2012 Hofgeismar: Versuch der Deutung

Ev. Akademie, 10.- 12. April 2012

Georg Evers

Versuch der Deutung und Bewältigung aus der Sicht der Theologie

 

Einleitung

Am 11. März 2011 wurde Japan von der Dreifach-Katastrophe: Erdbeben - Tsumani - Reaktorunfall Fukushima getroffen. Bei dem Versuch, aus der Sicht der Theologie eine Deutung zu versuchen und Wege der Bewältigung aufzuzeigen, muss zwischen dem Naturunglück des Erdbebens mit dem nachfolgendem Tsunami und dem von Menschen zu verantwortenden Reaktorunfall von Fukushima unterschieden werden.

Der riesige Tsunami, der nur wenige Minuten nach dem Erd-Seebeben die an der Küste gelegenen Ortschaften traf und bis zu 20.000 Menschenleben forderte, war ein Naturgeschehen, das außerhalb menschlicher Verantwortung sich ereignete. Die gewaltige Macht dieser Wasserfluten, die ganze Häuser, Schiffe, Autos und immer wieder Menschen mit sich riss, zeigte einmal wieder die Grenzen menschlicher Beherrschung und Kontrolle der Naturgewalten auf. Die Vorkehrungen im Vorfeld, die durch den Bau von Flutmauern getroffen worden waren, erwiesen sich angesichts der Höhe der Flutwellen, die alle Berechnungen übertraf, als vollkommen unzureichend.

Auch wenn im Ausland, und ganz besonders in Deutschland, die Aufmerksamkeit fast ausschließlich auf die Atomkatastrophe von Fukushima und ihre bleibenden Folgen für die Umwelt gerichtet war, bleibt doch die Tatsache bestehen, dass die fast 20.000 Menschenopfer ausschließlich durch die Flutwelle des Tsunami ihr Leben verloren haben. Wie viele Opfer die Nachwirkungen der Atomkatastrophe fordern wird, lässt sich gegenwärtig nicht sagen. Aus den Erfahrungen von Tschernobyl und Hiroshima und Nagasaki wissen wir, dass langfristig Böden radioaktiv kontamiert sein werden und die Strahlenbelastung ebenfalls langfristig direkt und indirekt Betroffene schädigen wird.

Reaktionen der katholischen Kirche Japans auf die Dreifachkatastrophe von Erdbeben-Tsunami-Reaktorunfall Fukushima

Bei der Dreifachkatastrophe von Erdbeben, Tsunami und Reaktorunfall am 11. März 2011 reagierte die Caritas Japan schnell und richtete in der Stadt Sendai ein Katastrophenzentrum ein, das für die Opfer Lebensmittel, Decken und andere notwendige Dinge bereitstellte. Unterstützt wurde die Caritas Japan durch die Caritas Internationalis, die Hilfsangebote der Caritasorganisationen von Macao, Taiwan, Singapur, Korea, Myanmar und sogar von der neu gegründeten Caritas Vietnam koordinierte. Auch die katholische Hilfsorganisation "Jinde Charities" in Shijiazhuang in der Provinz Hebei in der VR China bekundete ihre Solidarität mit den Opfern. Solidaritätsaktionen für Japan gab es ebenfalls in der katholischen Kirche Indiens und Pakistans. Besondere Beachtung fand in Japan die Unterstützung durch koreanische Christen und Buddhisten für die Erdbebenopfer. Angesichts der historischen Animosität zwischen Japan und Korea wurden die vielfältigen Akte der Solidarität seitens der koreanischen Bevölkerung in Japan besonders gewürdigt. In der schweren Zeit nach der Katastrophe erlebte die kleine Herde der japanischen Christen die weltweite Solidarität ihrer Schwesterkirchen in aller Welt als sehr tröstlich.

