1968: Klausurtagung - Zusammenarbeit

Ein kritischer Erfahrungsbericht

Pfarrer Goro Tokunaga

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Zuerst möchte ich meine Zusammenarbeit mit einem amerikanischen Missionar darstellen. Ich werde dazu die Geschichte unserer Gemeinde kurz erzählen. Meine Gemeinde liegt am Stadtrand von Nagoya, der drittgrößten Stadt Japans. Als eine christliche Frau vor vierzehn Jahren in diese Vorstadt umgezogen war, gab es keine evangelische Gemeinde. Sie suchte einen Pfarrer, von dem sie ab und zu das Wort Gottes hören konnte. Bald fanden Bibelstunden für die Frauen und eine Versammlung für Kinder mit einem jungen Pfarrer statt, der seine eigene Gemeinde in einem Dorf in der Nähe hatte. Bei ihrer Nachbarin, die glücklicherweise auch Christin war, konnte die Versammlung für die Kinder stattfinden. Dieser Pfarrer kam jeden Dienstag nachmittag. Die eine der Frauen lud ihre Nachbarinnen ein, die noch nicht an das Evangelium glaubten, aber Interesse für das Christentum hatten und diese Dame nett fanden. Die andere lud Kinder ein. Nach zwei Jahren schickte unsere Kirche, der Kyodan, einen reformierten Missionar namens Baldwin, der in Nagoya wohnte, mit einer japanischen Helferin. Seitdem konnten diese Leute am Sonntag ihren Gottesdienst und Kindergottesdienst besuchen. Eine andere Hausfrau, die später getauft wurde, öffnete ebenfalls ihr Haus jeden Mittwoch für die Bibelstunde. Diese Hausfrauen halfen dem Missionar viel, obgleich sie alle in ihrer Familie die einzigen Christen waren.

Nach weiteren zwei Jahren kam ich zu dieser Gemeinde. Damals bestand die Gemeinde aus sieben Christinnen und einem Christen; etwa 15 Menschen besuchten durchschnittlich den Gottesdienst. Als entschieden worden war, daß ich in diese Gemeinde käme, sagte der Missionar zu mir: "Denken Sie bitte nicht, daß Sie in dieser Gemeinde mein Helfer seien! Sie sind der verantwortliche Pastor dieser Gemeinde. Ich bin Ihr Helfer." Obwohl ich Vikar war und etwa zehn Jahre jünger als er, ist das inhaltlich immer beachtet worden. Ich bin ihm dafür sehr dankbar. Das ist beim Aufbau einer Gemeinde, in der ein ausländischer Missionar mit einem Pfarrer zusammenarbeitet, sehr wichtig, damit die Gemeindemitglieder selber für die Gemeinde verantwortlich werden. Wenn man, besonders bei einer solchen Zusammenarbeit, davon wenig Ahnung hat, wird der Aufbau der Gemeinde unvermeidlich oberflächlich. Das passiert freilich häufig. Auch in der Nähe meiner Gemeinde gab es einen solchen Fall. Dort hatte ein junger Pfarrer lange Zeit Schwierigkeiten, weil ihm der Missionar, der diese Gemeinde aufgebaut hatte, die Initiative nicht überlassen wollte. Diese Gefahr bestand auch bei uns. Da der Missionar mit dem Geld lebte, das er von der eigenen Kirche bekam, brauchte die Gemeinde nichts für ihn aufzuwenden, war dadurch allerdings in Gefahr, abhängig zu werden. Das dauerte aber nicht lange und wurde besonders durch den Aufbau des Kirchengebäudes überwunden, den unsere Gemeinde nach weiteren zwei Jahren in Angriff nahm, und den wir sechzehn Gemeindeglieder zu 40 % finanzieren mußten. Bevor ich in diese Gemeinde kam, hatte der Missionar die Predigt, eine englische Bibelstunde und englischen Konversationsunterricht gehalten, die japanische Helferin hatte die Bibelstunde und die Sonntagsschule geleitet. Nachdem ich da war, hielt er in den ersten drei Monaten zweimal im Monat, danach einmal im Monat die Predigt und die Englischstunden. Alle, die nur seine Englischstunden besuchten, blieben nicht lange dabei. Seine Predigten bereitete er sehr gut vor und predigte trotz der sprachlichen Schwierigkeiten oft sehr gut.

