Aufruf: Krieg nicht hinnehmen

Evangelische Landeskirche in Baden
Forum Friedensethik (FFE) in der Evangelischen Landeskirche in Baden

"Dein Wille geschehe" - Den nächsten Krieg nicht schicksalsergeben hinnehmen
Aufruf des Forums Friedensethik zum Thema "Krieg als Mittel der Politik"

Ist Krieg tatsächlich die „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“? In diese Diskussion will sich das 1999 aus einer Akademietagung zur Friedensethik hervorgegangene „Forum Friedensethik in der Evangelischen Landeskirche in Baden“ (FFE) mit seinem Memorandum einmischen. Zu seinem Leitungskreis gehören Bettina Auffarth-Preuß, Hans-Georg Dittrich, Dr. Dirk-M. Harmsen, Hartmut Müller, Bettina Ott, Dr. Albert Schäfer, Gerlinde Vetter und Dr. Wilhelm Wille. In 13 Thesen bezieht das Forum Stellung zum Thema, nimmt aus dieser Perspektive politische bzw. militärische Aktionen in Afghanistan und im Nahen Osten in den Blick und fordert zur Mitsprache auf.

These 1:
Der in den Kirchen über lange Zeit aufgebaute Konsens einer „vorrangigen Option für Gewaltfreiheit“ und das Postulat des „Gerechten Friedens“ geht in einem friedensethischen Dammbruch verloren. Der Gedanke der „ultima ratio“ legitimiert erneut den Krieg als Mittel der Politik. Kirchliche Stellungnahmen büßen ihre Kraft zu einer Begren-zung von Gewalt ein und werden von den politischen Akteuren ignoriert.

These 2:
Gegen die Forderungen kirchlicher Friedensethik befreien sich USA und NATO von den völkerrechtlichen Grundlagen. Im Kosovo hat sich die Nato selbst mandatiert. In Afghanistan wird der Krieg ohne völkerrechtliche Grundlage geführt.

These 3:
Der Eindruck drängt sich auf, dass die Menschenrechts-Argumentation mehr und mehr durch Interessenpolitik verdrängt wird. Zivile Mittel zur Konfliktbewältigung werden nicht ausgeschöpft.

These 4:
In Afghanistan erscheinen die öffentlich genannten Kriegsgründe vorgeschoben. Die Interessen an dortigen Ölvorkommen sind schon länger bekannt. Die USA haben in der Vergangenheit verschiedene Bürgerkriegsparteien unterstützt, zuletzt auch die jetzt bekämpften Taliban. Die in Kauf genommenen Opfer unter der Zivilbevölkerung nehmen der Bekundung einer humanitären Intervention die Glaubwürdigkeit. Deutschland hat sich in den Krieg hineinziehen lassen und ist daher mitverantwortlich für die Kriegsziele. Es ist nicht nur Ordnungsmacht, sondern stützt eine Übergangsregierung in dem Machtkampf rivalisierender Gruppen. An direkten militärischen Einsätzen im Guerilla-Krieg ist die Bundeswehr bereits beteiligt.

These 5:
Die USA nehmen den Irak ins Visier. Die Begründungen wechseln. Die Absicht eines Systemwechsels bedeutet Legitimierung des Faustrechts in internationalen Beziehungen. Ein echtes System kollektiver Sicherheit kann so nicht entstehen. Die Sprache der USA mit ihren Anleihen am christlichen Fundamentalismus („das Böse“) untergräbt die Glaubwürdigkeit christlicher Verkündigung. Diesem Missbrauch müssen wir kritisch entgegentreten.

These 6:
Die undeutliche Prognose über die Länge des Kampfes gegen den Terrorismus bedeutet einen Kriegszustand in Permanenz. Die damit verbundene Hegemonie der USA zusammen mit deren Rüstungspolitik beschwört Konflikte mit den anderen Atomgroßmächten Russland und China herauf. Im Zuge der Globalisierung ist ein „Hungerkrieg der Reichen gegen die Armen“ zu befürchten.

These 7:
Erkennbar sind Tendenzen, auch Atomwaffen neuer Qualität einsetzbar zu machen. Damit vergrößert sich die Gefahr eines neuerlichen Atomrüstungswettlaufes. Auch Terroristen könnten in den Besitz solcher Waffen gelangen. Die von diesen Waffen ausgehenden Gefahren waren der Grund, weshalb die Kirchen den Kriegsdienst problematisiert hatten. Ihre Forderungen nach Senkung des Rüstungsniveaus sind erneut zu aktualisieren. In der EKD galt seit 1981, dass Christen unter der Bedingung von Atomrüstung nur noch dienen können, wenn gleichzeitig die Konzeption eines gerechten Friedens umgesetzt wird. Die ethische Bewertung des Kriegsdienstes und der Sicherheitspolitik muss erfolgen unter Berücksichtigung neuerlicher Atomkriegsgefahr.