Wenn wir von der Rolle der christlichen Kirchen bei den Hilfeleistungen für die Opfer der Katastrophe sprechen, müssen wir immer im Auge haben, wie klein die Zahl der Christen in Japan ist, der Beitrag, den die christlichen Kirchen bei dem Hilfsmaßnahmen und in der Betreuung der Obdachlosen geleistet haben, dagegen um ein Mehrfaches größer als der Anteil der Christen an der Bevölkerung lag. Die Zahl der protestantischen Christen wird meistens mit ca. 500.0.00 angegeben, etwa gleich groß wie die Zahl der japanisch-stämmigen Katholiken. Die katholische Kirche in Japan ist allerdings einmalig, da die Zahl der ausländischen in Japan lebenden Katholiken gegenwärtig höher ist als die Zahl der einheimischen Katholiken. Im März 2005 veröffentlichte die Kommission für Migration in der japanischen Bischofskonferenz statistische Angaben, nach denen die Zahl der Katholiken in Japan erstmals über 1 Million gestiegen sei. Die Zahl der Katholiken wird mit 1,015 637 angegeben, von denen 449,926 einheimische japanische und 565,712 ausländische Katholiken sind. Während die Zahl der einheimischen japanischen Katholiken seit mehr als einem Jahrzehnt sich kaum geändert hat, ist die Zahl der ausländischen Katholiken ständig gestiegen mit dem Ergebnis, dass sie gegenwärtig die Mehrheit innerhalb der katholischen Kirche in Japan stellen1.

Die christlichen Helfer unter ihnen viele Seminaristen, Ordensleute und Laien auch aus dem Ausland, haben versucht, durch ihren Einsatz und ihre Präsenz den Betroffenen zu helfen. Als Maßgabe hatten ihnen die Bischöfe der betroffenen Diözesen mitgegeben, in erster Linie den Menschen zuzuhören, bei ihnen zu sein und mit ihnen zu trauern. Theologische Spekulationen über das Warum der Katastrophe sollten sie dagegen vermeiden.

Beitrag der Chrisen zur Anti-Atom-Bewegung

Schon vor dem Atomunfall in Fukushima haben die christlichen Kirchen sich in der Friedensbewegung engagiert und waren in der Anti-Atombomben-Bewegung aktiv gewesen. Nach Ende des Pazifischen Krieges wurde in Hiroshima auf Initiative von P. Hugo Enonimya-Lassalle, Jesuit und Zen-Meister, die "Peace Memorial Church" in Hiroshima gebaut, die eine wesentliche Rolle als Antikriegs- und Antiatomdenkmal spielt. An der Diskussion um die Nutzung der Kernenergie, die in Japan nach der Katastrophe von Fukushima begonnen hat, haben sich japanische Christen intensiv beteiligt. Zusammen mit anderen christlichen Führer hat der Bischof von Kioto Paul Otsuka gefordert, dass Japan, das schließlich das einzige Land auf der Erde ist, dass Opfer von Atombomben geworden ist, diese Gelegenheit nutzen solle, aus der zivilen Nutzung der Kernenergie auszusteigen, da diese Technik offensichtlich nicht beherrschbar sei und das Überleben der Menschheit und die Umwelt gefährde. und gegen die Atomrüstung protestiert. Nur einen Monat vor der Katastrophe des 11. März hatten die Bischöfe von Hiroshima und Nagasaki in einem Brief an den amerikanischen Präsidenten, die japanische Regierung und die Führer der anderen Ländern einen Aufruf veröffentlicht, in dem sie die Abschaffung der Atomwaffen weltweit fordern.

Bei dem Gedenken an die Opfer der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki im August 2012 hat der Bischof von Kioto, Paul Otsuka in einem Brief an die japanischen Katholiken zu einer grundlegenden Neubesinnung im Gebrauch von Energie aufgerufen. Dabei stellte er heraus, dass Japan nach der Katastrophe von Fukushima in der Gefahr stehe, ein Land zu werden, das, wenn es an der Erzeugung atomarer Energie festhalte, auf Generationen hinaus bleibende Schäden davon tragen werde. Der Bischof fordert ein Umdenken dahingehend, die atomare Energie wegen ihrer Gefahr für das Überleben der Menschheit und für die Umwelt als eine Technik zu begreifen, die nicht sicher beherrschbar sei und daher außerhalb der Grenzen eines legitimen Gebrauchs von Naturwissenschaft und Technologie liege. Die Menschheit müsse einsehen, dass es bei allem Fortschritt der Technologie nicht möglich sei, atomare Energie sicher herzustellen und zu gebrauchen, wie dies die Katastrophe von Fukushima zur Genüge gezeigt habe. Der Bischof betont, dass die Katastrophe von Fukushima für ihn ein Anlass ist, grundsätzlich über den Gebrauch von Energie aus dem christlichen Verständnis von Schöpfung und Welt neu nachzudenken. Auch wenn Christen überzeugt seien, dass technische Entwicklung für das Wohlergehen der Menschheit eine von Gott gegebene Gabe und Aufgabe sei, wüssten sie aber auch um die Grenzen des Fortschritts und der technischen Entwicklung. Die Abhängigkeit von Energie und die damit gegebene Notwendigkeit für einen ständig wachsenden Bedarf an Energie neue Kraftwerke zu errichten, könnten so nicht weitergehen. Die Katastrophe von Fukushima sollte genutzt werden, grundsätzlich über einen einfachen Lebensstil nachzudenken, der ein zufriedenes und gutes Leben auch ohne ständigen Energieverbrauch ermöglichen könne. Auch wenn Christen in Japan eine kleine Minderheit darstellen, könnten sie doch Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen und durch ihren Lebensstil Beispiel für viele werden. Als Minderheit sollten die Christen sich mit den Angehörigen der anderen Religionen, des Schintoismus und des Buddhismus zusammentun, um als religiöse Menschen für ein Umdenken im Gebrauch und der Abhängigkeit von Energie einzusetzen. Aber auch außerhalb der Religionen gäbe es viele Menschen, die mit Blick auf Hiroshima und Nagasaki und der Fukushima-Katastrophe sowohl gegen Atomwaffen wie auch die Produktion atomarer Energie sich einsetzen. Auch mit ihnen sollten die Christen kooperieren.

