Ein Interview mit Uwe Schmelter

Die Deutsch-Koreanische Gesellschaft
Berlin (seit 1966)
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Über Verbindendes zwischen Nord- und Südkorea

»Sensible auswärtige Kulturpolitik ist Friedenspolitik vom Feinsten«

Seit Februar 2018 ist Dr. Schmelter Vorsitzender der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft und engagiert sich in dieser Funktion für den bilateralen Kulturaustausch zwischen Deutschland und Korea. Mehr über die Aktivitäten der Gesellschaft berichtet er im Interview. Das Gespräch mit ihm führte der Politikwissenschaftler und Publizist Rainer Werning

Wo wuchsen Sie auf und was waren rückblickend prägende Erlebnisse und Erfahrungen während Ihrer Kindheit und Jugend ?

Ich wurde in den letzten Kriegstagen, auf der Flucht meiner Mutter aus Osten in den Westen, im Februar 1945 in Greifswald geboren. Nicht gerade die beste Zeit, um das Licht der Welt zu erblicken. Zwei Tage nach der Geburt ging's weiter - bis ins fast gänzlich ausgebombte Köln, wo meine Eltern das Glück hatten, in einem noch halbwegs intakten Haus auf der "Schäl Sick" von Köln, dem rechtsrheinischen Deutz, zwei bescheidene Zimmer in einer Etagenwohnung beziehen zu können. Man konnte froh sein, daß man überlebt hatte und nicht "Draußen vor der Tür", sondern als kleine Familie beisammen war und der Vater, als junger Beamter bei der Kölner Direktion der Deutschen Bundesbahn wieder in Lohn und Brot stand.

Als "Pimoken"-Kind, wegen meiner rotblonden Haare im kölschen Idiom "dä Fuss" gerufen, wuchs ich zwischen Ruinen auf, die mangels anderer Möglichkeiten außer der Straße, unsere täglichen und gefährlichen Spielplätze waren.

Ich wurde mit Rheinwasser getauft, blieb zwar immer noch "dä Pimoken Fuss", sprach aber - neben astreinem Hochdeutsch - fließend Kölsch, tauchte schon früh in den Kölschen Fastelovend ein und fand meine frühe Identität als Nachwuchs-"Eingeborener von Trizonesien". Ich wurde, war und blieb bis heute Kölner, werde es in meinem tiefsten Herzen und nach einem Leben auf allen fünf Kontinenten immer sein und bleiben. Daß ich jetzt in Berlin lebe, ist kein Widerspruch dazu. Das ist eine andere Geschichte,,,

Vor allem drei Erfahrungen haben mich in der Kindheit und frühen Jugend beeinflußt und die Weichenstellungen für mein späteres Leben mitbestimmt.

Ab dem fünften Lebensjahr wurde die Musik ein elementar prägendes Betätigungsfeld. Blockflötenunterricht, Stimm- und Gesangsbildung im Kölner Kinderchor, früher Geigenunterricht (später kam die Bratsche hinzu), Schulorchester, Konzertmeister, Solist, erstes Orchesterdirigat mit 15 Jahren, Klavierstunden, Oboe.- und so weiter ...

Köln war damals die Stadt in Westdeutschland, die nach den Nazijahren, nach Krieg und Holocaust das tiefe kulturelle und intellektuelle "post war vacuum" wieder engagiert und gezielt füllte.

Junge (damals noch "Avantgarde") Künstler wie Karlhheinz Stockhausen, Nam Yun Paik, die Gebrüder Kontarsky, Bernd Alois Zimmermann, Kurt Edelhagen, Luigi Nono, Bruno Maderna, Maurizio Kagel, Johannes G. Fritsch, Hans Werner Henze u.v.A. waren die maßgeblichen "Neutöner" dieser Zeit.

Sehr früh schon tauchte ich - erst passiv und dann schnell auch aktiv - in diese Szene ein und ging in ihr auf.

