2012 Hofgeismar: Bestandsaufnahme

Begegnungstagung in der Evang. Akademie Hofgeismar, 10.- 12. April 2012

Atsushi Saito
Pfarrer der Japanischen Evangelischen Gemeinde Köln-Bonn.
Bis Februar 2012 Koordinator der Katastrophenhilfe in Sendai (Kyodan)

"Ein Jahr nach der Katastrophe"

Rückblick und Bestandsaufnahme:  Erdbeben, Tsunami, Kernschmelze

 

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Bevor ich als Auslandspfarrer nach Deutschland kam, war ich vom 10. Januar bis zum 12. März 2012 zwei Monate lang für die Freiwilligen MitarbeiterInnen des Erdbebenhilfezentrums „Emmaus" in Sendai verantwortlich. Als sich die Katastrophe erstmals jährte lebte ich also gerade in der betroffenen Region.

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Das Erdbeben, der Tsunami und die atomare Verseuchung durch den Reaktorunfall überstiegen in ihrem Ausmaß unsere Vorstellungen und werden uns auf ewig im Gedächtnis bleiben.

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Auch mir, der ich in Fukushima aufgewachsen bin, hat das Erdbeben großen Schmerz gebracht. Mein Elternhaus wurde durch das Beben stark beschädigt und meine Großmutter ist durch den Schock zwei Wochen nach der Katastrophe verstorben. Mein Onkel ist in Sendai im Tsunami umgekommen und meine Mutter, mein Bruder und mein kleiner Neffe leben Tag für Tag mit der Gefahr der Strahlenbelastung.

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Vielen geht es ähnlich wie mir. Bei der Arbeit in Sendai geht es ständig um die Frage, wie man Menschen begleiten kann, die durch das Erdbeben Schmerz und Leid erfahren haben.

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Die für ihre Naturschönheit bekante Gegend Arahama im Bezirk Wakabashi von Sendai wurde eine Stunde nach dem Beben von einer 10 Meter hohen Flugwelle heimgesucht. Direkt danach war in den Nachrichten von „200 bis 300 Leichen am Strand" die Rede.

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Die Häuser von etwa 700 Familien wurden hier auf einen Schlag dem Erdboden gleichgemacht und es blieb nur ein Schuttberg übrig. Hier wurde Leben im Sinne von Menschenleben aber auch im Sinne von Alltagsleben ausgelöscht. Damit umzugehen war für die freiwilligen Helfer eine große Herausforderung.

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Das Viertel Shichigo liegt ca. 2 km entfernt von der Küste von Arahama. Hier ließ der Tsunami zwar die Häuser stehen, machte sie jedoch durch Schlamm und Salzwasser so gut wie unbewohnbar. Dort ist der Schauplatz unserer Freiwilligenarbeit. Uns wurde der Willen, die Bewohner dieses Viertels zu begleiten und die Hoffnung auf einen Neuanfang gegeben.

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Um dies bewerkstelligen zu können, mussten wir jedoch zunächst das Vertrauen der Hiesigen gewinnen. Schließlich arbeiteten wir ja unter der Ägide einer religiösen Gruppe. Seit dem von der Aum-Sekte verübten Sarin-Giftgasanschlag auf die Tokioter Metro ist es in Japan schwierig geworden für Aktionen religiöser Gruppen um Vertrauen zu werben.

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Hinzu kam, dass seit dem Erdbeben häufig als freiwillige Helfer getarnte Diebesbanden Geld und Wertsachen gestohlen hatten. Auch das Wort „Freiwilliger" bereitete den Bewohnern der Katastrophengebiete daher eher Angst.

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Umso näher lag es, sich mit der Bedeutung von Freiwilligenarbeit in einer religiösen Organisation auseinanderzusetzen. Auch als wohltätiger Akt konnte diese in Japan auf Misstrauen stoßen. Daher brauchten wir einen gemeinsamen Denkansatz.

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Dieser Denkansatz war, dass sich die Wiederaufbauarbeit nicht darauf beschränken dürfe, den physischen Lebensraum und die Infrastruktur wiederherzustellen.

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Natürlich brauchen die Menschen zum leben eine materielle Grundlage. Doch sobald diese wieder vorhanden ist, würde die Beziehung zwischen Erdbebenopfer und freiwilligen Helfern enden. Diese materielle Hilfe würde den Betroffenen nur vorübergehend Linderung bringen.

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Wichtig ist es für uns, mit den durch das Erdbeben seelisch Verletzten zusammen zu leben. In der Bibel heißt es „Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden" (Röm. 12,15). Wir waren davon überzeugt, dass wir als Vertreter des Christentums die Aufgabe hatten, unbedingt für alle Betroffenen da zu sein, ein offenes Ohr für ihre Bedürfnisse zu haben und ihnen zu dienen.

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Aus diesem Impuls heraus haben wir uns an die Arbeit gemacht. Das heißt, die vom Tsunami verschlammten Häuser wieder in Stand setzen, die vom Meerwasser mit einer Salzkruste bedeckten Felder wieder nutzbar machen, mit den Menschen vor Ort reden, für sie kochen und ihnen auch sonst bei allem helfen, was getan werden muss. Langsam konnten wir eine Beziehung zu den Anwohnern aufbauen und Stück für Stück ihr Vertrauen gewinnen. Diese Erfahrung motivierte uns noch mehr.

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In unserer Arbeit hat auch das Gebet seinen Platz. Tatsächlich sind etwa 80% der freiwilligen Helfer nicht in einem christlichen Umfeld aufgewachsen und hatten überhaupt noch nie gebetet.

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Doch wenn ein Mensch auf Schwierigkeiten stößt, wenn er um Frieden bittet oder Anderen Glück wünscht, dann verspürt er ganz von selbst den Wunsch, zu irgendeiner Macht zu beten. Aus diesem Wunsch wurde bei uns ein Morgen- und Abendgebet und ein am elften jedes Monats um 14:46 abgehaltenes 11246-Gebet für die Erdbebenopfer.

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Dieses Gebet ließ in der kleinen und schwachen Schar der Freiwilligen auch Solidarität entstehen. Und hierin wurde auch immer wieder die Absicht erneuert, allen Bewohnern des Katastrophengebiets zur Seite zu stehen und sie zu begleiten.

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Auch jetzt wird diese Arbeit noch in bescheidenem Umfang fortgesetzt. Ein Jahr ist seit dem Erdbeben vergangen. Die Menschen außerhalb der Erdbebengebiete interessieren sich nur noch für die radioaktive Strahlung, die auch sie betrifft.

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Doch wie sollten die Wunden eines Bebens, wie es nur einmal in tausend Jahren vorkommt, in nur einem Jahr verheilen? Das gilt nicht nur für die radioaktive Verseuchung, sondern auch für alle, denen das Ungeheuer Tsunami ihre Lebensgrundlage entrissen hat.

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Darum bitte ich Sie, liebe Anwesende, beten Sie für die Opfer des Tsunamis und auch für alle, die heute in der Katastrophenregion leben.

Vielen Dank!

 

Kooperationspartner: 

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