Begegnungstagung 2007: Texte

Begegnungstagung in der Evang. Akademie Hofgeismar

Das Schweigen brechen

THEOLOGIE IM GESPRÄCH MIT FRAUEN AUS OSTASIEN

10. - 13. April 2007



Unter über 40 Teilnehmern aus Hongkong, Japan, Korea und Deutschland fand Begegnung statt - trotz der sprachlichen, kulturellen und theologischen Unterschiede. Die Geschichte der Hanna, der Mutter Samuels, hat uns durch die Tage begleitet, jener Frau, die sich weder einschüchtern ließ noch resigniert hat, sondern ihren eigenen Weg gegangen ist.


Rose WU

Frau WU aus Hongkong über "Opferrolle überwinden":

"In meiner eigenen Geschichte, die ich vorhin erzählt habe, war ich trotz des sexuellen Übergriffs entschlossen, Gerechtigkeit bei der Polizei und der Universität zu suchen, anstatt mich als schwaches, machtloses Opfer zu sehen. ... Frauen haben die Kraft und die Stärke, sich gegen sexuelle Gewalt zu wehren und sie zu überwinden. ... Als feministische Theologinnen und Seelsorgerinnen müssen wir daran erinnert werden, dass Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben, nicht nur Opfer sind: sie sind starke Überlebende, die fähig sind, sich zu wehren und Heilung und Gerechtigkeit einzufordern. ..."
"Mittlerweile ist häusliche und sexuelle Gewalt im pastoralen Kontext Hongkonger Kirchen selten ein Thema. Das liegt im Wesentlichen daran, dass die Kirche eine Geschlechtersicht einnimmt, die die Sichtweise unterstreicht, dass der eigentliche Platz der Frau zu Hause ist, dass sie sich um das Wohl der Familie zu kümmern hat, von ihrem Ehemann versorgt wird und ihm untergeordnet ist. Diese Einstellung und die traditionelle Familienordnung werden nicht nur durch die Macht und Kontrolle der männlichen Oberhäupter der Familie aufrechterhalten, sondern auch durch religiöse Institutionen mit ihren entsprechenden Lehren und pastoralen Praktiken. Im Namen der Aufrechterhaltung christlicher Werte wie Ehe und Familie tendieren religiöse Institutionen dazu, Frauen, insbesondere marginalisierte Frauen, im Stillen leiden und sich für die Familie aufopfern zu lassen, anstatt sie darin zu unterstützen, ihre Rechte wahrzunehmen.

Um systematische Gewalt und Vorurteile in unserer Gesellschaft und unserer Kirche abzubauen,muss dieSeelsorgebreiterausgelegtseinunddarfsichnichtnur aufdievon sexueller Gewalt unmittelbar Betroffenen beschränken. Es ist auch notwendig, die traditionellen Verhaltensweisen und Überzeugungen, die die Grundlage für männliche
Dominanz und kulturelle Diskriminierung von Frauen, insbesondere gesellschaftlich ausgegrenzten Frauen, bilden, in Frage zu stellen, und die Bedeutung von Geschlecht und Sexualität und das Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen auf allen Ebenen der Gesellschaft und kirchlicher Institutionen neu zu verhandeln. Wir müssen auch dafiir sorgen, dass christliche Gemeinschaften die vielen Ressourcen nutzen, die ihnen zur Verfiigung stehen, um das Schweigen über Gewalt und Missbrauch mit Hilfe von Bildung und Fürsprache zu brechen. ..."



Dr. Yamaguchi

Frau Prof. Dr. YAMAGUCHI aus Tokyo über "Arbeit für den Frieden":

"...Vor dem Hintergrund! der unglaublich großen Vielfalt unter den asiatischen Frauen und mehr noch der Frauen in aller Welt in Bezug auf ethnische Zugehörigkeit, Sprache, Religion, politischer und wirtschaftlicher Situation, wären wir niemals in der Lage, ein zufriedenstelIendes gegenseitiges Verständnis zu erreichen, selbst wenn wir Tage und Nächte in Workshops und Konferenzen verbringen würden. Wir können uns diesen Luxus gar nicht leisten. Unser Tagesprogramm ist in unseren jeweiligen Kontexten vielfältig und dicht gedrängt. Allerdings ist auch wahr, dass unser Handeln in einem globalen Kontext geschieht, und Frauen in verschiedenen Gegenden und Situationen ganz unterschiedlich beeinflusst. Es ist sehr wichtig, dass wir uns über die Verzweigungen und möglichen Folgen unseres HandeIns bewusst sind.

