2015: Rettet den Naeseong Fluss

Klimawandel und Ökologie
Naesong-River
Mit freundlicher Erlöaubnis der Autorin. Englische Version ganz unten.
Karina Schumacher, Seoul ROK

Rettet den Naesong Fluss!!

Anfang März fuhren meine Kollegin Hyun-ah und ich mit dem neuen Vorsitzenden des Ökozentrum-Kommittees nach Yeongju, etwa 2 Stunden südöstlich von Seoul.

Yeongju liegt am Nakdong Fluss, einem der vier großen Flüsse des Landes und nachdem mit dem Yeongju-Damm nun auch der letzte der 16 Staudämme im Rahmen des Vier-Flüsse Projektes fertig gestellt wurde, gilt das 13,5 Mrd. Euro Großprojekt LEE, Myung-baks, Präsident Südkoreas von 2008 bis 2013, als abgeschlossen.

Der Widerstand gegen das Vier-Flüsse Projekt ist eines der Kernthemen des Ökozentrums. Schon 2010 errichtete die PROK ein Zelt in Paldang am oberen Han Fluss, um mit einem mehr als 200-tägigen Fastengebet die ansässigen Farmer zu unterstützen. Anschliessend machten sich insgesamt etwa 700 PastorInnen, TheologiestudentInnen, Gemeindemitglieder, Jugendliche und UmweltaktivistInnen auf eine über 630km lange Pilgerreise entlang der vier große Flüsse Koreas. Eine Zusammenfassung der Aktivitäten erschien in einem Buch und der Widerstand wurde mit einer Unterschriftenaktion fortgesetzt.



Gegen den Willen der Bevölkerung und unter massiver Kritik von Umweltschützern weltweit wurde das Großprojekt in einem atemberaubenden Tempo umgesetzt und Ende letzten Jahres fertig gestellt. In der Gegenbewegung ist es ruhig geworden. Das Ökozentrum hat sich nun aber auf seine Anfangszeit besonnen und beschlossen, die Aktivitäten wiederzubeleben. Deshalb wurde im letzten Jahr jeden Montag eine 1-Mensch-Demo vor dem Gwanghwamun organisiert und der Kontakt zu lokalen Umweltgruppen am Nakdong Fluss (wieder-)aufgenommen. Der Fluss ist mit 8 Dämmen am stärksten vom Vier-Flüsse Projekt betroffen. Der Naeseong, ein Zulauf des Nakdong, ist charakterisiert durch sein sehr sauberes Wasser, das im sandigen Flussbett ständig gereinigt wird und seine wunderschönen Landschaften entlang des stark mäandernden Flusslaufs. Der Fluss ist Heimat vieler bedrohter Tier- und Pflanzenarten, wie der Koreanischen Aster, dem Eurasischen Otter oder verschiedenen Kranich Arten.

Durch den Yeongju-Staudamm werden große Teile des oberen Flusslaufes in einem großen Wasserreservoir verschwinden und die gesamte Ökologie des einzigen bis heute weitgehend unberührten Fluss des Landes gravierend verändert werden. In Korea fallen 80% des Niederschlages im Sommer während der Regenzeit; nahezu alle Flussläufe sind deshalb durch Auenbildung gekennzeichnet, die durch die Aufstauung und Wasserregime-Regulierung verschwinden werden. Besonders für den sandigen Naesong gilt, dass sich seine gesamte Flussbett-Ökologie verändern wird, da der Sand nicht am Staudamm vorbei fließen kann und somit im unteren Flusslauf nicht mehr ankommt. Statt dessen muss das Reservoir regelmässig ausgebaggert und das sich sammelnde Sediment technisch entfernt werden. Das hat natürlich Einfluss auf die gesamte Artenzusammensetzung am Fluss, bis hin zu seiner Mündung in den Nakdong Fluss, der wiederum letzendlich bei Busan ins Meer fließt und dort den beliebten Haeundae Strand mit Sand versorgt (hat).



