2016: Eine Lösung, die keine ist

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Source:  ipg-Journal - 13 Juli 2016
http://www.ipg-journal.de/kolumne/artikel/eine-loesung-die-keine-ist-1520/
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Eine Lösung, die keine ist

Der Schiedsspruch zum Südchinesischen Meer könnte alles nur noch schlimmer machen.
Richtiger Gerichtsentscheid, der aber nicht zur Lösung des Konflikts beiträgt.

Mit der Zurückweisung der chinesischen Position im Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer hat der Ständige Schiedshof in Den Haag am 12. Juli 2016 zwar wie von vielen Beobachtern erwartet entschieden. Doch die Deutlichkeit in der Sache bei gleichzeitiger Übernahme der wichtigsten Positionen der Philippinen hat dann doch stark überrascht.

Für die chinesische Politik ist der Schiedsspruch in seiner Klarheit ein herber Gesichtsverlust, auch wenn die Regierung in Peking stets betont hat, weder die Zuständigkeit des Schiedshofs noch das Urteil selbst anzuerkennen und sich deshalb auch nicht danach richten werde. Dies von der in letzter Zeit stark auftrumpfenden Großmacht China zu erwarten, wäre sicher auch naiv. Doch wird Peking den Schiedsspruch nicht ohne weitere politische Kosten völlig ignorieren können.

Der Schiedshof hat die sogenannte Neun-Strich-Linie („nine-dash line“), aus der China seine Ansprüche auf mehr als 80 Prozent des Südchinesischen Meeres ableitet, als unvereinbar mit dem internationalen Seerecht bezeichnet. Die fünf Richter aus Deutschland, Frankreich, Ghana, den Niederlanden und Polen haben zudem die Riffe und Sandbänke der Spratly-Inseln nicht als Inseln im Sinne der UN-Seerechtskonvention anerkannt. Damit haben sie den sie jeweils kontrollierenden Mächten die juristische Grundlage entzogen, aus ihrer jeweiligen Gebietskontrolle Hoheitsgewässer und exklusive Wirtschaftszonen von bis zu 200 Seemeilen ableiten zu können.

Festgestellt wurde zudem, dass chinesische Schiffe von Peking ermutigt völkerrechtswidrig in der philippinischen Wirtschaftszone fischen, China selbst dort mit illegalen Aufschüttungen Korallen und die natürliche Umwelt zerstört und auch nicht aus zu Inseln aufgeschütteten Riffen Souveränitätsrechte ableiten darf.

Bereits mit der expliziten Annahme der philippinischen Klage hatte der Schiedshof im Oktober 2015 seine Zuständigkeit in dem Fall erklärt und damit Pekings Position auf Nichtzuständigkeit zurückgewiesen. Letztere wird zwar auch von manch angesehenem westlichen Juristen wie dem deutsch-britischen VölkerrechtlerStefan Talmon von der Universität Bonn geteilt. Doch nach Meinung des Schiedshofs kann nur er selbst darüber befinden und keine Konfliktpartei. Dieser Beschluss vom Oktober und die erklärte Nichtanerkennung durch China haben dann bereits auch eine Entscheidung zugunsten der Philippinen wahrscheinlich gemacht.

Peking hat das Verfahren als „Farce“ und den Schiedsspruch für „null und nichtig“ erklärt.

Unmittelbar vor und nach dem Schiedsspruch hat Peking seine bekannte Position wiederholt und das Verfahren als „Farce“ und den Schiedsspruch für „null und nichtig“ erklärt. Doch hat Peking offen gelassen, wie es letztlich darauf reagieren wird.

Womöglich ist Chinas Führung von der Deutlichkeit selbst überrascht, vielleicht scheint es aus Pekings Sicht aber auch schlicht nicht opportun, bereits jetzt mit Reaktionen zu einer weiteren Eskalation des Konflikts beizutragen und sich bei internationalen Gipfeln dem Risiko geballter internationaler Kritik auszusetzen. Denn am 15. Juli 2016 beginnt in der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator das Asia-Europe Meeting (ASEM) von mehr als 50 Staats- und Regierungschefs. Noch im Juli folgt ein ASEAN-Außenministertreffen und im September wird China in Schanghai selbst den Gipfel der G-20-Staaten ausrichten. Bei all diesen Treffen müsste Peking damit rechnen, an den Pranger gestellt zu werden, sollte es nicht mit Augenmaß reagieren. Das wäre ein weiterer Gesichtsverlust.

China läuft nun Gefahr, in die Rolle einer arroganten Großmacht zu geraten, die internationales Recht nur zu akzeptieren scheint, wenn es ihr selbst nützt. Pekings bisherige Politik in dem Territorialkonflikt erscheint als Machtspiel gegenüber schwächeren Nachbarn wie den Philippinen oder Vietnam. Dabei weist Graham Allisonvon der Harvard Kennedy School zu Recht darauf hin, dass bisher auch alle anderen ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats in Souveränitätsfragen keine Urteile akzeptiert haben, die sie völkerrechtlich verurteilt haben. Ironischerweise hatte der für den jetzigen philippinischen Erfolg maßgebliche Anwalt Paul Reichler bereits 1986 eine völkerrechtliche Verurteilung der USA für ihre Verminung nicaraguanischer Häfen erwirkt. Doch schon damals hatte die US-Regierung von Präsident Ronald Reagan weder die Zuständigkeit des Gerichts noch das Urteil selbst anerkannt. Berichten zufolge sollen für den aktuellen Fall chinesische Juristen der damaligen US-Position große Aufmerksamkeit gewidmet haben.

