Oshidori Makos Erlebnisse in Deutschland

Internationale Konferenz, 4.-7. März 2014, Evang. Akademie Arnoldshain
Dokumentation: "Folgen von Atomkatastrophen für Mensch und Natur"
aus: Women‘s Democratioc Journal femin Nr. 3052 15. April 2014

Ich habe an einer internationalen Tagung zu den Folgen von Atomkatastrophen teilgenommen.
Oshidori Makos Erlebnisse in Deutschland

von Oshidori Mako

Am 4. März dieses Jahres, wurde die internationale Tagung zu „Folgen von Atomkatastrophen für Natur und Mensch“ eröffnet. Veranstalter waren die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW Deutschland) und das Zentrum Ökumene der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau. Neben Ärzten und Wissenschaftlern aus aller Welt, die über die gesundheitlichen Folgen der radioaktiven Verstrahlung diskutierten, folgte auch Oshidori Mako, Comedian und Berichterstatterin zu den Pressekonferenzen der TEPCO, der Einladung und nahm an dieser Tagung teil (in dieser Zeitung berichtete sie bereits am 1. Januar). Hier berichtet Oshidori Mako über die Tagung und die Lage vor Ort.

Vom 24. Februar bis 15. März dieses Jahres war ich in Deutschland und Weißrussland. Zweck meines dortigen Aufenthaltes waren die Teilnahme und meine Vorträge bei der oben genannten Tagung und um über Deutschland und Weißrussland zu recherchieren. Darüber hinaus konnte ich dank grosszügiger Unterstützung eines Pfarrers viel über Atomausstiegsdemonstrationen und -versammlungen in Erfahrung bringen, sowie in den örtlichen Kirchen und Schulen Vorträge halten.

Man wird für einen Aktivisten gehalten

Was an dieser internationalen Tagung am beeindruckendsten war, ist, dass mehrere Wissenschaftler die gleiche Aussage machten: „Man ist zwar Wissenschaftler oder Forscher, aber wenn man über die negativen Auswirkungen der Atomenergie spricht, wird man für einen Aktivisten gehalten.“ Das erlebe ich tatsächlich genauso! Obgleich ich lediglich die Recherche über die Atomkatastrophe betreibe, werde ich für eine „Atomausstiegskünstlerin“ gehalten. Doch was ist daran so bedenklich? Problematisch ist, dass diese Art der Titulierung von Menschen, die die Wahrheit über die negativen Auswirkungen der Atomenergie sprechen, eine faire Diskussion unmöglich macht.

Während meiner Berichterstattungen in Japan habe ich auch die umgekehrte Situation erlebt. Unter den Befürwortern der Atomenergie gibt es auch solche, die den derzeitigen Umgang mit dem Reaktorblock 1 als problematisch ansehen. Doch aufgrund dieser Atmosphäre, in der jene, die die Wahrheit über die negativen Folgen aussprechen, als „Aktivisten“ bezeichnet werden, halten sich viele mit Ihrer Meinung zurück. Das ist ein schlechtes Phänomen. Die Atomenergie ist nur eine Energieform. Es geht nicht um „Ja“ oder „Nein“, sondern man sollte noch viel mehr darüber diskutieren.

Das Wort „Sicherheit“ der Regierung ist sinnlos.

Während der internationalen Tagung hielten verschiedene Forscher Vorträge. Einer von Ihnen ist Alfred Körblein, der für seine KIKK-Studie (KIKK-Study) bekannt ist. Diese Studie zeigt auf, dass das Risiko von Kinderleukämie im Umkreis von fünf Kilometer um das Reaktorgebäude gestiegen ist. Ein weiterer ist der Biologe Keith Baverstock. Er war in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) tätig. Doch eines Tages wurde die Abteilung für die Auswirkung von Atomkatastrophen der WHO unerwartet geschlossen. Der Biologe Timothy Mousseau erforscht anhand von Schwalben die Auswirkung von Atomkatastrophen. Da Schwalben nicht wie Menschen Alkohol oder Zigaretten konsumieren, und auch keinem Stress ausgesetzt sind, gilt es als sicher, wenn bei ihnen gesundheitliche Folgen von Atomkatastrophen aufgezeigt werden, da diese nicht als Folge von anderen Faktoren interpretiert werden kann.

Die IPPNW ist ein Verein von Ärzten, die nicht nur Auswirkungen von Atomkatastrophen, sondern auch die von Uranmunition, Kernkraftwerken, Atomtests und anderen Kernenergien untersuchen und vor diesen warnen. „Von Anbeginn der Geschichte der Atomenergie, werden nur Tatsachen verbreitet, die in der Gunst der Mächtigen, der Unternehmen und des Staates stehen. Somit wird die Bevölkerung unterdrückt. Auch, dass das Komitee der Vereinten Nationen für die Folgen von Strahlung (UNSCEAR) und die WHO sich der Atomlobby beugen, ist uns allgemein bekannt. Dass das Wort ,Sicherheit‘, von der die Regierung nach der Atomkatastrophe in Japan spricht, keinen Sinn macht, ist uns europäischen Forschern, die wir Tschernobyl erlebt haben, selbstverständlich.“. Solche Aussagen hörte ich von den Forschern, mit denen ich zehn Tage verbrachte, immer wieder.