Bei unserem eintägigen Besuch vor Ort besuchten wir die PROK Kirche in Yeongju (zu meiner großen Überraschung und Freude hatte vor wenigen Wochen ein Freund aus Seoul dort mit seinem Vikariat begonnen), trafen uns mit lokalen UmweltaktivistInnen des YMCA und feierten den ersten Frühlingsvollmond in einem Traditionsdorf, das in einem der Mäander des Naseong liegt und von der Zerstörung der Flussökologie direkt betroffen ist.

Koreas "Green New Deal"

Um zu verstehen, warum das vom United Nations Environmental Programme (UNEP) positiv bewertete Vier-Flüsse Projekt in der Bevölkerung Koreas und bei Umweltschützern weltweit auf große Diskussion und weitgehende Ablehnung stieß, muss man etwas in die Tiefe der Thematik gehen.

Wie ja hinreichend bekannt ist, hat Korea in kürzester Zeit eine beispiellose wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen. Hauptsächlich durch progressive Investitionen in Chaebol Unternehmen und die Entwicklung einer exportorientierten Schwerindustrie, stieg das BNP von 1960 bis 2010 um das 217-fache, der Export um das 14.500-fache. Dabei wurde keine Rücksicht auf soziale oder ökologische Nebenwirkungen genommen. Ressourcen intensive (Export)Produktion wurde und wird stark subventioniert, z.B. durch niedrige Energiekosten. 38% der Industrie sind sehr Energie intensiv (Stahl, Petrochemie, Papier, Zement, etc.). Da Elektrizität als billige und saubere Energie gilt, liegt der Anstieg des Elektrizitätsverbrauchs bei jährlich 6% (Quelle1).



Im Detail bedeutet das: Koreas Treibhausgas-Emissionen lagen im Jahr 2006 bei knapp 600 mio Tonnen CO2-Equivalent, etwa doppelt so hoch wie 1990. Das entspricht einem Wert von 12,4 Tonnen CO2-Equivalent pro Kopf. Dabei werden 85% durch den Energiesektor verursacht, 10% durch Industrieproduktion und die verbleibenden 5% teilen sich Abfall- und Landwirtschaft zu gleichen Teilen. Im Energiesektor nimmt die Elektrizitätsproduktion 36% ein, die Industrie 31%. Der Transport-Sektor ist für 20% verantwortlich und private Haushalte für 11%. Seit 1990 sind die koreanischen Treibhausgas-Emissionen durch Energieverbrauch in der Elektrizitätsherstellung, Transport und Industrie erheblich gestiegen und, laut nationalem Energie-Plan, soll der Energieverbrauch bis 2030 um weitere 32% (im Vergleich zu 2006) steigen. Da 97% des koreanischen Energieverbrauches durch importierte Energie gedeckt werden, besteht die Notwendigkeit größerer Unabhängigkeit in der Energieversorgung (Quelle2).

Korea war von der Wirtschaftskrise Mitte der 1990er Jahre stark betroffen. Die Wirtschaft erholte sich zwar, aber der Arbeitsmarkt wächst nicht mehr mit der Wirtschaft. Es besteht ein großer Druck Arbeitsplätze zu schaffen, und den Inlandsmarkt zu stärken(Quelle1).

Die koreanische Regierung war 2008 die erste, die dem UNEP "Green New Deal" folgend ihre politische Agenda unter dem Motto "Green Growth" grundlegend neu ausrichtete. So beschloss Korea von 2009 bis 2013 die Investition von jährlich 2% des BNP (insgesamt 86 mrd USD) in umweltfreundliche Investitionen zu stecken, wofür das Land von der UNEP sehr gelobt wurde. Präsident LEE kündete eine Treibhausgas-Reduktion um 30% bis 2020 an. (Da sich diese 30% auf den modellierten Wert eines "Business as usual"-Szenarios beziehen, liegt die tatsächliche Reduktion allerdings nur bei 4% im Vergleich zu den Treibhausgas-Emissionen von 2005.) Die Diskrepanz zwischen Treibhausgas-Reduktionszielen und voraussichtlich weiter steigendem Energieverbrauch macht deutlich, das Präsident LEE mit seiner "Green Growth"-Politik Klimaschutz ohne wirtschaftliche Restriktionen anstrebt. Kritiker bezeichnen die "Green Growth"-Strategie als wachstumsorientierte Politik im grünen Anstrich. So wird der Ausbau der Kernkraft weiter immens voran getrieben (12 neue Atomkraftwerke sind in Planung) und rund 30% der "umweltfreundlichen Investitionen" gehen in das unter Umweltaspekten kontrovers diskutierte Vier-Flüsse Projekt.