Unter den Ausländern, die so lange wie er in Japan sind, gibt es viele, die besser japanisch sprechen können. Er aber kann gut lesen und schreiben. Er hat damals nicht nur englische Zeitungen, sondern auch eine der schwierigsten japanischen Zeitungen und manchmal auch die schwierige, aber beste japanische Zeitschrift gelesen. Japanisch ist nicht so schwer zu sprechen, aber sehr schwer zu lesen und zu schreiben. Das ist für die ausländischen Missionare sicher von großer Bedeutung. Ein Wort eines deutschen Pfarrers, der einmal in Japan war, mag dafür stehen. Er sagte: "Wenn man die Meinung eines Japaners wissen will, muß man den ganzen Tag mit ihm zusammen sein!" Japaner können und wollen sehr oft nicht so deutlich sagen, was sie meinen - teils wegen der sogenannten japanischen Denkweise, teils wegen der sogenannten japanischen Höflichkeit. Es kommt noch etwas hinzu. Viele Japaner sind im logischen Denken schwach, dafür aber in der Anschauungseinsicht stark. Obwohl der Missionar Baldwin aus japanischer Sicht oft etwas Komisches, ja Unverständliches machte, wußten wir alle sehr gut, daß er die Japaner von Herzen liebte. Wenn ich mich an ihn erinnere, werde ich immer noch getröstet. Ich kann sagen, daß ich durch die Begegnung mit ihm erfahren habe, daß ein Mensch seine Nächsten wirklich lieben kann. Daß er unsere Gemeinde immer als eine richtige japanische Gemeinde aufzubauen versuchte und daß er Japanisch immer auch schriftlich übte, kam eben davon, daß er die Japaner so liebte und nicht aufhörte, wichtige theologische Bücher von ihnen zu lesen.

Dieser sehr ernste Missionar hat uns vor einigen Jahren in einem theologischen Studienkreis plötzlich eine Frage gestellt: "Meinen Sie, wir Missionare sollten Japan verlassen und nach Amerika zurückkehren?" Damals hatte ein Pfarrer, der früher zu diesem Kreis gehörte und jetzt in Süd-Japan arbeitet, in der Zeitung unserer Kirche "Kyodan-Shimpo" ungefähr so geschrieben: "Verehrte Missionare, kehren Sie bitte in Ihr Heimatland zurück! Ich verstehe Ihren Eifer, in Japan das Evangelium zu verkünden, gut und bin Ihnen dafür dankbar. Das Sie Missionar in Japan sind in dieser Zeit, wo Ihre christlichen Landsleute in Asien einen so schmutzigen Krieg führen und viele Vietnamesen so grausam morden, ist für das Zeugnis Christi in Asien nicht gut. Ich bitte Sie darum, gerade wegen des Eifers der Verkündigung sofort nach Amerika zurückzukehren." Ähnliche Sätze mußten Missionare auch in der Synode hören, und ein bekannter deutscher Pfarrer hat sich im gleichen Sinne geäußert. Er sagte, das sei nicht nur als Sache der amerikanischen Missionare, sondern als die der sogenannten Weißen überhaupt und überall in der Welt zu betrachten. Über den Zusammenhang des Vietnamkrieges mit der Verkündigung möchte ich nachher noch etwas sagen. Auch abgesehen davon wird z. Z. oft diskutiert, ob Japan die ausländischen Missionare immer noch braucht oder nicht. Ein amerikanischer Missionar berichtete über die Tendenz, daß seit 1960 ständig fähige und erfahrene Missionare Japan verlassen und in ihr Heimatland zurückkehren. Tatsächlich ist es für die ausländischen Missionare in Japan eine ernste Frage, ob sie noch immer dort arbeiten sollen. Das ist aber nicht nur eine Frage für Missionare, sondern auch für uns japanische Theologen. Wenn ich mich an die Zusammenarbeit, mit Missionar Baldwin erinnere, bin ich von Herzen dankbar. Man kann sagen, diese Zusammenarbeit ist uns gelungen. Es bleibt jedoch eine Frage offen, ob nämlich ein solcher Mann ein ausländischer Theologe sein sollte. Ich bin aber nicht der Meinung, daß ausländische Mitarbeiter überhaupt nichts zu tun hätten. Arbeiten, wie sie von der Mitternachtsmission und von Frau Kücklich getan werden, fehlen bei uns in Japan sehr. Außerdem wird die Rolle ökumenischer Vertretung durch ausländische Theologen auf gegenseitiger Basis immer wichtiger werden.

