2014 Offener Brief: Forum Friedensethik

Evangelische Landeskirche in Baden
Forum Friedensethik (FFE)
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FFE FORUM FRIEDENSETHIK
in der Evangelischen Landeskirche in Baden


Leitungskreis: Dietrich Becker-Hinrichs, Dr. Dirk-M. Harmsen, Jürgen Stude, Dr. Wilhelm Wille, Dietrich Zeilinger, Theodor Ziegler


FFE c/o Dr. Dirk-M. Harmsen,
Bertha-von-Suttner-Str. 3a, 76139 Karlsruhe

Herrn
Bundespräsident Joachim Gauck
Bundespräsidialamt
Spreeweg 1
10557 Berlin

Frau
Verteidigungsministerin
Dr. Ursula von der Leyen
Bundesministerium der Verteidigung
Stauffenbergstr. 18
10785 Berlin

Herrn
Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
Auswärtiges Amt
11013 Berlin

 

Ehrenkirchen und Karlsruhe, den 25. Februar 2014

OFFENER BRIEF
Die neue deutsche Sicherheitspolitik

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Gauck,
sehr geehrte Frau Ministerin Dr. von der Leyen,
sehr geehrter Herr Minister Dr. Steinmeier,

das „Forum Friedensethik in der evangelischen Landeskirche in Baden“, als dessen Leitungskreis wir diesen offenen Brief an Sie richten, ist nach dem Kosovokrieg gegründet worden. Im Frühjahr 1999 waren zum ersten Mal seit 1941 wieder deutsche Kampfflugzeuge am Himmel über Jugoslawien aufgetaucht. Die Bundesregierung wandte sich damals ab von der bewährten Entspannungspolitik Willy Brandts, statt sie weiter zu entwickeln. Dank dieser Politik des „Wandels durch Annäherung“ war es gelungen, die gefährliche Konfrontation des Kalten Krieges, die die Welt an den Rand des Abgrunds atomarer Selbstvernichtung geführt hatte, entscheidend zu entschärfen mit Hilfe eines Instrumentariums sicherheitspartnerschaftlicher Politik, d.h. durch vertrauensbildende Maßnahmen, ausgehandelte Rüstungskontrolle, die Schaffung blockübergreifender Institutionen (OSZE) unter Verzicht auf militärische Maßnahmen. Die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg war ein erster Schritt der Abkehr von dieser bewährten Politik, dem weitere mit problematischen Ergebnissen folgen sollten, wir erinnern vor allem an den Afghanistankrieg.

Nun sind Sie dabei, in großer Einmütigkeit zu versuchen, der unwilligen Mehrheit der deutschen Bevölkerung trotzdem eine noch konsequentere Hinwendung zu einer militärgestützten deutschen Außen- und Sicherheitspolitik nahezubringen. Wir haben zwar zur Kenntnis genommen, dass Sie weltweite militärische Einsätze der Bundeswehr nur als ultima ratio der gewachsenen deutschen „Verantwortung“ präsentieren, sehen aber sehr deutlich, dass letztlich diese „Verantwortung“ zur Rechtfertigung militärischer Maßnahmen beschworen wird.

Mehr Verantwortung übernehmen, hieße für uns aber auch, einen kritischen Blick zu werfen auf die aktuelle Politik. Wir teilen die Meinung vieler zivilgesellschaftlicher Gruppen, dass Europa und auch die Bundesrepublik sich faktisch in ein hegemoniales Programm der USA politisch und militärisch haben einbinden lassen. Selbst beim völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA auf den Irak sind wir nur scheinbar neutral geblieben. Die militärischen Interventionen im Rahmen dieses Projektes haben außer Zerstörung menschlichen Lebens und politischer Instabilität nichts hinterlassen. Der amerikanische „Krieg gegen den Terrorismus“, der zu diesem hegemonialen Vorhaben gehört, führt zur Destabilisierung ganzer Regionen im Nahen und Mittleren Osten. Für jeden getöteten „Terroristen“ stehen drei andere auf, die ihn rächen wollen. In Afrika ist zu besichtigen, wie jeder „Sieg“ neue Kriegsschauplätze erzeugt.

Mit großer Besorgnis sehen wir auch, dass sich in den letzten Jahren die traditionellen Begründungen militärischer Einsätze zurückgemeldet haben: die Sicherung von Transportrouten und der Zugriff auf strategische Ressourcen. Horst Köhler, ehemaliger Bundespräsident, sei als prominenter Zeuge genannt.

Umso mehr müssen wir die humanitären Begründungen für die einzelnen Militäreinsätze und das ganz Konzept Ihrer Sicherheitspolitik hinterfragen. Aus der langen Liste der Beispiele, die unsere Skepsis nähren, wollen wir hier nur eines nennen: Einen „Hufeisenplan“, der die ethnische Säuberung des Kosovo belegen und den Einmarsch der NATO begründen sollte, hat es nie gegeben. Der ehemalige serbische Ministerpräsident Slobodan Milosevic konnte vor dem Haager Jugoslawien-Tribunal nicht wegen Völkermord, dessen behaupteter Beginn den völkerrechtswidrigen Einsatz der NATO gegen Serbien legitimieren sollte, angeklagt werden, weil, so die Chefanklägerin des Tribunals, Carla del Ponte, dazu überhaupt keine gerichtsverwertbaren Beweise vorlagen.