Laut Masterplan soll das Projekt Wasser Resourcen sichern, Hochwasser-Management ermöglichen, Dürren verhindern, die Wasserqualität verbessern, Naherholungsräume schaffen und die lokale Wirtschaft unterstützen. Allerdings konnte aufgrund des enormen Tempos der Baumaßnahmen nur eine Umweltverträglichkeitsprüfung über nicht mehr als vier Monate durchgeführt werden. Auch ist das Projekt mit seinen riesigen Umgestaltungsmaßnahmen stark auf die Bauindustrie ausgelegt, auch weil mit jährlich gut 220 Millionen US-Dollar Folgekosten zu rechnen ist.

Des weiteren kritisiert z.B. Prof. Hans Helmut Bernhart von der Uni Karlsruhe, dass das Projekt fälschlicherweise als Restaurationsmaßnahme deklariert wird. Denn bei dem Vier-Fluesse Projekt wird eben nicht ein durch menschlichen Eingriff degradiertes Ökosystem in seinen natürlichen Zustand zurück geführt, sondern im Gegenteil hunderte von Kilometern Flusslandschaft mit technischen Maßnahmen neu gestaltet. Prof. Bernhart hat die Flüsse Koreas besucht, um sich selbst ein Bild von der Situation vor Ort zu machen und auch einen Brief an Achim Steiner vom UNEP geschrieben.



Save the Naesong River!!

In early March my colleague Hyun-ah and I went to Yeongju, about 2 hours south east of Seoul, with the new chairman of the ecology-center's steering committee.
Yeongju is located on the Nakdong River, one of the four great rivers of the country. After the Yeongju Dam, the last of the 16 dams of the Four Rivers Project, was completed, the 19 billion USD project of LEE Myung-bak, President of South Korea from 2008 to 2013, is considered as completed.
The opposition to the Four Rivers Project is one of the core issues of the Eco-Center. Already in 2010, the PROK had established a tent in Paldang, in the upper Han River area, to support the local farmers with a fasting prayer of more than 200-days. After that, a total of about 700 pastors, theology students, church members, young people and environmental activists started a pilgrimage of more than 630km along the four major rivers of Korea. A summary of the activity was published in a book, and the resistance was continued with a signature campaign.

Against the will of the people and under massive criticism from environmentalists the project was implemented at a breathtaking pace and finished at the end of last year. The opposition movement has become quiet. However, the Eco-Center has now decided to revive the activities. Therefore, we organized one-person demonstrations in front of Gwanghwamun every Monday last year and (re-)established contacts to local environmental groups at the Nakdong River.
The river is the one most affected by the Four Rivers Project with the construction of 8 dams. The Naeseong, an inlet of the Nakdong is characterized by its crystal clean water that is constantly cleaned in the sandy riverbed and its beautiful landscapes along the vividly meandering river course. The river is home to many endangered animal and plant species, such as the Korean Aster, the Eurasian Otter or different species of water birds. By the construction of the Yeongju Dam, large parts of the upper river course will disappear in a large water reservoir and the entire (until now quite pristine) ecology of the river will be altered dramatically.
In Korea, 80% of the precipitation occurs in summer during the rainy season; almost all rivers are therefore characterized by alternating water levels and extended floodplains, which will disappear by damming and water regime regulation. This applies particularly to the sandy Naesong. Its entire riverbed ecology will change, since the sand will be caught by the dam it hence will be prevented to reach the lower river. Instead, the reservoir will need to be dredged regularly and the accumulating sediment to be removed mechanically. This of course affects the entire species composition in the whole river down to where its effluence flows into the Nakdong River, which in turn ultimately discharges into the ocean at Busan and (did) supply the popular Haeundae Beach with fine-grained white sand there.
During our one-day "field trip", we visited the PROK Church in Yeongju (much to my surprise and delight a friend from Seoul had started his internship as a vicar there a few weeks ago), met with local environmental activists of the YMCA and celebrated the first full moon of spring with a huge camp fire and cheerful festival in a traditional village which is located in one of the meanders of the Naseong and hence directly affected by the destruction of the river's ecology.