Im Klassikbereich war es vor allem der damals junge und international noch unbekannte Gürzenich Kapellmeister Günter Wand, der mir früh Mentor, Freund und Lehrer wurde. Große Instrumentalisten und Dirigenten kamen hinzu. Musik war von da an und ist bis heute ein immanentes Element in meinem beruflichen wie privaten Leben geblieben, rund um die Welt.

Bildende Kunst und Literatur kamen hinzu. Ich bekam früh Mal- und Zeichenunterricht. Für mich wurden schon in meiner Kindheit die Kölner Museen zu meinen liebsten "Spielplätzen". Zu Hause hatte ich ebenso früh ein erstes eigenes Bücherregal mit wunderbaren Büchern, von Märchen über Abenteuerromane bis hin zu den literarischen "Klassikern". Lesen wurde neben Musizieren meine liebste und intensivste Beschäftigung.

Durch den Beruf meines Vaters lernte ich schon früh das Ausland kennen.

Er war in den Entwicklungsjahren der "Montan Union", ein junger aber gesuchter Fachmann für Tarife im Güterverkehr der Eisenbahn und mußte zu vielen Konferenzen ins Ausland reisen. Wenn es nach Paris ging - und das war oft der Fall - dann bestand meine Mutter darauf, daß sie und ich mitgenommen wurden. So lernte ich im Kindesalter Paris kennen und kannte mich dort schnell besser aus, als im zerbombten Köln. Österreich (Karnten) kam als Sommerurlaubsort hinzu. Die Lust an anderen Ländern war geboren.

Und ich lernte die Liebe zu gutem Essen im Ausland im Vergleich zu der im wahrsten Sinne des Wortes "mageren" Kost der Nachkriegszeit in Deutschland. Die logische Folge: Die Liebe zum Kochen.

Welche Studienfächer wählten Sie nach Ihrem Abitur und warum?

Germanistik, Kunstgeschichte, Musikwissenschaften - ohne noch zu wissen, welchen Beruf ich damit einmal ausüben wollte - außer, kein Behörden-Beamter werden zu wollen.

Sehr zum Mißfallen meines preußischen Vaters: "Junge, was willst Du denn damit mal werden ?"

Meine Studienjahre in Bonn, später auch als junger Forscher an den Nationalbibliotheken in Paris und Wien, waren mit die reichhaltigsten und prägendsten Jahre meines Lebens. Die Begegnung und enge Zusammenarbeit mit meinen Lehrern, den damaligen "Titanen" der internationalen Germanistik und Kunstgeschichte wie u.A. Benno von Wiese, Richard Alewyn, Hugo Moser, Karl Stackmann, Günter Jungbluth, Heribert von Einem, Heinrich Lützeler, Reiner Haussherr und Emil Platen in der Musik, haben mich beeinflußt wie wenige andere Menschen.

Nach Tutor, Wissenschaftlicher Hilfskraft und Lektor für ausländische Studierende während meiner Studienzeit in Bonn bis zum Associated Professor an der Pontifikalen Jesuiten Universität PUC ("Eliteschmiede" in Brasilien) und der Bundesuniversität Rio de Janeiro, der Gründung des ersten Institutes für Literarische Übersetzung und den ersten Promotionen junger Brasilianer in Germanistik, war dies auch eine akzeptable frühe Wissenschaftlerkarriere.

Nachhaltig geprägt hat mich während meiner Studienjahre jedoch auch wieder das Musizieren, als Bratscher im Akademischen Orchester "Collegium Musicum" der Universität Bonn, mit Konzerttourneen in europäische Länder, nach Südamerika, in den "Ostblock", bis hin nach Singapur, Australien und Neuseeland, jahrelanges Spielen im Streichquartett, die Gründung und das Chefdirigat eines eigenen Akademischen Kammerorchesters, der "Camerata Musicale", zu deren 50. Jubiläum ich kürzlich vom Rektor der Bonner Universität als Ehrendirigent zum Festkonzert eingeladen wurde. Inzwischen hat das Orchester sinfonische Stärke erreicht. Phantastisch !