Auch der Vorsitzende der japanischen Bischofskonferenz, Leo Jun Ikenaga, hat in einem Brief an die japanischen Katholiken, den sofortigen Ausstieg aus der Erzeugung von atomarer Energie und die Abschaltung der bestehenden atomaren Kraftwerke gefordert. Im Rückblick auf das Dreifach-Unglück des 11. März 2011 betont er aber auch, dass Japan eine beispiellose Welle der Solidarität erlebt habe. Viele Menschen in den direkt betroffenen Gebieten hätten unter dem Einsatz und oft auch Verlust ihres eigenen Lebens Menschenleben gerettet. Diese Beispiele selbstlosen Einsatzes für andere habe auch Beachtung im Ausland gefunden. Die vielen Hilfsleistungen aus dem Ausland seien nicht zuletzt durch diese Beispiele inspiriert und ausgelöst worden.

Der Tsunami und Gottes Vorsehung

Theologische Deutungen könnten sich auf die biblischen Vorbilder der Sintflut oder der Zerstörung von Sodom und Gomorra berufen, um in der Naturkatastrophe Gottes Strafgericht für die Sünden der Menschheit zu entdecken. Diese Deutung lässt sich aber wohl kaum mit unserem heutigen Gottesbild vereinbaren. Schon im Bund mit Noah nach der Sintflut hat Gott versprochen: "Meinen Bund errichte ich mit euch und allen Lebewesen: Niemals komme eine Flut, die Erde zu verheeren." (Gn 9,11). Die Vorstellung eines die Menschheit für ihre Sünden mit Naturkatastrophen strafenden Gottes lässt sich aber auch nicht dem Bild des gütigen Vaters in eins bringen, das Jesus uns gezeigt hat. Jesus ruft in der Bergpredigt die Jünger auf, sich nicht ängstlich um die Dinge des Lebens zu sorgen, sondern dem Vater zu vertrauen, der weiß, was die Menschen brauchen und der es ihnen schenken wird (Mt 6,25-32).

Angesichts der Flutwellen der Tsunami stellt sich allerdings die Frage nach der Vorsehung Gottes wieder neu. Warum traf die Welle gerade diese Region und warum waren gerade diese Menschen von ihr betroffen? Eine schlüssige und wirklich befriedigende Antwort wird kein verantwortlicher Theologe zu geben wagen. Bei allem Vertrauen darauf, dass alles, was sich in dieser Welt ereignet, im Rahmen der göttlichen Vorsehung bleibt und nicht das Werk von Dämonen ist, bleiben die Fragen und auch wohl Anklagen: Wie konnte dies geschehen? Wie lässt sich dies mit Gottes Güte vereinen?

Die Flutwelle des Tsunami verweist uns Menschen auf die Grenzen unserer Möglichkeiten, die Naturgewalten in den Griff zu bekommen und zu beherrschen. Bei allem Fortschritt der Technik wird uns die stets bleibende Gefährdung unserer menschlichen Existenz in dieser Welt bewusst. Wir werden daran erinnert, dass wir hier keine bleibende Stätte haben und dass unsere eigentliche Heimat nicht hier ist, sondern in der kommenden Welt, die uns versprochen ist (Hebr 13,14).