Korea's "Green New Deal"

To understand why the United Nations Environmental Programme (UNEP) positively evaluated the Four Rivers Project while it is controversially discussed by environmentalists worldwide and broadly rejected by many Korean people, you have to go deeper into the subject. It is well known that Korea has undergone an unprecedented economic development in the shortest possible time. Mainly by a progressive investment in chaebol firms and the development of an export-oriented heavy industry, the GDP increased 217-fold from 1960 to 2010, exports even to 14,500-fold. However, no regard for social or environmental side effects was taken. Resource intensive (export) production was and is heavily subsidized, for example, by low energy costs. 38% of the industry is very energy intensive (steel, petrochemical, paper, cement, etc.).

Since electricity is considered as cheap and clean energy, the increase in electricity consumption is 6% per year (source).
This means in detail: Korea's greenhouse gas emissions amounted to almost 600 million tonnes of CO2 equivalent in 2006, approximately twice as high as in 1990. This corresponds to a value of 12.4 tonnes of CO2 equivalent per capita. 85% is caused by the energy sector, 10% by industrial production and the remaining 5% is shared by waste and agriculture in equal parts. In the energy sector, electricity production occupies 36%, industry 31%. The transport sector is responsible for 20% and households for 11% of the emissions.
Since 1990, the Korean greenhouse gas emissions have increased significantly due to energy consumption in electricity production, transport and industry and, according to a national energy plan, the energy consumption is predicted to further increase 32% by 2030 (compared to 2006). Since 97% of the Korean energy consumption is covered by imported energy, there is a need for greater independence in energy supply (source).
Korea was hit hard by the economic crisis of the mid-1990s. The economy recovered, but the labour market did not grow with the economy anymore. There is a lot of pressure to create jobs and strengthen the domestic market (source).
In 2008, the Korean government was the first to adapt the UNEP "Green New Deal" by fundamentally realigning its political agenda under the theme of "Green Growth". Hence, Korea decided to annually invest 2% of the GDP (86 billion USD) into environmentally friendly businesses, from 2009 to 2013. For this the country was highly praised by the UNEP. At the same time, President Lee announced a reduction of greenhouse gas emissions by 30% by 2020. (Since this 30% refers to the modeled value of a "business as usual" scenario, the actual reduction, however, is only about 4% compared to the greenhouse gas emissions in 2005.) The discrepancy between greenhouse gas reduction targets and predictably further increasing energy consumption reveals clearly that President Lee, with his "Green Growth" policy, targets climate change mitigation without economic restrictions. Critics call the "Green Growth" strategy a growth oriented policy in a green coating.
Thus, the expansion of nuclear power is further immensely propelled (12 new nuclear power plants are planned) and around 30% of the "green investment" goes to the Four Rivers Project, which can be controversially discussed under environmental aspects. According to the master plan, the project is intended to secure water resources, enable flood management, prevent droughts, improve water quality, provide recreational spaces and support the local economy.
However, due to the tremendous pace of construction, an environmental impact assessment could not be carried out for more than four months. Obviously, the project is designed to boost the construction industry, with its huge transformation measures and expected follow-up costs of 220 million US dollars each year. Furthermore, for example, Prof. Hans Helmut Bernhart of the University of Karlsruhe made the criticism that the project is falsely declared as restoration measure. Indeed, the four rivers project will not return a degraded ecosystem through human intervention to its natural state. On the contrary it will technically design hundreds of kilometers of river landscape. Prof. Bernhart has visited the rivers of Korea to get an idea of the situation on the site and also wrote a letter to Achim Steiner, executive director of the UNEP.