2014: Mulfingen Gedenkfeier

AK Sinti/Roma und Kirchen in BW
Siehe auch hier: Bericht von Manuel Werner

Bericht über die Gedenkfeier in Mulfingen am Freitag 9. Mai 2014

für den Arbeitskreis „Sinti/Roma und Kirchen“
zum Treffen am Montag 19. Mai 2014 in Ravensburg um 13.45 Uhr
im Gemeindehaus in der Eisenbahnstraße 25

Von Udo Grausam, Mathildenstraße 19, 72072 Tübingen, Tel. 0 70 71 / 9 79 81 17



Die Veranstaltung am Freitag 9. Mai 2014 in Mulfingen im Hohenlohekreis zum Gedenken an die 1944 nach Auschwitz deportierten Sinti-Kinder der St. Josefspflege, fand mit einem Gedenkgottesdienst durch die Diözese Rottenburg-Stuttgart und einer Gedenkstunde durch die Bischof von Lipp-Schule statt. 

In dem katholischen Gedenkggottesdienst sprach Herr Pfarrer Kuhbach von der Verantwortung jedes Einzelnen im Heim und bei den Behörden an der Verschleppung der Kinder. Der später eingetroffene Bischof Dr. Fürst sprach von der symbolischen Hereinnahme der Kinder der St. Josefspflege in die Gemeinschaft der anwesenden Gläubigen. An der Osterkerze zündeten Schülerinnen und Schüler der Bischof von Lipp-Schule für die 39 deportierten Kinder 39 Lichter an und stellten sie in die Lücken einer aufgebauten Mauer aus Ziegelsteinen; die Fotos von einigen der deportierten Kinder waren auf der Mauer zu sehen. Die Lichter brannten auch nach dem Gottesdienst weiter.

Bei der anschließenden Gedenkstunde in der Bischof von Lipp-Schule sprach Herr Daniel Strauß vom Landesverband Baden-Württemberg des Verbands Deutscher Sinti und Roma e.V. aus dem eigenem Erleben als Nachgeborener engagiert und kritisch. Es wies darauf hin, dass viele der überlebenden Sinti von ihren Kirchengemeinden nicht wieder aufgenommen wurden. Die Zerstörung der Überlieferung innerhalb der Familien durch die Vernichtung in den Konzentrationslagern nannte Herr Strauß „produzierten Analphabetismus“. Er wies auf die Einrichtung der Hildegard-Lagrene-Stiftung hin und auf deren Bildungsinitiative für junge Sinti und Roma. Der Landesverband hatte nach Mulfingen zwei Ausstellungen mitgebracht („... weggekommen“ und „Typisch Zigeuner?“) und zeigte sie auf Tafeln in der Aula der Schule.

Begleitet wurde die Gedenkstunde auch durch eine Ausstellung der Schülerinnen und Schüler der Bischof von Lipp-Schule selbst über ihre Fahrten in die Gedenkstätte Auschwitz. Die Schule finanziert offenbar nicht nur die Gedenkfahrten sondern lehrt auch die Verarbeitung der Eindrücke. Sie vermittelt die praktische Darstellung des Erlebten in ganz verschiedenen Medienformaten. Das Bezeichnen, Ausdrücken und Stellungnehmen der Schüler zu dem Erfahrenen wurde in seinen Ergebnissen ansprechend und anerkannt ausgezeichnet präsentiert. 39 Lichter säumten am Abend dann auch den Weg der Besucher von der Schule zu den Parkplätzen bzw. zur Hauptstraße.

Die Veranstaltung zeugte von guter Vorbereitung und Vernetzung des Gedenkens. Der Geschäftsführer der Bischof von Lipp-Schule Herr Dirnberger und seine Frau berichteten mir aufschlussreich über die Anfänge des Engagements und über den Stand der Forschungsaktivitäten; sie gehören ja zur 'Gründergeneration' der neuen Sozialpädagogik in der Gegend. In der eigenen Recherche und pädagogischen Vermittlung des Themas Sinti und Nationalsozialismus wurden sie seit den achtziger Jahren mit Rat und Tat unterstützt durch die Pädagogische Hochschule Esslingen (durch Prof. Kurt Senne?). Im Vergleich zu anderen NS-"Heimen" für Sinti-Kinder und ihren Nachfolgeeinrichtungen könne die Bischof von Lipp-Schule durchaus Eindrucksvolles vorweisen. Jedoch sei wegen der weitgehend abgeschlossenen wissenschaftlich-historischen Dokumentation über die St. Josefspflege die weitere Forschungsarbeit weitgehend eingestellt, so Herr Dirnberger.

Bezüglich der Veranstaltung erhielt ich am Dienstag 13. Mai einen Gruß aus Mannheim von Frau Guttenberger vom Landesverband Baden-Württemberg des Verbands Deutscher Sinti und Roma e.V.. Sie fand Gottesdienst und Gedenkveranstaltung würdig. Sie weist darauf hin, dass es am 2. August 2014 im Innenministerium von Baden-Württemberg eine Gedenkveranstaltung anlässlich der Auflösung des „Zigeunerlagers“ von Auschwitz-Birkenau am 2. August 1944 geben wird. Dazu laden Landesverband und Innenministerium noch ein.

Tübingen, 16. Mai 2014
Udo Grausam