Darum mache ich den Vorschlag, dass, während wir versuchen, Informationen auszutauschen, damit wir ein grundlegendes gegenseitiges Verständnis erlangen, die Priorität unserer Dialoge auf dem Teilen von Strategien zum gegenseitigen Nutzen liegen sollte. Ich hoffe, dass wir durch vermehrtes Teilen von Strategien gegenseitiges Vertrauen, Solidarität und Verständnis entwickeln können, wobei wir ebenso die praktischen Früchte unseres Teilens ernten können.
An dieser Stelle, möchte ich den Frauen und Männern im EMS meine Anerkennung aussprechen dafür, dass sie uns diese wunderbare Chance bieten, dass wir Frauen uns hier von Angesicht zu Angesicht treffen. Ich glaube, dass es sehr wichtig für uns ist, von Zeit zu Zeit eine solche Art von Begegnung zu haben. Danke. ..."



Prof. Dr. Chung

Frau Prof. Dr. CHUNG aus Korea, in Basel über "Die Perspektive von Frauen":

Heute und in dieser Woche bei dieser Tagung geht es um ein anderes Gebiet, dessen Sprachen überhaupt nicht westlich geprägt sind. Es handelt sich um die Region, wo trotz der Kolonialgeschichte und dem westlichen Einfluss sprachliche und kulturelle Eigenständigkeit sich bewahrt wurde.
Das Christentum brachte weltweit einerseits Befreiung für die Frauen, welche in frauenverachtenden Traditionen und Religionen in Asien, Lateinamerika und Afrika leben. Aber andererseits ist eine andere und neue Unterdrückung der Frauen innerhalb des Christentums und der christlichen Kirchen entstanden. Daher gibt es Gegensätze und Widersprüche, wenn man die Folgen der Einführung des'Christentums näher betrachtet: Zwar war die Emanzipation der Frauen eine positive Folge, doch blieb diese Befreiung leider unvollendet. Das ist Raison d'etre der feministischen Theologie in Nordostasien. ...
Die Unterdrückung und die Diskriminierung der Frauen geschehen täglich und öffentlich innerhalb der sozialen Strukturen, die bewusst durch die Traditionen des Buddhismus, Konfuzianismus, Hinduismus, Islam und nicht zuletzt Christentum gefördert werden.
Obwohl das Christentum zweifellos die Emanzipation der Frau in gewisser Weise vorangetrieben hat, setzt sich dies weder in den Kirchenstrukturen noch in den Gesellschaften, die sich auf der Basis des Christentums definieren, breit genug durch.
In den europäischen und nordamerikanischen Gesellschaften werden diese dringenden sozialen Auseinandersetzungen innerhalb Asiens weniger gut anerkannt als ähnliche Bewegungen in Afrika und Lateinamerika. Für viele ist asiatisch gleich chinesisch, und chinesisch ist -in westlichen Augen -schwer zu verstehen. Oder viele nordasiatische Dinge wurden als japanisch oder als chinesisch generalisiert. So werden historische Unterschiede zwischen eigenständigen und stolzen Völkern nicht nur ignoriert, das ganze Thema erscheint unbegreiflich.
Mit all dem möchte ich deutlich machen, dass die Wirklichkeit asiatischer Länder und asiatischer Religionen bei weitem nicht den Vorstellungen der westlichen Welt entspricht. ..."

 


Dr. Lee-Linke

Frau Prof. Dr. LEE-Linke aus Korea, Ratingen, "Das Weinen Gottes":

Das Weinen Gottes

Sung-Hee Lee-Linke (Korea)

 

Auch heute
Schlägt mein Nachbar seine Frau,
Wie einen Fußball
Tritt er sie mit Füßen
Von einer zur anderen Wand des Zimmers.
Wie einen Sandsack
Schlägt er sie mit Fäusten
Von links nach rechts und von rechts nach links.

Es ist schon zwölf Uhr nachts.
Aus Rücksicht auf Nachbarn und Kinder,
Ohne Schreien trotz Schmerzen von Körper und Seele,
Mit fest zusammengepreßten Lippen
Läßt sie die Schläge über sich ergehen.

Warum auch heute
Schlägt er seine Frau?
Weil sie ihrem betrunken heimkehrenden Mann
Nicht höflich genug geantwortet hat.*
Und gestern?
Weil sie ihrem noch durstigen Mann kein Bier
Rechtzeitig in den Kühlschrank legte.

Und vorgestern?
Weil sie vor Heimkehr des Mannes,
Nicht fähig, der Müdigkeit länger zu wehren,
Um ein Uhr nachts kurz eingeschlafen war,
Eine Minute zu spät die Haustür öffnete.

