2014: InterConf Sendai: Erklärung

 
International Conference on the East Japan Disaster
March 11-14, 2014    In Sendai,   Japan.

 
Erklärung der Internationalen Konferenz zur Katastrophe in Ost-Japan: 

„Gegen den Mythos der sicheren Atomkraft: Die fundamentale Frage nach Fukushima“

11. -14. März 2014, Tohoku-Gakuin-Universität in Sendai  
Veranstaltet von der Vereinigten Kirche Christi in Japan (UCCJ).

Der Name „Fukushima“ wurde weltweit bekannt, als am 11. März 2011 ein gewaltiges Erdbeben der Stärke 9,0 auf der Richterskala die Region Tohoku erschütterte und der darauf folgende Tsunami die Stromversorgung des von dem Energieversorger TEPCO betriebenen Atomkraftwerkes Daiichi in Fukushima unterbrach – dies brachte drei Reaktoren zur Kernschmelze. In der Folge wurde eine gewaltige Menge radioaktiven Materials in die Atmosphäre und in das Grundwasser freigesetzt. Es breitete sich über das umliegende Land aus, erreichte Flüsse, Seen und das Meer. Die radioaktive Verseuchung von Luft und Meer dauert bis heute an und hat Leid über mehr als 300.000 Menschen gebracht. Ein Ende des Elends ist nicht absehbar. Wir sind in Sendai zusammen gekommen, um dieses Ereignisses zu gedenken und über unsere eigene Verantwortung und Antwortmöglichkeiten als Christinnen und Christen im Licht der leidenschaftlich-mitleidenden und verwandelnden Liebe Gottes zu unserer Welt zu reflektieren. Gott fordert uns auf, Buße zu tun und umzukehren zum Leben. Als internationale Gruppe haben wir das Schuldbekenntnis der japanischen Christen gehört und über unsere eigene Mitverantwortung für sündige ökonomische und ökologische Systeme nachgedacht, die Gottes gute Schöpfung und das Leben unserer Brüder und Schwestern auf der ganzen Welt bedrohen.

1. Schuldbekenntnis
Vor Gott und den Menschen bekennen wir, dass es unsere Sünden gegen Gott sind, die zu dieser nuklearen Katastrophe geführt haben. Wir alle, die wir in der modernen Welt leben, haben diese Sünden absichtlich oder unabsichtlich, individuell und gemeinschaftlich begangen. Diese Sünden zu bekennen und Buße zu tun ist, so glauben wir, was Gott jetzt von uns verlangt. Wir glauben auch, dass wir nur so, mit Gottes Gnade, einen neuen Weg in die Zukunft finden.

Unsere Sünden leiten sich von der Erbsünde ab, wie sie im dritten Kapitel des Buches Genesis beschrieben wird. Gott schuf die Menschen zu seinem Bilde (Imago Dei). Dies bedeutet, dass die Menschen als Wesen, die mit Gott verantwortlich in Beziehung treten können, geschaffen wurden. Zu diesem Zweck gab Gott den Menschen freien Willen und die Gaben der Intelligenz, der Sensibilität, der Vernunft und des Verstandes. Mit diesen soll er in enger Beziehung zu Gott leben. Häufig jedoch nutzen wir diese Gaben Gottes, um Eigennutz und Reichtum zu verfolgen, wobei wir die enge Beziehung zu Gott aufgeben. Dies ist der Kern der Erbsünde des Menschen. Die jüngste nukleare Katastrophe war lediglich eine weitere Manifestation dieser Erbsünde. Sie kommt zum Ausdruck in den folgenden sieben Sünden, in die wir geraten sind.

Die erste Sünde: Hochmut
Die erste Sünde liegt in dem eitlen Stolz zu glauben, dass menschliche Technologie die Kernkraft – die „verbotene Frucht“ des modernen Menschen – beherrschen und sicher kontrollieren könnte.

Die zweite Sünde: Habgier
Die zweite Sünde ist die Sünde der Habgier, welche dazu führte, dass wir nicht dazu in der Lage waren, unser Verlangen nach Wohlstand und Überfluss durch die Nutzung von Atomenergie, zu kontrollieren. Diese Gier leitet noch immer die Mächte, die für die weitere Nutzung von Kernkraft eintreten.

Die dritte Sünde: Götzendienst
In unserer sündhaften Gier begannen wir, wirtschaftliche Interessen und Reichtum zu unseren Götzen zu erheben und ihnen zu dienen, statt auf den wahren und lebendigen Gott zu vertrauen. So verfielen wir der Sünde des „Götzendienstes“. „Habsucht ist Götzendienst.“ (Kol 3, 5) Atomkraftwerke und Wiederaufbereitungsanlagen sind die Tempel dieses Götzendienstes, gehüllt in den „Mythos der Sicherheit“. Dieser gründet auf unwissenschaftlichem Denken, das zu ungerechtfertigter leichtgläubiger Zuversicht führte.

