichtlich der Versöhnung und Zusammenarbeit mit dem Norden; seit dem Regierungsantritt der Konservativen unter Lee Myung-bak jedoch verhärtete sich die Beziehung zum Norden erneut. Diese Regierung zeigte keinerlei Willen, die beiden unter den vorherigen Regierungen im Jahr 2000 getroffenen Vereinbarungen – die 'Gemeinsame Erklärung vom 15. Juni' und die 'Erklärung vom 4. Oktober' – in die Tat umzusetzen, sodass, abgesehen von der 'Gemeinsamen Wirtschaftszone Kaesŏng', die Nord-Süd-Beziehungen komplett abbrachen. Lee Myung-bak unterstützte Obamas Politik der 'strategic patience' und verfolgte konsequent seine 'Strategie des Wartens'. Ganz anders aber als die optimistische Erwartung, Nordkorea würde sich – sobald man es mit dem Aussetzen der Nahrungsmittel- und Düngerlieferungen unter Druck setzte – derart ernsten ökonomischen Schwierigkeiten ausgesetzt sehen, dass es seinen Kurs aufgeben müsste, baute das Land die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der VR China aus, konfrontierte Südkorea mit Provokationen wie Nukleartests, dem Abschuss von Langstreckenraketen, Versenken der Korvette Chŏnan oder dem Beschuss der Insel Yŏnp'yŏng, und erhärtete so seine unversöhnliche Haltung gegenüber dem Süden.

Die Regierung Park Geun-hye erklärte die 'Schaffung einer Grundlage für die friedliche Wiedervereinigung durch Vertrauensbildung' zum Fundament ihrer Vereinigungs- und Nordpolitik. Doch auch zwei Jahre nach ihrem Machtantritt hatte Park Geun-hye die unter ihrem Vorgänger Lee Myung-bak abgebrochenen Nord-Süd-Beziehungen noch nicht wieder aufgenommen. Ihre Regierung verkündete einen 'Prozess der Vertrauensbildung auf der koreanischen Halbinsel', das 'Konzept zur friedlichen Zusammenarbeit in Ostasien', die 'Dresdner Erklärung' und den 'Kurs der kleinen Schritte' und hoffte auf eine positive Antwort aus Nordkorea. Dort hingegen sieht man in Park Geun-hyes Nordpolitik nichts anderes als eine Fortsetzung des Kurses der 'Vereinigung der Systeme' (Vereinigung nach dem Prinzip der Absorption), den bereits die Regierung Lee Myung-bak verfolgt hatte. Nordkorea fordert hingegen aufrichtige Beweise für eine Verbesserung der Beziehungen, vor allem die sofortige Einstellung der gemeinsamen Manöver mit den USA, ein Ende der Verleumdungen und Beleidigungen sowie Maßnahmen, um den Abwurf von Flugblättern über Nordkorea zu verhindern.

Da die Beziehungen zwischen beiden Ländern bereits seit langer Zeit unterbrochen sind, haben viele südkoreanische Unternehmen, die außerhalb der Sonderwirtschaftszone Kaesŏng im Norden investierten, sowie kleine und mittelständische Unternehmen, die auf wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Süd- und Nordkorea gesetzt hatten, mit großen finanziellen Verlusten und Schwierigkeiten zu kämpfen. Aber auch Bürger, die nicht direkt in Unternehmungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Norden involviert sind, wurden infolge der gespannten Beziehungen und der aufzehrenden Konflikte indirekt in Mitleidenschaft gezogen. Auf der Suche nach neuen Antriebskräften für das Wachstum der südkoreanischen Wirtschaft gewinnen die Forderungen, die Beziehungen zu Nordkorea zu verbessern und den Wirtschaftsraum in Richtung Norden zu erweitern, immer mehr an Gewicht.


3. Jüngste Anstrengungen für eine Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen Süd- und Nordkorea

Sowohl Nord- als auch Südkorea waren 2014 davon ausgegangen, dass die Zeit günstig sei für die Wiederaufnahme bilateraler Beziehungen, und sind dementsprechend aktiv gewesen. Von Beginn des Jahres 2014 an suchten sie nach Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen: Der Süden legte einen 'Plan zur Wiedervereinigung' vor, der Norden die 'Ernsthaften Vorschläge' (Stopp der gegenseitigen Verleumdungs- und Beleidigungskampagnen, Beendigung aller militärischen Provokationen, bilaterale Maßnahmen zur Verhinderung einer nuklearen Katastrophe). Bei einem Treffen hochrangiger Vertreter beider Seiten wurde 2014 zwar eine Übereinkunft erreicht, die gegenseitigen Verleumdungen und Beleidigungen zu unterlassen, diese jedoch wurde nie in die Tat umgesetzt. Ein zweites Treffen von Vertretern beider Länder war Ende 2014 geplant, kam hingegen nicht zustande, da das Problem der Flugblatt-Provokationen über nordkoreanischem Territorium nicht gelöst werden konnte.