Mit welchem Recht
Schlägt er auch heute seine Frau?
Mit dem Recht des Kindes des Teufels?
Mit dem Recht des Kindes der Finsternis?
Mit dem Recht des Kindes des Todes?

In voller Demütigung,
In voller Bitterkeit
Über das Schicksal, als Frau zu leben,
Schlimmer als der Tod es wäre,
In voller Einsamkeit
Weint sie lautlos.

Nein,
Sie weint nicht alleine,
Gott weint mit ihr.
Sie ist nicht alleine.
Gott ist immer bei ihr,
Wenn ihr Mann sie schlägt.

Er schlägt seine Frau,
Tochter und Ebenbild Gottes.
Er schlägt nicht seine Frau,
Sondern Gott selbst...



Dr. CHOE

Frau Dr. CHOE  aus Korea, z.Z. in Berlin über "Quellen von Kraft ergründen":

"... Wir haben über Schmerz und Leiden von Frauen diskutiert und anschließend uns damit auseinandergesetzt, wie Opferrollen zu überwinden sind. Nun ist mir die Aufgabe anvertraut, Quellen von Kraft zu ergründen. Woher nehmen Frauen, die tausende Jahre lang unterdrückt wurden, die Sprache und sogar das Selbst verloren haben und sich als die ,Anderen' definieren lassen mussten -woher nehmen diese Frauen die Kraft, das Schweigen zu brechen, zu der patriarchalischen Herrschaftsordnung ,nein' zu sagen?

Hier möchte ich Sie einladen, mit mir über zwei Quellen der Kraft nachzudenken: über ,Hermeneutik des Leidens' sowie ,Solidarität'. ...
Nicht selten hÖfen wir, dass das Leiden einen Menschen zu Gott führt. Um Jesus zu folgen, sollen wir das Kreuz tragen. Ein Koreanischer Denker, Harn Seok-Heon schrieb: "Wenn Du Tränen im Auge hast, kannst Du durch diese Linse den Himmel sehen." Diejenigen, die Schmerz und Leiden erlebt haben, fragen nach dem Warum und können zur universalen Bedeutung des Leidens gelangen. -eine Einsicht in das Leiden, das durch gewalttätige Geschichte bzw. ungerechte gesellschaftliche Ordnung entstanden ist. Diese Einsicht führt zu einer Vision einer anderen Welt, in der diese Gewalt und Ungerechtigkeit überwunden sind. Diese Vision führt dazu, nach einem wünschenswerten Weg nachzudenken, wie das Leiden zu'überwinden ist -nicht dadurch, indem man selber an die Macht in den bestehenden Verhältnissen gelangt, sondern, indem die bestehenden Verhältnisse selbst in Frage gestellt werden und man somit an der Gerechtigkeit Gottes teilhat. ...

Wenn wir aufdie Geschichte der Frauenbewegung im Westen zurückblicken, ist der Beginn der Feministinnen mit der Bewegung für die Gleichberechtigung, bzw. gleiche Behandlung von Geschlechtern zu sehen. In den 60er, 70er und 80er Jahren wurden aber zunehmend Stimmen laut, die das den Forderungen der gleichen Behandlung zugrunde liegende Konzept der Gleichheit kritisierten. Wenn wir anband des Modells .Zentrum-Peripherie' diese Kritik wiedergeben, hätten die ersten Feministischen Bewegungen die marginalisierten, in die Peripherie gedrängten Position von Frauen erkannt und das Ziel ihrer Bewegungen darin gesehen, mit Männern das "Zentrum" zu teilen. Aber in dieser Strategie fehle es grundsätzlich an den Bemühungen, die hierarchische, ungerechte Struktur des Zentrums und der Peripherie an sich zu bekämpfen. Zugespitzt (und vereinfacht) ausgedrückt, strebte die erste Generation der Frauenbewegungen danach, die Frauen gleich wie Männer werden zu lassen.
Die neuen Frauenbewegungen fordern, nicht mehr "das Zentrum" zu beneiden, sondern die

Verortung der Peripherie in die Identitäten von Frauen zu integrieren, die Peripherie als ein

neuer Ort der Selbstbewusstseins zu kultivieren und somit zu einem strategischen Stützpunkt für eine gesellschaftliche Änderung umwandeln. Wenn die Peripherie auf dieser Weise zu

einem neuen Zentrum der Geschichte umgewandelt wird, wird sie sicher nicht dem repressiven Zentrum der Männer, welches in der Gegenwart Macht ausübt, gleichen."