Art9: Die Japanische Friedensverfassung

10. Vollversammlung des Ökum. Rates der Kirchen, Pusan 2013
Workshop "Article 9 of the Japanese Peace Constitution"  

"Artikel 9 der Japanischen Friedensverfassung" von Sabine Kluger

Von Pfarrerin Sabine Kluger, Ökumenische Mitarbeiterin im NCCJ (im Auftrag der EMS)

Bericht vom Madang in Busan/Korea, General Assembly des WCC (7. November 2013)
Veranstalter: Nationaler Christenrat in Japan
(Vgl hierzu die Dokumentation zum workshop auf dieser Webpage und die Nachricht auf http://www.ems-online.org)

Im 9. Artikel der derzeitigen Japanischen Verfassung heißt es:
„a. In aufrichtigem Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten.
b. Um das Ziel des vorhergehenden Absatzes zu erreichen, werden keine Land-, See- und Luftstreitkräfte oder sonstige Kriegsmittel unterhalten. Ein Recht des Staates zur Kriegsführung wird nicht anerkannt.“

Die neue Japanische Verfassung mit Artikel 9 entstand 1946 vor dem Hintergrund von Japans militanter Vergangenheit. Damit verpflichtete sich das Land von nun an dem Frieden, nicht nur in der Region, sondern international.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Kaiserlich Japanische Armee in Korea, China und Südostasien eingefallen und hatte dort ungehemmte Kolonialisierung betrieben. Seinerseits hatte Japan die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, das Luftbombardement vieler Städte und die Schlacht von Okinawa hinnehmen müssen.
Mit der Kapitulation Japans endete 1945 der Zweite Weltkrieg. Frieden gab es jedoch nicht – die USA und die Sowjetunion rissen die Welt in den Kalten Krieg hinein. Ostasien war bis zum Ende der 70er Jahre von Konflikten gezeichnet: in China, Korea und Vietnam. Die Teilung Koreas durch die beiden Supermächte hält bis heute an (nach Pfarrerin Hiroko UEDA).

„Heute, 60 Jahre nach dem Koreanischen Krieg, gibt es immer noch keinen Frieden auf der koreanischen Halbinsel“, sagte Takao TAKEDA, buddhistischer Mönch aus Japan. Die Annexion Koreas durch Japan nannte er unverzeihlich. „Als Japaner entschuldige ich mich dafür und drücke meinen tief empfundenen Schmerz über das unermessliche Leid aus, das Japan über Korea, China und andere asiatische Länder gebracht hat.“

Gegenwärtig, so fuhr er fort, versuche Japans Premierminister Shinzo ABE, den Friedens-Artikel 9 aus der Japanischen Verfassung zu tilgen und Japan wieder zu einer möglichen Kriegsnation zu machen. Ziel sei es, den Kaiser als Staatsoberhaupt einzusetzen und mit der Selbstverteidigungsarmee an der Seite der USA Krieg führen zu können.

Angehörige verschiedener Religionen hätten daher am 3. Mai 2013 eine gemeinsame Erklärung zum Erhalt von Artikel 9 der Verfassung verabschiedet. „Als Menschen des Glaubens beten wir gemeinsam für den Weltfrieden und fordern, dass Artikel 9 unverändert bleibt.“ Seite an Seite mit den Menschen in Okinawa und Fukushima arbeite man auf das Ziel hin, eine echte Friedensnation zu werden, ohne Militärbasen und Atomkraft.

„Nach dem 20. Jahrhundert, das wir ein Jahrhundert des Krieges nennen, setzen wir nun alles daran, das 21. Jahrhundert zu einem Jahrhundert des Friedens zu machen, in dem alle Völker in Sicherheit und Geborgenheit leben können“, fasste Paul OKURA, Katholischer Priester aus Japan, zusammen. Yuko TAMAGAWA, Überlebender der Atombombenexplosion aus Hiroshima, erzählte, wie er als 13-Jähriger den Krieg am eigenen Leib zu spüren bekommen habe. Ein koreanischer Nachbar sei es damals gewesen, der seine Verbrennungen behandelt habe – über die Grenzen der Nationalitäten hinweg. Artikel 9 sei für ihn persönlich unverzichtbar und „ein Modell für die Welt“.