Diese Musikertätigkeit setzte ich neben meinem Brotberuf als Hochschullehrer auch als Chefdirigent des "Orquesta Sinfónica Hebraica" in Rio de Janeiro und später in Manila fort, auch dort wieder als Bratscher und Gastdirigent des "Philippine Philharmonic Orchestra" und des "Manila Chamber Orchestra".

Wie stießen Sie ausgerechnet zum Goethe-Institut? Welche anfänglichen Aufgaben übernahmen Sie dort?

Zum Ende meiner Professorenjahre in Brasilien stand ich am Scheidewege.

Bleiben oder zurück nach Deutschland ? Wissenschaft oder was Neues ?

Diplomaten Freunde überredeten mich, die Prüfung für den Auswärtigen Dienst zu machen und in den diplomatischen Dienst zu gehen. Für einen Geisteswissenschaftler und Musiker wie mich und angesichts des damals noch vorherrschenden Ausbildungsprofils von Diplomaten (Juristen, Volkswirte, Politikwissenschaftler etc.) und die darauf zugeschnittenen Aufnahmeprüfungen, ein eher abenteuerlicher Gedanke.

Gesagt getan - ohne größere Vorbereitungen ging ich in die zweitägige Prüfungsklausur im Generalkonsulat in Rio - und bestand - zwar knapp und wieder allen Erwartens, aber ich hätte in Bonn als Attaché im Auswärtigen Amt anfangen können.

Nicht gerechnet hatte ich jedoch mit dem nachhaltigen Interesse des Goethe-Instituts an mir.

Ich wurde vom Goethe-Institut "gekeilt" und ließ mich bereitwillig "keilen". Die Lust auf die kreative und weitgehend unabhängige Arbeit der größten und wichtigsten deutschen Mittlerorganisation für die Umsetzung der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik war dann doch stärker als die Perspektive einer Diplomatemkarriere. Hony soit qui mal y pense. Ich habe diese Entscheidung bis heute nicht bereut.

Nach einem höchst kurzweiligen "Ausbildungsjahr" in der Zentrale des Goethe-Instituts in München wurde ich dort sofort Referent für Spiel- und Experimentalfilm - eine großartige Aufgabe, der ich mich mit Lust, Haut und Haaren hingab: neue deutsche Filme, Klassiker-. und experimentelle Underground Filme durch die Goethe-Institute in der ganzen Welt bekannt zu machen - das war mein Ding. Bis heute profitiere ich in meinen zahlreichen Aktivitäten von den damals geknüpften Kontakten in der deutschen Filmwelt.

Es folgten die Institutsleiterposten in Manila, Kopenhagen, Korea (Seoul und Pyongyang), Beauftragter für das Kulturprogramm „Deutschlandjahr in Japan 2005/2006“ und schließlich als Regionalleiter für Ostasien mit Dienstsitz in Tokyo. Wunderbar auch die Erfahrung als Leiter des Stabsreferates für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (1991-1994) in der Münchner Goethe-Zentrale.

Sie weilten längere Jahre in Ost- und Südostasien. Welche Schwerpunkte setzten Sie im Rahmen Ihrer Tätigkeit? Welche Highlights und welche Schlappen erlebten Sie dabei?

Schwerpunkte der Kulturarbeit im Ausland sollten sich vorrangig immer nach den Bedürfnissen und Wünschen des Gastlandes richten. Das habe ich auch immer zur grundsätzlichen Maxime meiner Auslandsarbeit gemacht und bin damit überall bestens gefahren - selbst in Nordkorea.

Das haben die Partner im Ausland auch immer erkannt und gewürdigt. Wirkliche "Schlappen" habe ich daher auch nie erlebt, da ich mich immer um ein einfühlsames Gespür für die Wünsche und Prioritäten des Gastlandes bemüht habe, denen ich bei meinem ausgeprägten Arbeitstemperament manchmal auch ein wenig "nachhelfen" mußte. Aber auch das kam immer gut an, da immer erfolgreich.