Diese allgemeinen Feststellungen über die Gefährdung der menschlichen Existenz in dieser Welt sind gerade in Japan, ein Land, das regelmäßig von Erdbeben erschüttert und von Taifunen heimgesucht wird, Allgemeingut. Das Sprichwort: "Alle Dinge sind vergänglich!" (shôgyô mujô) drückt diese Haltung des Fatalismus bzw. der Annahme der Gegebenheit von Vergehen und Tod (akirame) knapp und präzise aus. Eines der meist gebrauchten Redensarten angesichts von Schicksalsschlägen ist: "Da kann man nichts machen!" (shikata ga nai). Es drückt sowohl Resignation wie auch Annahme in Geduld (gaman) aus. Im Ausland wurde die oft als stoisch angesehene Haltung der von der Katastrophe betroffenen Japaner mit Bewunderung oder auch Verwunderung gesehen. Aus dieser Haltung, dass alle sich in derselben Schicksalssituation und damit gegeben in derselben Schicksalsgemeinschaft befinden, resultiert auch die Haltung der Solidarität, die sich in beeindruckender Weise in der Welle von Hilfeleistungen zeigte, die den Opfern entgegengebracht wurde.

Wenn man so will, kann man in diesen Solidaritätsäußerungen einen positiven Sinn der Katastrophe entdecken, der die Menschen wachrüttelte und ihnen ihr gegenseitiges Aufeinanderangewiesensein bewusst machte.

Fukushima - eine von Menschen gemachte und von ihnen zu verantwortete Katastrophe

Eine theologische Deutung des Reaktorunglücks von Fukushima muss dagegen andere Faktoren in Rechnung stellen. Dieses Unglück ist von Menschen gemacht und muss auch von ihnen verantwortet werden. Für die Folgen menschlichen Versagens kann man schlechterdings nicht ein Versagen von Gottes Vorsehung ins Spiel bringen. Es gibt eine innere Logik und Konsequenz menschlichen Handelns. Die Entwicklung atomarer Energie für zivile Zwecke, ganz zu schweigen von dem militärischen Zielen der atomaren Bewaffnung, birgt nun einmal die Gefahr von Katastrophen, wie sich wieder im Fall von Fukushima zeigte.

Japan ist ja nicht das erste Mal von einer atomaren Katastrophe heimgesucht worden. Die beiden Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki haben zum einem Hunderttausende Todesopfer gefordert und noch viel mehr Menschen bis auf die nachfolgenden Generationen haben unter den Nachwirkungen der Radioaktivität gelitten oder leiden heute noch daran.

Da ich um meine eigenen Grenzen weiß, theologische Deutung des Unglücks von Fukushima zu geben, habe ich auf Material zurückgegriffen, das in Nagasaki nach dem Atombombenabwurf von Takashi Nagai geschrieben wurde.

Es ist im Ausland wenig bekannt, dass bei dem Atombombenangriff auf Nagasaki am 9. August 1945, bei dem über 70 000 Menschen getötet wurden, unter den Opfern mehr als 8,000 Katholiken waren, eine Anzahl, die zu diesem Zeitpunkt fast 10% der in Japan lebenden Katholiken darstellte. Takashi Nagai (1908-1951), war Radiologe und Opfer der Atombombe von Nagasaki, die am 9. August 1945 von den 10.000 Katholiken in Urakami etwa 8.000 den Tod brachte. Zu den Toten gehörte auch die Frau von Takashi Nagai. Schon vor dem Atombombenabwurf war Nagai durch seine radiologischen Forschungen durch Röntgenstrahlen an Leukämie erkrankt. Sein Einsatz für die Opfer der Atombombe brachte ihn weiter in Kontakt mit radioaktiven Strahlen, wodurch seine Leukämie sich verstärkte. Von der Krankheit gezeichnet hat er in der kleinen Hütte, in der er mit seinen zwei Kindern lebte die letzten Jahre seines Lebens lebte, wissenschaftliche Beiträge zur "Atomkrankheit", d.h. den Auswirkungen der radioaktiven Strahlen infolge der Atombombe erstellt. Daneben hat er Essays und Tagebuchaufzeichnungen veröffentlicht. Eines seiner Bücher: "Die Glocken von Nagasaki" (Nagasaki no Kane) ist in viele Sprachen übersetzt und später verfilmt worden.

