2017: Friedensethik - polit. auf verlorenem Posten?

FRIEDENSETHIK – politisch auf verlorenem Posten?

Kritische Erwägungen anlässlich der Präsentation des Handbuch(s) Friedensethik
Zur humanitären Katastrophe im Syrien-Konflikt:  Was kann gewaltfreies Engagement hier noch ausrichten?

Prof. Dr. Fernando Enns, Arbeitsstelle „Theologie der Friedenskirchen“ der Universität Hamburg

Voraussetzungen - Hindernisse - Unterstützung

„Wir bedeuten ihnen nichts“. Dieses eindringliche Zitat ist mir aus der Dankesrede Navid
Kermanis anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels
20151 nachhaltig in Erinnerung. „Wir bedeuten ihnen nichts“ – das war das Resumée,
das der katholische Pater Jacques Mourad in einer mail an eine Freundin schrieb,
angesichts der verheerenden Kriegszustände rund um das Kloster Mar Elian am Rande
der Kleinstadt Qaryatein in Syrien. Kurz darauf wurde er von Anhängern des sog.
„Islamischen Staat“ entführt. Das 1.700 Jahre alte Kloster ist inzwischen völlig zerstört!

Eine erste Voraussetzung, das Wagnis einzugehen, die Frage nach den Möglichkeiten
gewaltfreien Handelns in Syrien zu beantworten, ist, zuerst auf die Menschen im
Konflikt zu hören und ihren Stimmen Gehör zu verschaffen (nicht nur ihren
„Repräsentanten“). Gewaltfreies Handeln setzt nicht auf die Konfliktintervention von
außen, sondern fragt stets zuerst nach der Weisheit und dem Konfliktlösungspotential
im Inneren eines Konflikts. Erst im Zweiten stellt sich dann die Frage, wie gewaltfreie
Kräfte – die in jedem Konflikt vorhanden sind – begleitet, gestärkt werden können,
welche Formen der Solidarität wirken können.

„ ... Einzusehen, dass wir verlassen sind, ist fürchterlich“ schrieb Pater Jaques „verlassen
zumal von der christlichen Welt, die beschlossen hat, auf Distanz zu gehen, um die
Gefahr von sich fern zu halten. Wir bedeuten ihnen nichts.“
In dieser Aussage ist eine zweite Voraussetzung enthalten für gewaltfreies Handeln:
Sie kann nicht aus der Distanz wirken! Sie setzt die Bereitschaft voraus, sich einzumischen, Risiken einzugehen, womöglich sogar selbst Opfer zu bringen. Und dazu ist sie nur in der Lage, wenn sie eigene Machtansprüche und eigenes politisches Kalkül hinten an stellt, und die Menschen, die unmittelbar an Leib und Leben bedroht sind, tatsächlich ins Zentrum aller Aufmerksamkeit stellt.

Ich zitiere weiter aus der Rede von Navid Kermani: Pater Jaques „betreute die
katholische Gemeinde von Qaryatein und gehörte zugleich dem Orden von Mar Musa an,
der sich Anfang der achtziger Jahre in einem verfallenen frühchristlichen Kloster
gegründet hat. Das ist eine besondere, eine wohl einzigartige christliche Gemeinschaft,
denn sie hat sich der Begegnung mit dem Islam und der Liebe zu den Muslimen
verschrieben. So gewissenhaft die Nonnen und Mönche die Gebote und Rituale ihrer
eigenen, katholischen Kirche befolgen, so ernsthaft beschäftigen sie sich mit dem Islam
und nehmen bis hin zum Ramadan teil an der muslimischen Tradition. Das klingt
verrückt ... Und doch war diese christlich-muslimische Liebe noch vor kurzem
Wirklichkeit in Syrien und ist es in den Herzen vieler Syrer noch immer ...
ein Steinkloster ... das von Christen aus aller Welt besucht wurde, an dem jedoch
zahlreicher noch Tag für Tag Dutzende, Hunderte arabische Muslime anklopften, um
ihren christlichen Geschwistern zu begegnen, um mit ihnen zu reden, zu singen, zu
schweigen und auch, um in einer bilderlosen Ecke der Kirche nach ihrem eigenen,
islamischen Ritus zu beten.“

Eine dritte Voraussetzung für gewaltfreies Handeln wird hier sichtbar: das langjährige
Engagement für Frieden und Versöhnung. Gewaltfreies Handeln setzt immer auch
gegenseitiges Vertrauen voraus. Das aber kann mit keiner Gewalt erzwungen werden,
sondern basiert auf gewachsenen Beziehungen. Auf diese gilt es im Konflikt
zurückzugreifen.

Lesen Sie bitte den ganzen Vortrag als pdf

Flyer  -  Präsentation des Handbuchs Friedensethik am 27.03.2017 in Berlin





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