Die vierte Sünde: Verschleierung (Gen 3, 7)
In einer „Kultur der Verschwiegenheit“ sind die Gefahren der Kernkraft und ihre Verbindungen zu Atomwaffen von Seiten der Regierung, der Energie- versorgungsunternehmen und der örtlichen Behörden totgeschwiegen worden. Informationen über Unfälle und Probleme sind nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Nur die sogenannte Sicherheit und die Vorteile der Atomenergie sind betont worden. Die Massenmedien haben diese Manipulation unterstützt. Die örtliche Bevölkerung und die ganze Nation wurden hierdurch in der Dunkelheit von Angst und Paranoia belassen. Diese Manipulation von Informationen und Verschleierung von Fakten, während gleichzeitig eigene Interessen verfolgt wurden, ist bis heute kennzeichnend für dieses sogenannte „Nukleare Dorf“. Und es war mit Sicherheit eine der Ursachen für den Unfall. „Verschleierung (Verbergen der Wahrheit)“ ist die vierte unserer Sünden.

Die fünfte Sünde: Faulheit
Wir müssen jedoch auch bei uns selbst die Schuld suchen. Wir haben keine Anstrengungen unternommen, die „unbequeme Wahrheit“ zu erfahren. Als Adam und Eva sich unter den Bäumen des Gartens versteckten, fragte Gott: „Wo bist du?“ (Gen 3, 9) Nun stellt der Herr uns die gleiche Frage. Obwohl wir wussten, dass der von Staat und Energiegesellschaften verfolgte Weg gefährlich war, haben wir unkritisch angenommen, was sie uns glauben machen wollten. Wir haben uns dem Drang zur Atomenergie nicht widersetzt. Auch haben wir nicht verstanden, was tatsächlich vor sich ging. Den Schmerz der ländlichen Bevölkerung und der Menschen fernab von Reichtum und Macht haben wir nicht wahrgenommen. Wir sahen nicht, dass dieses System sie zum Opfer bestimmt. Wir haben dies blind hingenommen. Und so haben wir uns der Sünde der „Faulheit“ schuldig gemacht, die zu Gleichgültigkeit führte und zum Unwillen, aus der Geschichte zu lernen.

Die sechste Sünde: Verantwortungslosigkeit
Die Atomkraft wurde gefördert, ohne eine angemessene Entsorgung der radioaktiven Abfälle sicherzustellen. Und nun versucht die japanische Regierung - obwohl noch nicht einmal das Ende der Fukushima Daiichi Katastrophe absehbar ist - Atomkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen und die Technologie ins Ausland zu exportieren. Dies ist verantwortungslos gegenüber zukünftigen Generationen und den Menschen in den betroffenen Ländern.

Die siebte Sünde: Schuldzuweisungen an andere
Dieser nuklearen Katastrophe ging die jahrzehntelange Missachtung einer ganzen Reihe von Warnzeichen voraus und somit ist sie menschengemacht. Trotz des gewaltigen Ausmaßes der Schäden haben die Regierung, die Energie- versorgungsunternehmen, die örtlichen Behörden und wir selbst unsere Verantwortung dafür nicht eingestanden. Stattdessen schieben wir die Schuld auf andere. Dadurch haben wir unser Menschsein und die von Gott gegebene Liebe zutiefst beschädigt.

Im Angesicht dieser nuklearen Katastrophe bekennen wir unsere Sünden vor Gott, der die Menschheit trotz dieser Sünden nicht zerstört hat, sondern uns symbolisch „mit Röcken aus Fell bekleidet.“ (Gen 3, 21) So beten wir eines Herzens als Menschen, die die Gnade Gottes erfahren haben.

2  Gebet

Mögen der Beistand und der Trost Gottes besonders denjenigen zukommen, die leiden, weil sie gezwungen wurden, ihr Heim zu verlassen und die bislang keine Aussicht haben, dorthin zurückkehren zu können; und auch denjenigen, die ihre Lebensgrundlage als direkte oder indirekte Folge der Tragödie verloren haben.

Möge Gott diejenigen schützen, die inmitten der Strahlenverseuchung Tag und Nacht dafür arbeiten, die Katastrophe zu beenden. Möge zu diesem Zweck Weisheit aus aller Welt gesammelt werden, um einen Weg aus diesem Elend zu finden.

Mögen all die Menschen, die für diese Katastrophe verantwortlich sind, direkt oder indirekt, Vergebung erfahren und zur Umkehr bewegt werden durch die Sühne Jesu Christi, Gottes einzigem Sohn.

