Elsbeth Strohm: Klagelied

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Klagelied

Ich bin ein Mensch, der Elend sehen muss:
Geschlagene Frauen.
Verstoßene Kinder.
Männer in Fremde und Einsamkeit.
Gewalt und Vergewaltigung.
Und nichts kann ich ändern.

Das ist wie eine Rue Gottes,
Sein Grimm begegnet mir in allen Gassen.
Hat er mich geführt? Oder gehen lassen
in dieses Land der Finsternis?
In dieses Viertel außerhalb der Welt?

Ringsum bin ich eingeschlossen
von Gangstern,
von Huren,
von Trinkern und von Heimatlosen;
Bitternis und Mühsal
umgeben mich Tag und Nacht.
Ich bin geachtet wie eine, die nicht ist.

Und ob ich schon dachte:
Es lohnt nicht. —
Ich geb's auf.
Ich schaff's nicht. —
Unmöglich war es, zu entkommen
dieser Welt und der Arbeit hier.

Gott, wenn du bist,
wo bist du denn?
Gott, wenn du bist,
was tust du denn?
Aber wenn ich schon schreie zu Gott
oder weine in der Nacht
oder bete,
was hilft's?
Es ändert sich doch nichts.

Ist das die Güte Gottes, dass ich überhaupt noch am Leben bin?
Ist das seine Barmherzigkeit, dass ich jeden Morgen neu in dem Elend erwache?

Und seine Treue diesbezüglich hat kein Ende!

Weh mir, ich vergehe an der Treue Gottes,
an der Barmherzigkeit, die er anderen zuteilwerden lässt.

Das ist die Güte Gottes in dem Elend hier,
dass ein Mensch Gottes das Elend sieht.

Als ich das erkannte, war meine Seele genesen.