Was sind "Highlights" in dieser Arbeit ? Sicherlich nicht immer und überall Aktivitäten, die ungeteilten Beifall aller kulturpolitischen und sonstigen Lager in Deutschland selber finden. Internationale kulturelle Zusammenarbeit und Austausch als deutschen Mainstream-"Kulturexport" auf einer positiv-propagandistischen "Einbahnstraße" zu betreiben, ist mir immer in Greul gewesen. Internationale Kulturelle Zusammenarbeit bringt unterschiedlichste Kulturen, Menschen und Ideologien zusammen, sie öffnet Wege zur Kommunikation, zur gegenseitigen Neugier aufeinander, zu Verständnis und Vertrauen. Gute, kluge und sensible Auswärtige Kulturpolitik ist Friedenspolitik vom Feinsten - und davon brauchen wir heute mehr auf der Welt als je zuvor.

Dazu gehört auch der Umgang mit thematischen Ecken und Kanten, manchmal die mutige, aber immer auch respektvoll-freundliche "Provokation" und ehrlich-sachliche Konfrontation auf absolut gleichberechtigter Augenhöhe. Viele Außenpolitiker in der Welt kriegen das einfach nicht hin. Gute Kulturpolitiker sehr wohl.

Willy Brandt nannte die Auswärtige Kulturpolitik die "Dritte Säule der deutschen Außenpolitik". Das gilt bis heute.

Ja natürlich gab es auch "Highlights" im kleinen wie im großen Format.
- Die vielen Ausbildungsworkshops unter der Ägide der besten deutschen Filmkünstler für hochtalentierte junge Nachwuchsfilmer haben den Philippinen - einem großen und traditionsreichen Filmland - ihre erste Oscar-Nominierung in ihrer Filmgeschichte eingebracht - durch experimentelle Kurzfilme, die in den Goethe-Produktionsworkshops entstanden waren.

- Die Entdeckung und komplette Restaurierung der verschollenen Verfilmung des philippinischen Nationalromans "Noli Me Tangere", den der philippinische Nationalheld José Rizal 1887 in Berlin vollendete und veröffentlichte.
- Die nachgeholte Premiere des Tanz-/Singspiels "Die sieben Todsünden" (1933) von George Balanchine, Bertolt Brecht und Kurt Weill, deren dänische Premiere auf Druck der Nazis an der Königlichen Oper in Kopenhagen abgesagt wurde - ein Kapitel deutsch-dänischer Vergangenheits-Aufarbeitung

- Die Rückführung der barocken Oper mit Händels "Xerxes" in einer atemberaubenden Besetzung und Inszenierung, ebenfalls auf die Bühne der Königlichen Oper Kopenhagen, im Kopenhagener Kulturhauptstadt Jahr 1996 in Anwesenheit der dänischen Königin

- Zu Zeiten des historisch begründeten, verheerenden "Schulbuchstreits" das Zusammenführen von Korea, Japan, China, Frankreich, Polen, Israel und Deutschland unter dem Motto "Wege zur Aussöhnung" mit dem Ziel der Gründung einer koreanisch-japanisch-chinesischen Schulbuchkommission in Tokyo. Ein halbes Jahr nach der einwöchigen Konferenz gründete sich - aller anfänglichen Ablehnung zum Trotz - tatsächlich eine koreanisch-japanisch-chinesische Schulbuchkommission, die bis heute segensreich arbeitet.

- Zur Fußball WM 2002 in Korea/Japan die deutsch/koreanisch/japanisch/französische Inszenierung einer von uns in Auftrag gegebenen Oper über den koreanischen Nationalhelden An Chung-gun, einem Attentäter, der 1909 den japanischen Gouverneur Ito Hirobumi in Korea erschossen hatte - ein im koreanisch/japanischen WM-Jahr ganz heikles Unterfangen, das mit einem Riesenerfolg in Seoul und Tokyo endete.