These 8:
Christen dürfen sich nicht den Mächten des totalen Marktes resignierend unterwerfen. Mit den Bitten des Vaterunser werden Wege der Selbstbesinnung und der Ermutigung zu deutlichem Wort und Handeln aufgezeigt. Der Ruf zur Nachfolge lässt sich nicht relativieren mit dem Hinweis auf begrenzte Einsicht und Schwäche der Nachfolger.

These 9:
„Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“ Diese Amsterdamer Formulierung von 1948 gilt ungebrochen und braucht die Umsetzung in Predigt, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit der Kirchen. Konfliktverschärfende wirt-schaftliche Interessen gehören aufgedeckt. Zivile Bearbeitung von Konflikten braucht Förderung. Die Globalisierungsprozesse dürfen nicht zu einem Auseinanderdriften der Schere zwischen Arm und Reich führen und damit neuen Nährboden für Terrorismus bieten. Vergeltungsdenken ist ungeeignet zum Widerstand gegen das Böse. Die Bitte „Vergib uns unsere Schuld“ macht deutlich, dass auch wir durch unseren Lebensstil in die Strukturen von Ungerechtigkeit eingebunden sind. Gewalt gegen die sogenannte zivilisierte Welt kommt nicht nur von außen, sondern geht auch von ihr selbst aus.

These 10:
Als Christen in Deutschland sind wir in besonderer Solidarität mit Israel, aus gemeinsamem Bezug zur biblischen Botschaft und Erinnerung an die deutsche Schuld gegenüber den Juden. Das kann aber nicht zu unkritischer Haltung gegenüber israelischer Regierungspolitik führen. Wir sehen in der Siedlungs- und Besatzungspolitik eine fortgesetzte Gefahr für den Weltfrieden. Nur mit solcher Kritik können wir glaubwürdig auch von den Palästinensern einen Gewaltverzicht fordern.

These 11:
Wir brauchen in Deutschland den öffentlichen Diskurs zur Friedensfrage. Auskunftsverweigerung mit dem Hinweis auf Komplexität oder Vertraulichkeit oder Bündnisraison steht dem häufig im Wege. Kirche und Christen sollen hierfür Räume schaffen, damit friedensethische Erkenntnisse politikfähig werden.

These 12:
Zum ernsthaften Gebet gehört das Bemühen um Aufklärung der Grundlagen gegenwärtiger Konfliktsituationen. Wer sich im Gebet dem göttlichen Du öffnet, wird sich dem Nächsten nicht verschließen können und dürfen. So wird eine Barriere gegen Hass wirksam. Die Gemeinschaft im Beten durch verschiedene Konfessionen hindurch und auch die Suche nach Begegnung mit anderen Religionen soll als friedensförderndes Potential wirken.

These 13:
Gewalt hat viele Gesichter. Es ist zu begrüßen, dass auch in unserer Landeskirche die Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt mit vielen Aktivitäten anläuft. Die sich zuspitzenden internationalen Konflikte, die Gewalt der Terrorakte, der Militärhaushalte und bindungslosen Kapitalströme bedarf besonderer Beachtung – um unser aller christlich-ethischer Glaubwürdigkeit willen.


Dieses Memorandum wurde unterzeichnet von: Dietrich Becker-Hinrichs, 79232 March; Katharina Bühling, 75180 Pforzheim; Hans-Georg Dittrich, 69502 Hemsbach; Dr. Ulrich Duchrow, 69124 Heidelberg; Dr. Matthias Engelke, 55743 Idar-Oberstein; Beata Friederich, 75173 Pforzheim; Ullrich Hahn, 78050 Villingen; Dr. Dirk-M. Harmsen, 76139 Karlsruhe; Albrecht Herrmann, 88677 Markdorf; Martin Höfflin, 76137 Karlsruhe; Dr. Gerhard Liedke, 69124 Heidelberg; Marion Liedke, 69124 Heidelberg; Johannes Maier, 79183 Waldkirch; Hartmut Müller, 74909 Meckesheim; Bettina Ott, 79733 Görwihl; Dr. Albert Schäfer, 69469 Weinheim; Jürgen Stude, 76010 Karlsruhe; Gerlinde Vetter, 76530 Baden-Baden; Wenz Wacker, 69469 Weinheim; Dr. Wilhelm Wille, 79238 Ehrenkirchen; Dietrich Zeilinger, 76185 Karlsruhe; Helmut Zeilinger, 79100 Freiburg; Dr. Wilhelm Wille, Ehrenkirchen.






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