Für das aufstrebende China ist der Territorialkonflikt mit seinen Nachbarn vor allem ein geostrategischer Machtkampf mit den USA.

Für das aufstrebende China ist der Territorialkonflikt mit seinen Nachbarn vor allem ein geostrategischer Machtkampf mit den USA, deren Marine es aus dem Südchinesischen Meer herausdrängen will. Dabei hat Peking mit seinem Verhalten die Nachbarstaaten – vor allem die Philippinen und Vietnam – in Washingtons Arme getrieben, statt bei ihnen mit Kompromissen Vertrauen aufzubauen.

Ausgerechnet die USA, die in der Region nie zimperlich vorgegangen sind und anders als China die UN-Seerechtskonvention nicht ratifiziert haben, können sich jetzt nicht nur als Verteidiger der Freiheit der Meere inszenieren, sondern auch des Völkerrechts. Das unterstreicht das Scheitern des chinesischen Vorgehens.

Einen Ausweg für China bieten jetzt Verhandlungen zunächst mit den Philippinen und später eventuell mit Vietnam. Zwar hatte Peking schon immer auf bilaterale Gespräche gesetzt. Doch hatte es dafür zuletzt als Bedingung verlangt, dass die Philippinen ihre Klage zurückziehen. Doch dazu war auch der neue Präsident Rodrigo Duterte nicht bereit, der sich bisher kompromissbereiter zeigte als sein Vorgänger Benigno Aquino III. Duterte erklärte sogar offen: „Wir sind nicht bereit, in den Krieg zu ziehen.“ Jetzt könnte ein neuer Gesprächsanlauf einen Ausweg weisen. Doch warum sollte Dutertes Regierung ausgerechnet jetzt mit Peking verhandeln, wo sie doch gerade Recht bekommen hat?

Er scheint verstanden zu haben, dass die Gerichtsentscheidung den Konflikt nicht lösen kann, wenn Peking diese nicht akzeptiert. Der Schiedsspruch kann bestenfalls den Philippinen in Verhandlungen mit dem übermächtigen China den Rücken stärken. Um Chinas Gesichtsverlust nicht zu vergrößern und mögliche Trotzreaktionen nicht zu verstärken, hat sich die philippinische Regierung deshalb jeglichen Triumphalismus enthalten.

Es ist leider unwahrscheinlich, dass Peking seine Position substanziell revidieren wird.

Es ist leider unwahrscheinlich, dass Peking seine Position substanziell revidieren wird. China sitzt durch seine Fähigkeit, vor Ort Fakten zu schaffen, machtpolitisch an einem längeren Hebel als alle seine Nachbarn. Bei einem Kurswechsel hätte Chinas Führung zudem das Problem, diesen seiner Bevölkerung erklären zu müssen, der doch sonst die bisherige Position als einzig wahre dargestellt worden war. Damit käme zum Gesichtsverlust nach außen noch der Glaubwürdigkeitsverlust im Inneren, verbunden mit dem wahrscheinlichen Vorwurf des Ausverkaufs nationaler Interessen.

Es bleibt zu hoffen, dass Chinas Führung aus diesem selbst verursachten Dilemma einen Ausweg findet, der nicht die Gefahr eines bewaffneten Konflikts vergrößert. Zugleich ist aber auch zu befürchten, dass nicht nur China den Schiedsspruch wie angekündigt ignorieren wird, sondern auch die USA und andere diesen zum Anlass nehmen könnten, in der Region aggressiver aufzutreten. Darin liegt eine weitere Gefahr des Schiedsspruchs. Er hat zwar überfällig für Klarheit gesorgt, doch kommt er letztlich um Jahre zu spät, weil sich in der Zwischenzeit insbesondere China in eine Position verrannt hat, aus der es ohne Gesichtsverlust nicht herauskommt.

Für die EU wird es darum gehen, China immer wieder darauf hinzuweisen, dass sein künftiger Ruf auch von der Achtung des Völkerrechts abhängt. Die europäischen Exportnationen haben ein grundlegendes Interesse nicht nur an der Verrechtlichung internationaler Beziehungen, sondern auch an der Freiheit der Meere. Im Unterschied zu den militärisch in Asien präsenten USA haben die Europäer dort weniger das Problem, als Chinas strategische Rivalen gesehen zu werden. Auch hat zum Beispiel Deutschland im Unterschied zu den USA die UN-Seerechtskonvention ratifiziert. Das lässt Europas Appelle glaubwürdiger erscheinen. Doch solange China den Territorialkonflikt mit seinen Nachbarn jeweils nur bilateral diskutieren will, dürfte die Appelle der Europäer kaum Gehör finden.

Von: Sven Hansen
Veröffentlicht am 13.07.2016

Sven Hansen,Berlin
Sven Hansen ist seit 1997 Asien-Redakteur der tageszeitung (taz) in Berlin. Er studierte Politologie und Communication for Development.








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