- Die offizielle Eröffnung der Fußball WM 2002 im Seouler Nationalstadion durch Günter Grass mit dem Vortrag seines Fußballgedichtes

- Und natürlich der 2000 von Südkorea aus vorbereitete Durchbruch im Zugang zum damals noch sehr isolierten Nordkorea durch den Beginn der deutsch-nordkoreanischen kulturellen Zusammenarbeit - eine Erfolgsstory, die, mit schwankenden Intensitäten, bis heute weitergeht.

Sie sind ein intimer Kenner beider Korea, der Republik im Süden und der Demokratischen Volksrepublik (DVRK) im Norden. Nach Jahren des Kolonialismus, der Spaltung und des Krieges: Was verbindet die Menschen diesseits und jenseits des 38. Breitengrads, was ist das Trennende?

Es gibt mehr Verbindendes als Trennendes - auch wenn die jeweilige Propaganda und Staatsdoktrin im jeweils anderen Land lange Zeit das Gegenteil behauptete.

Natürlich haben wir es seit nun über sieben Jahrzehnten mit zwei in der Essenz inkompatiblen Ideologien, gesellschaftlichen und politischen Systemen zu tun. Diesen Zustand kennen wir Deutschen doch mit am besten.

Aber selbst diese Unterschiede können eine in weit über 3000 Jahren gewachsene nationale und kulturelle Identität sowie eine sehr einheitliche Ethnik nicht in 70 Jahren durch eine von Außen verordnete Teilung auseinanderdividieren.

Was vor allem die älteren Koreaner im Norden wie im Süden bewegt, ist die bis heute in den Köpfen und Herzen der Menschen nicht zu überwindende, oder gar zu vergessende Leidenserfahrung, die der Koreakrieg - ein unendlich grausamer Bruderkrieg, der "Vergessene Krieg" - über das ganze koreanische Volk gebracht hatte. Das Jahrtausende alte gemeinsame "Han" aller Koreaner, das keine Grenze kennt. Es ist eine paradoxe Situation: das gemeinsam durchlebte Leid einer ganzen Nation trennt und verbindet sie zugleich.

Die Propaganda beider Seiten tut ihr Übriges dazu, diese Leiderfahrung für die jeweils eigene Seite und Sache zu instrumentalisieren, bis hin zu der frühen propagandistischen Lüge, daß die Koreaner auf der jeweils anderen Seite sich gar nicht mehr in ein und derselben Sprache verständigen könnten.

Wann immer mir es gelungen ist, Süd-. und Nordkoreaner, meist im Rahmen von Kulturprojekten (in Deutschland) zusammenzubringen, war nach anfänglich heftigem sich Sträuben (den Bürgern beider Koreas sind solche nicht offiziell genehmigten Kontakte unter Strafe verboten) die Überraschung auf beiden Seiten immer wieder groß, als man als Erstes entdeckte, daß man völlig problemlos auf Koreanisch miteinander reden und sich verstehen konnte.

Als ich von meinem ersten Nordkorea-Aufenthalt nach Seoul zurückkam und meiner Sekretärin Photos aus Pyongang und seinen Menschen zeigte, entfuhr es dieser überaus klugen und gebildeten Frau: "Eigentlich sehen die genauso aus wie wir hier !" Das war vor 20 Jahren noch eine wichtige Erkenntnis.

 

 

Wie beurteilen Sie die Berichterstattung in unseren Medien, was vor allem die DVRK betrifft?

Leider immer noch überwiegend wie die Beschreibung eines Bildes durch „Blinde“. Mehr als 90% aller Journalisten, die über das Land schreiben, waren nie (oder bestenfalls mal zu einem kurzen Besuch) in Nordkorea.

Das hat natürlich viele Gründe auf beiden Seiten.