Eine andere Sache, auf die ich nicht durch die Zusammenarbeit mit Missionar Baldwin, sondern durch die Begegnung mit anderen Missionaren hingewiesen worden bin, ist die Frage der Heimischwerdung des Evangeliums. Diese Frage ist in Japan seit acht oder zehn Jahren oft heftig diskutiert worden. Die Frage einer der japanischen Situation gemäßen Verkündigung ist eine ernst zu nehmende Frage. Dabei ist es notwendig, das eigene Volk und seine Verhältnisse gut zu verstehen. Das Wort des Paulus: "Den Juden bin ich geworden wie ein Jude, auf daß ich die Juden gewinne", obt nicht nur auf die ausländischen Missionare, sondern auch auf die japanischen Pfarrer eine suggestive Wirkung aus. Dazu möchte ich noch einiges anmerken. Ein amerikanischer Missionar, der in der Nähe meiner Gemeinde arbeitete, hat einmal gesagt, japanische Christen bemühten sich um die Einwurzelung des christlichen Glaubens so wenig, wie es Weihnachtskarten gibt, auf denen Jesus oder Maria im Kimono gemalt sind! Darauf fragte ich einen Pfarrer: "Gibt es in Amerika Weihnachtskarten, die Jesus und Maria in europäischer Kleidung darstellen?" - Ein katholisches Kirchengebäude, in einem fast buddhistischen Stil, habe ich selbst einmal gesehen. Auch hörte ich, daß ein japanischer Pfarrer in Mittel-Japan einen Tanzabend für den alten japanischen traditionellen Massentanz - Bon­Odori - veranstaltet hatte.

Echte Heimischwerdung, wenn ich dieses Wort gebrauchen darf, muß nicht heißen, das Christentum den traditionellen Gewohnheiten anzupassen oder das Evangelium irgendwie entstellt zu überliefern, damit es zur sogemannten japanischen Denkweise passe. Echte Heimischwerdung in Japan muß meiner Meinung nach dadurch erreicht werden, daß wir gerade den gegenwärtigen Problemen des Volkes, unter denen die Japaner leiden oder andere Völker leiden lassen, ins Angesicht blicken und zwar dadurch, daß wir das Leiden und die Schuld des Volkes als Kirche tragen. Wenn ich bei der Diskussion über Heimischwerdung zuviel über die Traditionen, die überlieferten Religionen oder Denkweisen höre, sehe ich immer eine Gefahr. Wo eine Tradition erstarrt ist, wirkt sie nur konservativ, während das Evangelium etwas ganz und gar Fortschrittliches ist. Wenn ich so viel über die Religion, ganz losgelöst von den gegenwärtigen Fragen höre, kommt mir allerdings auch der Verdacht, ob nicht das Evangelium schon seit langem zu nichts anderem als zu einer der Religionen oder höchstens zur besten Religion geworden ist.

Der Versuch der Heimischwerdung dürfte sich eher auf das Wesen der Verkündigung beziehen als auf ihre Technik oder Methode, eher vorwärts als rückwärts richten, eher Sache der dynamischen Auseinandersetzung als Sache der statischen Anpassung sein. Getrennt von der Sozialethik oder der Politik kann man den Prozeß der Heimischwerdung nicht in Gang bringen.