 
Oshidori Mako in einer Schule beim Beantworten der Fragen von Schülern.   Oshidori Mako in einer Berufsschule beim Halten Ihres Vortrags. (Fotos von Oshidori Mako) 




Politisch interessierte Jugend

Auch hatte ich ein schockierendes Erlebnis, als ich in Schulen und Kirchen meine Vorträge hielt: In den Frage- und Antwort-Runden, wurde ich überall mit erstaunlich vielen Fragen überhäuft! Auch wenn ich mich auf den Heimweg machen wollte, wurde ich von den Schülern umzingelt und erhielt sogar die Frage: „Was denken sie über den Direktor des öffentlichen Senders NHK?“. Mit solch einer Frage hatte ich nicht gerechnet. Als ich sie mit meiner Gegenfrage wie folgt kommentierte: „Das ist erstaunlich! Habt ihr etwa schon eine politische Partei, die ihr unterstützt?“ erhielt ich sofort Antworten wie: „Die Philosophie der sozialdemokratischen Partei liegt mir am nähersten.“, „Mir gefällt die grüne Partei.“, „Derzeit unterstütze ich die „Linken“, und so weiter. Und als ich erwiderte: „Wow, in Japan gibt es kaum Schüler, die sich fragen, welche Partei gut ist.“, fragten die Kinder: „Was?! Machen sie sich in Japan erst dann Gedanken über eine Partei, die sie unterstützen wollen, wenn sie das wahlberechtigte Alter erreichen? Ist das nicht etwas zu spät?“ ... Wie recht sie haben....

Eine Frage, die in allen Schulen auftauchte war: „Nachdem es in Japan zur Atomkatastrophe kam, hat Deutschland beschlossen, die Atomenergie aufzugeben. Doch weshalb hat Japan selbst die Reaktoren wieder in Betrieb genommen und verkauft die Atomenergie ins Ausland?“.

In Berufsschulen sind die Schüler älter, weshalb manche Schüler sehr direkt auch folgende Fragen stellten: „Japan hat die Atombomben von Nagasaki und Hiroshima, sowie drei Atomunfälle der Stufe 7 in Fukushima erlebt. Weshalb will Japan noch immer an der Atomenergie festhalten? Das ist für mich nicht nachvollziehbar.“

Diese Frage beantwortete ich jedes Mal so: „Nicht die gesamte japanische Bevölkerung ist für die Wiederinbetriebnahme der AKWs. Laut einer Volksbefragung, die 2011 von der Atomenergiekommission zur Atompolitik durchgeführt wurde, stimmten beispielsweise insgesamt 98% für den sofortigen beziehungsweise schrittweisen Atomausstieg.“

Daraufhin hat mir ein Gymnasialschüler folgende Frage erwidert: „Weshalb wendet das Volk dann keine Gewalt an? Glaubt es etwa, dass durch Plakataktionen die AKWs verschwinden, oder man so die Welt verändern kann?“ Daraufhin musste ich erst einmal tief schnaufen. Es ist zwar nicht gut, Gewalt anzuwenden, aber zugegebenermaßen hatte auch ich diese Gedanken. Während ich in Deutschland war, habe ich viele Zurufe aus Japan erhalten wie: „Berichte in Deutschland über die verheerende Lage in Japan!“, „Bring Japan durch Druck von Außen in Bewegung!“ Ich kann dieses Gefühl verstehen, doch ich bin damit nicht ganz einverstanden. Haben wir in Japan, bevor wir auf den Druck von Außen setzen, versucht, mit aller Kraft, ohne Rücksicht auf Verluste, etwas zu bewirken? Auf Druck von Außen zu setzen, noch bevor wir selbst all unsere Kraft ausschöpfen, erschien mir zu einfach und unaufrichtig. Die Frage des Schülers: „Glauben die, dass man mit Plakaten die Welt verändern kann?“ schien mir genau diesen Punkt zu anzusprechen.

Mit Wissen und Wut

In Deutschland habe ich über diverse Demonstrationen recherchiert. Es gab viele leichte Demos, die so locker wie eine Wanderung verliefen. Doch mir wurde gesagt: „Demonstrationen, die wie Wanderungen sind, bewirken keine Änderung der Gesellschaft.“ „Wirklich große und wirksame Demonstrationen, die die Gesellschaft verändern, werden von bewaffneten Polizisten kontrolliert. Viele Menschen werden dabei verletzt. Doch in den meisten Medien wird wenig darüber berichtet.“

Schließlich wurde mir folgende schockierende Geschichte geschildert: „Bei einer großen Demonstration 2010 in Stuttgart, ging man mit Wasserwerfern gegen Studenten vor. Als sich ein Rentner dazwischen stellte, verletzten die Wasserwerfer das Gesicht dieses Rentners so schwer, dass seine beiden Augen aus dem Gesicht gedrückt wurden und dieser folglich erblindete. In die Zeitungen kam nur ein Bericht mit einem Bild zu diesem Vorfall. Obwohl viele Medien zu diesem Fall recherchierten, wurde kaum etwas darüber publiziert. Das ist in Deutschland genauso wie in Japan. Politiker, Konzerne, Polizei und Medien sind grausam. Doch der Unterschied zwischen Deutschland und Japan sind die Bürger. In Deutschland gibt es weitaus mehr Bürger als in Japan, die gegen Unrecht protestieren oder genauer hinsehen.“

Es mangelt uns an Wissen und Wut. Dies wurde mir erneut bewusst. Meiner Ansicht nach, geht es um diese zentrale Frage: „Bin ich bereit, Wut zu empfinden und etwas zu bewirken, wenn jemandem in der Ferne Unrecht getan wird?“. Diese Wut ist von großer Bedeutung. Wir müssen also wissbegierig und wütend werden.
(Übersetzt von Monika Narita)