Nordkorea hat selber jahrzehntelang die Einreise und Arbeit von westlichen Medienvertretern im Land sehr restriktiv gehandhabt bzw. erschwert. Erst seit einigen Jahren hat man begonnen, sich auch auf diesem Gebiet vorsichtig zu öffnen. Trotzdem bleibt es nach wie vor schwierig, über dieses Land aus erster Hand und authentisch zu berichten.

Daher gibt es auf der ganzen Welt auch kaum Journalisten, denen man in Sachen Berichterstattung über Nordkorea mit Fug und Recht einen professionellen Experten- und Analystenstatus bescheinigen könnte. Fast Alle schreiben/reden auf der Basis von Sekundärquellen, vermeintlich gut informiert und berichten grosso modo dasselbe nach dem einheitlichen Grundmuster: Wiederholung  zementierter Meinungen, die Einer vom Anderen übernimmt, orientiert am Mainstream des von westlichen Medien vorgeführten "North Korea Bashing". Sehr wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel, wie z.B. der deutsch/französische Filmemacher Pierre Olivier Francois, dessen TV-Dokumentarfilme seit 2004 bis heute die einzigen vergleichsweise objektiven und – angesichts der im Land gegebenen Umstände für ausländische Berichterstatter - authentischen Filme über Nordkorea sind.

Immerhin kann man seit Februar 2018 vor allem in einigen deutschsprachigen Printmedien eine mehr an Fakten und Objektivität ausgerichtete Berichterstattung feststellen, was natürlich auch an einer insgesamt sich verbessernden internationalen Informationssituation seit den interkoreanischen und amerikanischen Gipfeltreffen liegt.

Trotzdem ist und bleibt es schwierig, über dieses Land zu berichten. Das muß man auch berücksichtigen. Aber auch hier gilt die alte Regel: Einmal selber Sehen, ist besser, als hundertmal Hören oder Lesen.

 

Ihnen gelang es, in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang einen vom Goethe-Institut initiierten Lesesaal einzurichten, der allerdings bald wieder geschlossen wurde. Was waren da die genauen Hintergründe?

Das ging 2004 in der Tat um die Welt: Das erste frei zugängliche und unzensierte deutsche Informationszentrum in Nordkorea.

Eine große amerikanische Tageszeitung titelte damals: "US Allies Show Bush Administration How to Deal with North Korea". Ja, es war nach fast zweijährigen Gesprächen mit den zuständigen Institutionen in Pyongyang ein Durchbruch und ein Erfolg für die deutsche auswärtige Kultur- und Bildungspolitik – aber auch für die progressiven Kräfte in Pyongyang. Dabei waren die grundsätzlichen Schwierigkeiten für die Nordkoreaner viel größer als für uns. Man konnte nicht wirklich absehen, worauf man sich durch die Einrichtung eines solchen Goethe-Informationszentrums einließ. Trotzdem haben sie diese Einrichtung bei ihren Behörden durchgesetzt und den Vertrag zur Gründung und Betreibung des Lesesaales, der sie u.a. zum unzensierten und frei zugänglichen Angebot aller Medien (ca. 7.500) verpflichtete, unterschrieben und auch eingehalten. Das funktionierte während der ersten Jahre auch gut und weitgehend reibungslos, bis sich auf amtlicher deutscher Seite zunehmend Kritik an der Handhabung durch die Koreaner regte - Einiges davon durchaus zu Recht, Anderes weniger oder gar nicht.

Schließlich wurde der Lesesaal 2009 nicht von den Koreanern geschlossen, sondern vom Goethe-Institut selber wurde den Koreanern der Betreibervertrag auf Verlangen des Auswärtigen Amtes gekündigt. Den USA gegenüber wurde dies damals als einer von mehreren deutschen Beiträgen zu den UN-Sanktionen gegen das Land genannt.  Eine nur schwer nachvollziehbare Interpretation, die man bestenfalls als Mißverständnis entschuldigen kann.