Takehiro KAMIYA, Pfarrer des Okinawa Baptist Convention, erinnerte daran, dass auf Okinawa bis zum heutigen Tag US-Militär stationiert ist. Die Zwischenfälle und Unfälle nähmen kein Ende: Zusammenstöße von Militärflugzeugen, durch die Luft fallende Gegenstände, Verkehrsunfälle, Lärmbelästigung, Mord, Vergewaltigung, Brandstiftung und anderes mehr. Trotz Protesten der Bevölkerung und des Gouverneurs seien in Futenma erst im vergangenen Jahr 24 sogenannte „Ospreys“ aufgestellt worden – für ihre Gefährlichkeit bekannte MV22-Flugzeuge. Die japanische Regierung schreite nicht ein, denn es sei „ja nur Okinawa“. Christen in Okinawa hätten sich inzwischen zu den „Futenma Base Gate-front Gospel-Singers“ zusammengetan. „Jede Woche singen sie Lob- und Preislieder auf Jesus Christus als Prinz des Friedens und fordern: ‚Keine Ospreys! Keine Vergewaltigung! Keine Militärbasis!‘“

Ulrike Schmidt-Hesse, stellvertretende Generalsekretärin der EMS, brachte Erfahrungen aus Deutschland ins Gespräch ein. „ Die deutsche Verfassung betont den Schutz der Menschenwürde“, sagte sie. „Diese Lehre zogen die Väter und Mütter des Grundgesetzes aus den Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur und des 2. Weltkriegs“. Es gebe ein ‚Friedensgebot des Grundgesetzes‘, das jedoch weniger konkret entfaltet sei als die Rechtsstaatlichkeit und die Sozialstaatlichkeit. „Um die Gestaltung der Friedens- und Sicherheitspolitik gab und gibt es in Deutschland ein ständiges Ringen, z.B. um die Wiederbewaffnung in den 50er Jahren oder die Auslandseinsätze der Bundeswehr seit den 90ern“, so Schmidt-Hesse. Es sei wichtig, dass sich Christinnen und Christen und Angehörige anderer Religionen und Weltanschauungen engagieren für das Recht und den Schutz der Kriegsdienstverweigerer, für Versöhnung mit den Nachbarländern, für den Ausbau von Konfliktprävention und ziviler Konfliktbearbeitung und für die Kontrolle von Rüstungsexporten. „Die Bestimmungen der Verfassung geben Leitlinien für die Politik vor und sie prägen die Einstellung der Bevölkerung gegenüber Krieg und Frieden. Deshalb werden die Evangelische Mission in Solidarität und die Deutsche Ostasienmission Sie weiterhin darin unterstützen, Art. 9 zu schützen“, sagte die Pfarrerin, die seit langem in der Friedensarbeit engagiert ist. „Japan und Deutschland waren im 20. Jahrhundert Verbündete im Krieg. Heute wollen wir Verbündete für den Frieden sein.“

Young Ju KIM, Generalsekretär des National Christian Council in Korea, sprach als Vertreter des Gastlandes. „In Korea ist der Frieden bis heute bedroht. Eine Nation gleicher Sprache, Kultur und Geschichte steht sich nun in Hass gegenüber.“ De facto sei der Krieg noch nicht beendet. Ziel müsse sein, das Waffenstillstandsabkommen durch ein Friedensabkommen zu ersetzen und die Teilung zu überwinden. Dass die Verlässlichkeit von Artikel 9 der Japanischen Verfassung für den Frieden nicht nur mit den direkten Nachbarländern, sondern im gesamten südostasiatischen Raum unerlässlich sei, unterstrich abschließend noch einmal Henriette Hutabarat Lebang, Generalsekretärin der Christian Conference of Asia.

Der Moderator des Workshops, Yoichi NOGUCHI (Executive Director der NIWANO Peace Foundation, Shinjuku, Tokyo), beschloss den workshop mit einem Statement in 5 Artikeln:

1. Destabilisierung der Region Ostasien

2. Die territorialen Besitzansprüche der Anrainer

3. Die Belastung durch die Präsenz des U.S. Militärs

4. Die nukleare Bedrohung durch Nordkorea und die Reaktionen

5. Der sich verstärkende Nationalismus in  allen Ländern Ostasiens. 

Der Wortlaut des Dokuments einschließlich der 5 Punkte hier.