Atombombe und göttliche Vorsehung

Takashi Nagai hat sich viele Gedanken gemacht, wie das große Unglück des Atombombenangriffs sich mit der göttlichen Vorsehung vereinbaren lässt. Dazu schreibt er:

„Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gepriesen.!"
Als die Atombombe explodierte, hat sie in unserem Urakami, dem katholischen Stadtteil von Nagasaki, von zehntausend Christen achttausend den Tod gebracht. Es haben hier zwei Mädchengymnasien bestanden, die Junshin und die Josei. Die Schülerinnen der Junshin waren im Werkraum bei der Arbeit, als die Bombe explodierte. Im lodernden Feuer stimmten sie geistliche Lieder an und sangen, bis eine nach der anderen erstickte und dann zur Asche verkohlte. Es war ein Opferbrand, der am letzten Tag des Krieges im heiligen Bezirk von Nagasaki-Urakami zum Himmel loderte.

In einem Gedicht hat er seine Betroffenheit festgehalten:

„Sie nur, wie dort in den Opferbrandflammen,
während sie singen, weiße Lilienkelche verglühen."

Dieses Kurzgedicht findet sich jetzt am Erinnerungsdenkmal der wieder aufgebauten Schule in Nagasaki. Nagai hat versucht, Gottes Vorsehung in diesem Unglück zu entdecken, wenn er schreibt:

Wir Überlebenden, die Augenzeugen von alledem, sind der sicheren Überzeugung: Dies Atombombenunglück sollte kein Strafgericht des Himmels für uns sein. Es öffnet uns vielmehr einen Ausblick auf die erhabenen Vorsehung, die irgendein noch so verborgenes und hohes Ziel damit im Auge hatte. Und ich selber, ich wurde am gleichen Tage zu einem völlig mittellosen Krüppel, den man mit zwei kleinen Kindern am Arm inmitten der Brandruinen hat stehen lassen. Dennoch sagte mir der Glaube ohne den Schatten des Zweifels, dass auch darin eine Offenbarung der Vorsehung liege, wenn ich gleich das Wie und Wozu noch nicht durchschauen kann.
Nunmehr habe ich Tage, Wochen und Monate dreier langer Jahre hinter mir. Vom Standpunkt des Heute aus erweist es sich tagtäglich deutlicher, wie richtig mein Glaube damals gesehen hat2.

In seinem Buch „Die Glocken von Nagasaki" hat Nagai eine andere Sinndeutung für den Atombombenabwurf über den Stadtteil Urakami gegeben:

„Das eigentliche Ziel der Amerikaner waren die Munitionsfabriken. Aber der Wind hat die Bombe abgetrieben, so dass sie über der Kathedrale von Urakami explodierte. Da also die Amerikaner gar nicht den Bezirk von Urakami zu treffen beabsichtigten, dürfen wir Gottes Hand darin erblicken, dass sie dort fiel, wo sie fiel. Liegt nicht eine unfassbare tiefere Beziehung zwischen dem Kriegsende und der Vernichtung von Urakami? Ist nicht Urakami, der einzige heilige Distrikt Japans, erwählt worden, um durch Brand und Vernichtung als Opfer auf dem Altar dargebracht zu werden und als Sühne für die im Weltkrieg von der Menschheit begangenen Sünden?
Schon vorher waren viele Gelegenheiten gewesen, um den Krieg zu beenden. Ganze Städte waren schon zerstört worden, aber Gott hat diese Angebote nicht angenommen, weil sie nicht genügten. Doch als Urakami zerstört war, nahm Gott das Opfer endlich an. Er gab dem Tenno ein, den Krieg zu beendigen3."

Wenn ich als Theologe - gleichsam von außen und nur aus theologischer Reflexion - diese Gedanken zu äußern gewagt hätte, wären sie sicher als anmaßend und besserwissend auf den Protest der direkt Betroffenen gestoßen. Takashi Nagai dagegen spricht als direkt Betroffener und selber Opfer der Katastrophe. Dies verleiht ihm Authentizität und seine Gedanken haben dadurch einen anderen Klang. Es ist ein Versuch, dem so sinnlos erscheinenden Unglück eine Deutung zu geben, die den Opfern eine positive Rolle bei der Beendigung des Krieges zuspricht.

Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht nicht unwichtig, auf jeden Fall aber eine interessante historische Wiederholung, dass der jetzige Tenno Akihito nach der Dreifach-Katastrophe, wie sein Vater es im August 1945 mit seiner historisch so eminent wichtigen Radioansprache getan hatte, sich am 16. März 2011 das erste Mal nach 22 Jahren Herrschaft in einer Live-Übertragung des Fernsehens sich an das japanische Volk gewandt hat.

Atomkraft - eine positive Hilfsquelle für die Menschheit?

Es hat etwas Überraschendes oder mit dem Wissen von heute, Unverständliches, wenn Nagai am Ende seines Lebens von der mit der Atombombe sichtbar gewordenen Atomkraft schreiben kann:

„Aber diese Atombomben hatten auch einen befreienderen Sinn. Sie haben der Menschheit, freilich gewaltsam genug, Kunde davon gebracht, dass in der Natur noch weitere, ganz neue Arten von Hilfsquellen für sie aufgespeichert liegen. Die Kunde davon ist ihr eigentlicher, positiver Sinn. ...Durch den Krater, den die ersten Atombomben aufgerissen haben, bricht für die Menschen ein neuer Hoffnungsstrahl hindurch. Sie brauchen nur in den Trichterschlund dieser Atombomben hinabsteigen, um darin weiter zu graben und zu forschen. ... Eine neue Zeit ist angebrochen, in der die immer noch verborgenen schlummernden Schätze der Erde aufgespürt und ans Licht gezogen werden müssen4."

Im Rückblick können wir diese Worte eines von der Atombombe Gezeichneten wohl kaum verstehen. Der Optimismus, mit dem der Beginn des „Atomzeitalters" einmal gefeiert wurde, ist für uns Heutige nach Tschernobyl und erneut durch Fukushima nur noch ein Ärgernis und Ausdruck von Hybris. Es ist generell bemerkenswert, dass die Japaner, die doch als einziges Volk direkt die Zerstörungskraft von Atombomben und die jahrzehntelangen Auswirkungen der radioaktiven Verseuchung über Generationen hinweg Leib erfahren haben, über Jahre ein grundsätzlich so positives Verhältnis zum privaten Gebrauch der Atomkraft entwickelt haben. Noch bis in die Gegenwart hinein wurden in japanischen Schulbüchern die Nutzung der Kernkraft als das große Hoffnungsprojekt der Menschheit angesichts der Klimaveränderungen und des gesteigerten Energiebedarfs hingestellt. Das japanische Erziehungsministeriums veranstaltete jedes Jahr einen Posterwettbewerb zum "Tag der Atomkraft" aus, der am 26. Oktober begangen wurde. Die Schülerinnen und Schüler wurden aufgefordert, ihre Bildideen für das "Gute Leben ermöglicht durch Atomkraft" einzusenden. Nach der Katastrophe von Fukushima verschwand diese Werbung von der Website des Erziehungsministeriums5.

 

Anmerkungen

1 Die größte Gruppe der ausländischen Katholiken stellen die 250 000 japanisch-stämmigen Brasilianer der dritten Generation dar, die in das Land ihrer Großeltern zurückgekehrt sind, von der äußeren Erscheinung her oft recht "japanisch" erscheinen, aber der Kultur und Sprache ihrer Vorfahren meist doch sehr entfremdet sind. In der japanischen Gesellschaft sind sie wenig angesehen und haben mit dem Image zu kämpfen, Versager zu sein. Die Zahl der aus den Philippinen eingewanderten katholischen Christen ist mit 150 000 ebenfalls sehr hoch. Es handelt sich einmal um Frauen, die oft illegal in der Unterhaltung- und Sexbranche tätig sind und zum anderen um ungelernte Arbeiter, die ebenfalls meist illegal in Japan leben, da sie wegen der fehlenden Qualifikation keine offizielle Arbeitserlaubnis seitens japanischer Behörden erhalten können. Ebenfalls stark vertreten sind Koreaner mit 55 000 und die Peruaner mit 47 000 Katholiken.

2 Vgl. Takashi Nagai, Notizen auf einem Sterbebett, St. Ottilien 1953, 220-222.

3 Vgl. Takashi Nagai, Die Glocken von Nagasaki, München 1953, 148-149.

4 Vgl. Takashi Nagai, Notizen auf dem Sterbebett, St. Ottilien 1953, S. 293-294.

5 Vgl. Tobias Weiss, Im fröhlichen Atomland, in FAZ 9. März 2012, Nr. 59, S. 3.

 

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