Immerhin erregte die einseitige Schließung des Lesesaales dann fast ebenso viel Aufsehen wie seine Eröffnung. Im Bundestag kam es zu einem höchst seltenen,  parteiübergreifenden und einstimmigen Beschluß, den damaligen Vorsitzenden des Unterausschusses für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, Dr. Peter Gauweiler, seinen Stellvertreter Harald Leibrecht und mich umgehend nach Pyongyang zu schicken, eine entschuldigende Erklärung der Bundesregierung für die nicht mit dem Bundestag abgestimmte Entscheidung des Auswärtigen Amtes zu überbringen und die sofortige Wiedereröffnung des Lesesaales, samt weiterer Kulturprojekte, inkl. solcher zur interkoreanischen Familienzusammenführung, anzubieten. Zu einer Wiedereröffnung  kam es dann aber nicht mehr. Eine längere Geschichte …

Zusammenfassend gilt für mich bis heute: Der Goethe-Lesesaal war ein Leuchtturm deutscher Auswärtiger Kulturpolitik und ein Beweis dafür, daß auch Nordkorea sich damals – zumindest auf diesem Gebiet – öffnen wollte. Darum konnte es nicht ausschließlich entscheidend sein, wie reibungslos die Betreibung nach unseren Maßstäben funktionierte, sondern daß es ihn überhaupt an diesem Ort geben konnte. Ich machte schon damals den Vorschlag, Geduld und Dialog zu wünschenswerten Verbesserungen in der Handhabung des Betriebes einzusetzen, anstatt ihn einfach zu schließen. Die maßgeblichen deutschen Stellen wollten sich dem jedoch nicht anschließen.

Wie lässt sich das Kulturschaffen in der DVRK beschreiben, was sind dort besonders brennende Themen?

Es gibt in NK kein Thema, das nicht irgendwie "brennt". Alles ist wichtig oder wird als wichtig gesehen - auch im kulturellen Leben des Landes, das außerordentlich rege ist und landesweit gepflegt und gefördert wird. Allerdings geschieht dies doch in sehr unterschiedlichen Formen und mit anderen Inhalten, als wir sie gewohnt sind. Das beginnt bei der grundsätzlichen Zielsetzung der Förderung und Ausrichtung kulturellen Schaffens und Lebens im Land. Kunst und Kultur sind immer auch „Nationalkultur“ und sollen zunächst einmal sichtbares Zeichen einer einheitlichen kulturellen Identität des Volkes sein. Darüber hinaus dient kulturelles Leben in all seinen Formen und Ausprägungen natürlich auch zur Unterhaltung der Menschen, gleichzeitig aber auch von der frühen Kindheit bis ins Alter, in allen Bevölkerungsschichten und bis in den letzten Winkel des Landes als Vermittler der herrschenden politischen und ideologischen Überzeugungen und Regeln der Regierung bzw. der Partei. So gut wie alle wichtigen Themen leiten sich daraus ab. Sie hat damit auch einen ausgeprägten erzieherischen Charakter, der unserem Kunst- und Kulturverständnis natürlich völlig  fremd ist und es auch bleiben wird. Vor diesem Hintergrund werden „brennende Themen“ vor allem im Film und den öffentlichen visuellen Medien und Veranstaltungsformen aufgegriffen und „transportiert“, von den berühmten Massenchoreographien der „Arirang Festspiele“, über die Kino- und TV-Programme bis hin zu DVDs für den Privatgebrauch. Vergleichbares gilt für die Literatur und die Tonkunst. „Brennende Themen“ sind in all diesen Sparten immer ähnlich: Die glorreiche und heroische Geschichte des Landes, die unbeugsame und allzeit wache Verteidigungsbereitschaft gegen jeden Feind von Außen, die Liebe zum Vaterland, die lebenslange Fürsorglichkeit und Liebe der Staatsführung für jedes Mitglied der Gesellschaft, die herausragenden Taten einzelner Gruppen oder Individuen für die Ziele und Ideale der Partei und der Wunsch nach nationaler Wiedervereinigung.