3 Resolution und Aufruf zum Handeln

Wir glauben an den Gott des Lebens. Jesus Christus ist gekommen, damit alle Menschen und die gesamte Schöpfung Leben in Fülle haben. Wir glauben, dass Gott jeden und jede von uns einlädt, gemeinsam mit ihm das Zerbrochene zu heilen und wieder gerechte Beziehungen zwischen Menschen und Schöpfung herzustellen.

Wir bringen unsere Dankbarkeit für die treuen Diener Gottes zum Ausdruck, die das Licht seiner unendlichen Liebe mitten in der Dunkelheit der Katastrophe in Ost-Japan widergespiegelt haben.

Auf dieser Konferenz wurden wir gesegnet mit dem eindrucksvollen Zeugnis von Studenten und Studentinnen, Laien und Pfarrerinnen und Pfarrern, die in den betroffenen Gemeinden über die letzten drei Jahre als Gottes Hände gedient haben. Sie haben Schlamm und Trümmer entfernt, Häuser repariert, die getröstet, die zerbrochenen Herzens sind, den Geschichten der Überlebenden zugehört, von einer Zukunft geträumt, in der das gemeinschaftliche Leben wertgeschätzt wird, und den Mythos der sicheren Nuklearenergie in Frage gestellt, der auch heute noch von Industrie und Regierung aufrecht gehalten wird.

Wir bekräftigen diese Akte der Liebe und Gerechtigkeit und beten, dass Gottes tröstende und unterstützende Gegenwart diesen Menschen Kraft geben wird in den Monaten und Jahren, die vor uns liegen.

Unter der Leitung des Heiligen Geistes verpflichten wir uns zu dem Folgenden:

1. Wir werden die Menschen aus Fukushima nicht vergessen und auch all diejenigen nicht, für die der Name Fukushima steht – alle Menschen, die Opfer von radioaktiver Strahlung geworden sind. Wir erkennen ihr Recht auf Schutz an, indem wir ihre Geschichten erzählen. Mit Mitgefühl wollen wir den Opfern der dreifachen Katastrophe (Erdbeben, Tsunami und radioaktive Verseuchung) zuhören und auch denen, die ihnen geholfen haben und sie noch immer auf dem Weg der Genesung begleiten.

2. Wir treten ein für die gesellschaftliche Anerkennung und für die Stärkung der Opfer von Strahlung, indem wir ihnen dabei helfen, Strahlungsmessgeräte zu erhalten, um Kontrolle über ihren eigenen Schutz zu erlangen und indem wir ihr Recht auf präzise Gesundheitsinformation, Unterstützung und angemessene Entschädigung bekräftigen.

3. Wir werden den Wert des Lebens und seinen Schutz vor ökonomische, politische und nationale Interessen stellen.

4. Wir wollen unserer Verantwortung gegenüber künftigen Generationen gerecht werden durch einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Schöpfung.

5. Wir werden eintreten für die Abschaffung von Atomkraftwerken, Wiederaufbereitungsanlagen und Atomwaffen und uns beharrlich dafür einsetzen, dass die Industrie Lösungen für die Absonderung bereits bestehender nuklearer Abfallprodukte aus der Umwelt entwickelt, und zwar für den gesamten Zeitrahmen bis ihr Risikopotenzial erschöpft ist. Auch werden wir uns dafür einsetzen, die künftige Entwicklung von nuklearen Technologien zu verhindern und Land, das beim Abbau nuklearer Brennstoffe zerstört wurde, wieder herzustellen.  

6. Wir werden ein globales Solidaritätsnetzwerk von Kirchen, ökumenischen Instituten, Nichtregierungsorganisationen und anderen Organisationen mit dem Ziel aufbauen, präzise Informationen zu sammeln und auszutauschen und uns gegenseitig dabei zu unterstützen für die Wahrheit einzutreten und konkrete Aktionen für eine atomfreie Welt durchzuführen.

7. Wir werden erneuerbare Energien fördern und in sie investieren, den Energieverbrauch senken und Energieeffizienz durch einfachere Lebensweisen verbessern.

8. Wir werden in die Zukunft unserer Jugend investieren und sie befähigen Verantwortung zu übernehmen als Leitungspersonen, die dem Gemeinwohl dienen. Und wir werden unsere Kirchen in die Lage versetzen, kritische Diskussionen zu fördern und Träger des Wandels zu werden, um andere dazu zu ermutigen, die Tragweite dieser Frage zu erkennen.


Kontakt: Rev. Makoto Kato, Executive Secretary for Ecumenical Ministries,
The United Church of Christ in Japan, Email: kato-sec@uccj.org

Übersetzung aus dem Englischen: Evangelische Mission in Solidarität (EMS),
c/o Pfrin. Ulrike Schmidt-Hesse, Email: schmidt-hesse@ems-online.org





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