Ich meine nicht, daß die Tradition oder die traditionellen Religionen dabei überhaupt keine Rolle spielen. Ich möchte das Problem des Shintoismus als Beispiel nennen. Dieses Problem kann man von der Politik nicht mehr loslösen. Unsere Regierung versucht, den Shintoismus, der von 1890 bis 1945 schon Staatsreligion war, wieder dazu zu machen. In der Schulerziehung, die seit dem Ende des zweiten Weltkrieges, außer in den christlichen Schulen, von der Religion streng getrennt ist, wird der Versuch unternommen, religiöse, hauptsächlich shintoistische Elemente wieder hineinzubringen. Außerdem wurde der Reichsgründungstag erneut als shintoistischer Feiertag deklariert. Neuerdings sollen auch einige wichtige shintoistische Tempel und der ganze dazugehörige Kult staatlich finanziert werden. Ein rechtsgerichteter japanischer Politiker nahm in diesem Zusammenhang Bezug auf den Religionsunterricht in staatlichen Schulen der Bundesrepublik Deutschland. Christen und fortschrittliche Leute protestieren jetzt heftig gegen diese Maßnahmen der Regierung. Die Geschichte Japans und vielleicht auch Deutschlands macht deutlich, daß der Kampf für die Glaubensfreiheit zugleich für die Freiheit aller Menschen geführt werden muß. Der Einsatz der Christen auch für die Nichtglaubenden scheint mir der Prüfstein zu sein, ob ihr Kampf echt oder nicht echt ist.

Andererseits habe ich auch Missionare gesehen, die ohne genaue Kenntnis der japanischen Verhältnisse oder Traditionen auszukommen meinen. Sie zwingen den Japanern das in Amerika oder Europa geformte und leider bisweilen sogar ideologisierte Christentum auf. Ähnliches findet man auch bei japanischen Pfarrern, dann aber meist als Reaktion gegen eine oberflächliche Heimischwerdung. Entweder wird dogmatisch gedacht und gepredigt, getrennt von der geschichtlichen Wirklichkeit; aber mit einer ungeschichtlichen Predigt kann man nicht lange als Christ in der heutigen Gesellschaft leben. Oder man bestreitet das Vorhandensein entscheidender Begriffe im japanischen Denken: es gebe weder den Begriff der Persönlichkeit, noch ein eschatologisches Denken, noch eine wirklich dynamische Denkweise. Sicher gibt es im japanischen Denken vieles, was aufgehoben werden muß, aber dies muß durch das Evangelium selbst geschehen. Darum werden auch die biblischen Begriffe nicht so schnell ideologisiert! Wie oft ist doch etwa der Individualismus an die Stelle der Persönlichkeit gestellt worden!

Zum Schluß möchte ich noch den Vietnamkrieg zur Sprache bringen, weil ich ihn auch bei meinem Thema nicht übergehen kann. Dr. Billy Graham erklärte neulich anläßlich eines Massenmissionstages in Tokyo auf Anfrage von Journalisten, er sei nicht gekommen, um über Vietnam zu sprechen, sondern um allein das Evangelium zu verkündigen. Prof. Chandran, der Rektor der Theologischen Fakultät in Bangalore (Indien) sagte, er wolle ihn gerade zu einer solchen Stellungnahme herausfordern; denn in unserer Zeit könne ein Christ nie vermeiden, von diesem Krieg zu sprechen, wenn es um das Evangelium geht.

Vor zwei Jahren hat eine Frau, die damals noch Nichtchristin war, aber häufig den Gottesdienst meiner Gemeinde besuchte, zu meiner Frau gesagt: "Zur Zeit ist die Arbeit Ihres Mannes schwer geworden, nicht wahr?" Sie bemerkte dazu, daß Christen aus Amerika viele Nichtchristen in Vietnam grausam morden. Eine ähnliche Stimme habe ich auch einer japanischen Zeitung entnommen; es schien, als ob man dort sagen wollte: "So ist das Christentum!" Man mag behaupten, das sei ein Mißverständnis des Christentums. Es ist aber zu fragen, ob dieses Mißverständnis größer ist als das derjenigen Christen, die diesen Krieg führen oder ihm mit verschränkten Armen zusehen. Das anti­kommunistische Bewußtsein vieler Christen spielt dabei eine große Rolle. Das Wort jener Nichtchristin kann ich nie vergessen. Ohne eine solche Stimme ernst zu nehmen, kann man gegenwärtig in Asien nicht mehr richtig verkündigen. Darf ich die, die in Ostasien missionieren wollen, um folgendes bitten, damit die Zusammenarbeit richtig praktiziert werde:

1. dem leidenden Volk in Vietnam irgendwie zu helfen,
2. irgendetwas im Bereich des Möglichen zu tun, damit dieser Krieg bald ein Ende finde,
3. im eigenen Land sich mit dem Antikommunismus auseinanderzusetzen.