2015 ist für Korea ein Jahr von großer historischer Bedeutung, da sowohl der 70. Jahrestag der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft begangen wird, als sich auch die nationale Teilung zum 70. Mal jährt. Von Jahresbeginn an demonstrieren die führenden Repräsentanten beider koreanischer Staaten ihre Absicht, die Wiederaufnahme der Normalisierungsgespräche zu ermöglichen und Bedingungen für einen Dialog zu schaffen. In seiner diesjährigen Neujahrsansprache bekräftigte Kim Jong Un, Erster Sekretär der Partei der Arbeit Koreas (PdAK), seinen Willen, die Tür für Gespräche auf höchster Ebene (Normalisierungsgespräche) zu öffnen und die Beziehungen zwischen beiden Ländern zu verbessern. Auf ihrer Neujahrs-Pressekonferenz am 12. Januar 2015 legte die südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye den Standpunkt der Regierung dar, ohne jede Vorbedingung zu Normalisierungsgesprächen bereit zu sein, falls dies notwendig sei, um den Weg für eine Linderung der aus der Teilung resultierenden Qualen und für die friedliche Wiedervereinigung freizumachen. Indem sie auf diese Weise den Vorschlag Kim Jong Uns aufgriff, erhöhten sich die Aussichten, dass es in diesem Jahr hinsichtlich der Gespräche zwischen beiden Ländern vorangehen könnte. Des Weiteren verdient Aufmerksamkeit, dass Präsidentin Park Geun-hye in ihrer diesjährigen Neujahrsansprache die beiden Themen – Lösung des Kernwaffenproblems und Schritte zur Verbesserung der Nord-Süd-Beziehungen – nicht miteinander verband, sondern erklärte, beide Aufgaben würden parallel, d.h. unabhängig voneinander, vorangetrieben, und dass sie ihren Willen bekräftigte, die offenen Fragen der Beziehungen zwischen Nordkorea und den USA einerseits und zwischen den beiden koreanischen Staaten andererseits getrennt voneinander zu behandeln, um so den Nord-Süd-Dialog zu fördern.


4. Möglichkeiten eines Gelingens von Normalisierungsgesprächen

2015, das 70. Jahr der Teilung, sollte Anlass sein Lösungen zu finden, dieses anachronistische und zermürbende System von zwei koreanischen Staaten grundsätzlich zu überwinden. Unter Berücksichtigung der wesentlichen Merkmale, welche die politische Macht in beiden Staaten kennzeichnen, wären Gespräche zur Normalisierung die schnellste Methode, um die Beziehungen zwischen Süd- und Nordkorea spürbar zu verbessern. Diesen Gesprächen jedoch stehen noch viele Hindernisse im Weg. Im Zusammenhang mit den vom Ersten Sekretär der PdAK, Kim Jong Un, angesprochenen Problemen hinsichtlich der 'Atmosphäre und des Umfelds' ist es notwendig, dass die südkoreanische Regierung ihren Standpunkt korrigiert, und zwar dahingehend, die gemeinsamen Militärmanöver mit den USA zu beenden, den Kurs zur 'Vereinigung der Systeme' (Vereinigung nach dem Prinzip der Absorption) zurückzunehmen und den Flugblattabwurf über Nordkorea einzustellen. Diese Probleme sind in gewissem Maße lösbar, wenn die Präsidentin politischen Entscheidungswillen und Führungskraft beweist.

Das größte Hindernis auf dem Weg zu Normalisierungsgesprächen ist das nordkoreanische Kernwaffenprogramm. Die Motivation Nordkoreas, die nukleare Entwicklung zu forcieren, ist in den von Feindseligkeit geprägten Beziehungen zwischen Nordkorea und den USA zu finden. Um diese Beziehungen zu entspannen, muss der Waffenstillstandsvertrag in einen Friedensvertrag umgewandelt werden. Letztlich wird es schwierig sein, Nord-Süd-Gespräche zum Erfolg zu führen, ohne in Korea die Strukturen des Kalten Krieges zu beseitigen.

Die letzten beiden Gipfeltreffen zwischen Süd- und Nordkorea waren nur möglich geworden, weil sich damals die Perspektive abzeichnete, die feindschaftlichen Beziehungen zwischen Amerika und Nordkorea zu überwinden und ein Friedenssystem auf der koreanischen Halbinsel zu errichten. Die Regierung unter Kim Dae-jung hatte ein Konzept vorgelegt, wie die Strukturen des Kalten Krieges aufgelöst werden könnten, und dieser Plan fand die Zustimmung der US-Administration unter Clinton. So kam im Herbst 1999 der 'Perry-Prozess' in Gang und bereits im Juni 2000 wurden Gespräche zwischen Nord- und Südkorea in die Tat umgesetzt. Auch die Verhandlungen zwischen beiden Ländern, welche 2007 unter der Regierung Roh Moo-hyun stattfanden, waren möglich geworden, weil es bei den Sechs-Parteien-Gesprächen zu einer Einigung gekommen war, infolge derer sich Nordkorea verpflichtete, seine kerntechnischen Anlagen zu schließen, und Präsident Bush ein Signal aussendete, als er verkündete, vor dem Abschluss eines Friedensvertrags könne eine 'Erklärung über die Beendigung des Krieges' mit Nordkorea unterzeichnet werden. Um erneut Gespräche zur Normalisierung der Beziehungen mit dem Norden zu ermöglichen, müsste die Regierung Park Geun-hye – das belegen die Erfahrungen der vergangenen beiden Gesprächsrunden – vor allem in der Lage sein neue Vorschläge zu unterbreiten, wie das Problem der Kernwaffen in Nordkorea gelöst werden könnte, und die an diesem Prozess beteiligten Staaten zu überzeugen.