Die Synode der badischen Landeskirche hat kürzlich in ihrem großen Beschluss zur Friedensfrage, den das Forum Friedensethik besonders begrüßt, ausdrücklich den mittelfristigen Ausstieg aus der militärischen Friedenssicherung gefordert. Wir freuen uns über diese Wirkung des Friedensimpulses, der von der biblischen Botschaft ausgeht, sind aber auch der Meinung, dass dieser Beschluss eine Forderung der politischen Vernunft aufnimmt. Die Ressourcen der Menschheit reichen nicht für Schwerter und Pflugscharen. Die Mahnung des amerikanischen Präsidenten Dwight. D. Eisenhower hat mehr denn je ihre Berechtigung: „Jedes Gewehr, das produziert wird, jedes Kriegsschiff, das vom Stapel läuft, jede Rakete, die abgefeuert wird, bedeutet letztlich einen Diebstahl an denen, die Hunger leiden und nicht mit Nahrung versorgt werden.“

Eine Fortsetzung einer sich auf militärische Gewalt stützenden Weltordnungspolitik beraubt uns der Mittel, die benötigt werden, um präventiv die Gründe der Gewalt zu eliminieren, nämlich Hunger und Unterentwicklung. Sie beraubt die Menschheit der Mittel, die gebraucht werden, um unter dem Dach einer reformierten UNO ernsthaft daran zu gehen, Institutionen zur Früherkennung von Konflikten und ihrer deeskalierenden nicht-militärischen Bearbeitung zu schaffen. Zu diesen Institutionen gehörte wohl auch eine echte, dem UN-Generalsekretär unterstellte internationale Polizeitruppe, die sich aus Kontingenten aller UN-Mitgliedsstaaten zusammensetzt, zur Konfliktdeeskalation besonders befähigt ist und zur Verhinderung schlimmster Menschenrechtsverletzungen anstelle von Militär eingesetzt werden kann.

Wir meinen, dass immer noch Gustav Heinemanns Aussage gültig ist: „Der Frieden ist der Ernstfall.“ Dem entspräche heute die Abkehr von der konfrontativen Politik geopolitischer Blöcke und die Realisierung einer Politik, die auf globale Sicherheitspartnerschaften setzt. Andernfalls dürfte es zu einem Kampf um die schrumpfenden Ressourcen kommen, einem fortgesetzten Rüstungswettlauf und neuem Kalten Krieg mit absehbaren Folgen. NATO und EU sind kein Ersatz für eine globale sicherheitspartnerschaftliche Struktur. Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis. Verteidigungsbündnisse schaffen per definitionem keine Sicherheit für ihre Nicht-Mitglieder. Auch eine EU, die sich – Beispiel Ukraine – einfach auf einer Seite der großen geopolitischen Konfliktlinie einordnet, ist parteiisch, als Vermittler ungeeignet, und ihre Politik wird eher wie ein Brandbeschleuniger in Konflikten wirken.

Wir wissen, dass Sie ein schweres Amt tragen, und die Wende zu einer nachhaltigen Friedenspolitik nur schwer zu vollziehen ist. Schließlich muten wir Ihnen zu, sich in den Gegensatz zu setzen zu den mächtigen politischen und ökonomischen Interessen, die die gegenwärtige fatale Politik forcieren. Wir beobachten schon lange den beständigen Druck von Verbündeten und Industrie, die deutschen Ausgaben für Rüstung und Militär hochzufahren. Bedenken Sie aber, dass auch die gelungene deutsche Außenpolitik, die einen entscheidenden Beitrag zur Beendigung des Kalten Krieges geleistet hat und die Menschheit vom Abgrund eines atomaren Selbstmord zurückholte, am Anfang nur gegen erhebliche Widerstände im Inneren und Äußeren durchzusetzen war.

Mit freundlichen Grüßen, auch im Namen meiner Kollegen im FFE-Leitungskreis,
Ihr
Dr. Wilhelm Wille


Das "FORUM FRIEDENSETHIK (FFE) in der Evangelischen Landeskirche in Baden" ist der Zusammenschluss von rund 65 Personen, die eine Diskussion über friedensethische Grundsatzfragen fördern wollen. Probleme der Friedensfindung und -sicherung werden unter Bezug auf die biblische Botschaft beraten. Konträre Positionen in der Gesellschaft über die Bedeutung von militärischen oder pazifistischen Lösungsversuchen werden dabei miteinander ins Gespräch gebracht. Die Gründung erfolgte im Januar 2000. Ein Leitungskreis ist verantwortlich für die Herausgabe von Rundbriefen sowie für die thematische Vorbereitung und Durchführung von Studientagen; er arbeitet ehrenamtlich.
(Siehe auch http://www.ekiba.de/html/content/forum_friedensethik.html )




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