 

Verfolgen Sie noch bestimmte Projekte, bei denen sich die Rolle eines diskreten "Brückenbauers" zwischen den Kulturen anböte?

 

Ja natürlich, wobei das Wort „diskret“ in diesem Kontext eher mißverständlich sein könnte. Zwar mache ich diese Arbeit prinzipiell im Stillen, ohne jedes Brimborium, habe aber von Anfang an immer größten Wert auf Offenheit und Transparenz für alle Seiten gelegt und tue das auch weiterhin: Bei beiden koreanischen Regierungen, bei unserem Außenministerium und je nach Bedarf auch bei befaßten offiziellen Institutionen in Deutschland bis hin zum Bundestag (insbesondere mit der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe).

Das hat mir schon sehr früh und bis heute das volle Vertrauen aller beteiligten Seiten gebracht – eine unverzichtbare Grundlage für meine kulturpolitische Mittlertätigkeit in diesem insgesamt immer noch sehr schwierigen und aus allen möglichen Richtungen oft genug mißtrauisch beäugten Tätigkeitsgebiet und seinem politischen Umfeld.

Allerdings halte ich mich in meiner Arbeit auch immer streng an meinen „Leisten“, die kulturelle Zusammenarbeit und den Austausch zwischen den unterschiedlichen Kulturen und Systemen. Zur Zeit liegen wichtige Projekte für die Zusammenarbeit im Filmbereich, der klassischen Musik (im Konzertbereich wie der Musikausbildung an Hochschulen), mehrere Ausstellungsprojekte, an denen beide Koreas gemeinsam teilnehmen sollen, ein ganz spannendes Sportprojekt, ein in Pyongyang konzipiertes Projekt zum Aufbau eines großen institutionellen Netzwerkes für Waisenkinder von der Geburt bis zur abgeschlossenen Berufsausbildung, verbunden damit die Einführung von Deutsch als zweiter Fremdsprache an ausgewählten Grundschulen des Landes, das Zusammenwirken deutscher und koreanischer Künstler bei Musikfestivals in Pyongyang, die Zusammenarbeit maßgeblicher Institutionen im Informations- und Bibliotheksbereich und immer wieder Projekte mir deutschen Medienvertretern.

Sie sind u.a. Präsident der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft e.V. und in Ihrem Leben vielfach mit Preisen und Ehrungen ausgezeichnet worden. Welche dieser Auszeichnungen bedeutet Ihnen besonders viel?

Das ist in etwa wie die immer wieder gestellte Frage "In welchem Land hat es Ihnen in Ihrem Berufsleben am besten gefallen ?". Ich war überall glücklich.

Ehrungen, kleine wie große, habe ich nie als persönliches Verdienst, sondern immer dankbar als Bestätigung für ordentliche Arbeit und als Ansporn verstanden, so weiter und es in Zukunft nach Möglichkeit noch besser zu machen. In diesem Sinne bedeutet mir jede Ehrung oder Auszeichnung gleich viel. Schließlich wollte man damit seine besondere Anerkennung für Geleistetes zeigen. Und wenn Einem das im Leben zuteil wird, bedeutet es mir natürlich viel und macht mich immer sehr dankbar.


Kontaktdaten von Dr. Uwe Schmelter

Präsident der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft e.V.
Leiter der Goethe-Institute Philippinen, Dänemark, Korea (Seoul/Pyongyang) und Japan a.D.
Regionalleiter der Goethe-Institute in Ostasien  a.D.
Senior Advisor for Korean-German Affairs der Korea Culture and Arts Foundation, Seoul
Senior Consultant for International Cultural and Public Diplomacy, Berlin

Albrechtsstraße 15a
12167 Berlin
Telefon: +49 30 79302111
Mobil:  0179 9393357
Mail:  aquarius450218@yahoo.de


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