18. August 2012

Samstag, 18. August

Der erste Tag in Qingdao

17.8.2012

Der Plan war, wie immer, zuerst ein Besuch beim Christian Council of China von Qingdao. Erst vor einem Jahr verstarb Pfr. SUN Bin so plötzlich und wir wissen nicht, ob er einen Nachfolger gefunden hat. Auf jeden Fall aber müsste Pfr. Dr. DONG Yan Liang, der in Dänemark studiert hat, anzutreffen sein. Mit ihm, so war beim letzten Mal vereinbart, sollte der Aufenthalt in Qingdao beraten werden. Da erreicht mich am Tag vor meiner Einreise die Email von Pfr. Dong, dass er im Krankenhaus liege, wohl hoffe, bald entlassen zu werden, aber mich nun nicht empfangen könne. So stehe ich nun da und muss mich nach anderer Hilfe umsehen. Auf jeden Fall aber will ich in das Büro des CCC fahren und mich dort umhören. Wir, mit dem Übersetzer Mr. Wang, machen uns auf den Weg. Adresse habe ich keine, die Telefonnummer gilt nur für Dr. Dong. Meine Erinnerung lässt mich auch noch im Stich – wir fahren in eine falsche Strasse – und bald sind der Taxifahrer und der Übersetzer überfordert. Dann grabe ich aus meinen Papieren die Telefonnummer einer Kirchengemeinde aus: Davon habe ich etwa 15 bei mir, und mit einigen der Kollegen bin ich ja inzwischen gut bekannt. Es trifft die St. Paul's Kirche, heute die Guanxiangshan-Lu-Gemeinde. Ihre Pfarrerin kenne ich schon seit meinem 2. Besuch im Jahre 2007, damals trafen wir uns in der Litsuan-Kirche, auch eine Gründung einer deutschen Missionsgesellschaft Berliner Mission?). Pfrin DONG Mei Qin sei zu Hause, d.h. aber sie ist in der Kirche. Wir dürfen gerne kommen.

Über eine halbe Stunde dauert die Fahrt im Taxi (die meisten stammen aus VW-Produktionen in China). Dann stehen wir vor dem imposanten Turm mit der deutschen Glocke aus dem Jahre 1888, die aber erst 1938 hier ihren festen Ort gefunden hat. Zur Zeit der Kulturrevolution wurde auch sie herab genommen und verkauft. Nachdem die Kirchen wieder öffnen durften, entdeckt jemand diese Glocke, die (jetzt erst!) eingeschmolzen werden sollte, verständigte den CCC von Qingdao und Pfr. SUN sorgte dafür, dass die Glocke wieder nach Qingdao und auf ihren Turm kam. Für die Gemeinde ist dies ein Wunder. Aus der Kirche strömen gerade die Besucher einer Andacht, wir werden eingelassen, andere Touristen mit Kamera vor der Brust müssen draußen bleiben. Es darf in der Kirche nicht fotografiert werden. Ein Gemeindeglied, eine etwas ältere Frau, erinnert sich an meinen Besuch im Jahre 2012: Wir waren gemeinsam auf den Turm gestiegen, hatten auf einer wackligen Leiter ein paar Fotos von der Glocke gemacht und anschließend habe ich mir beim gemeinsamen Mittagessen im Restaurant die Geschichte der Glocke erzählen lassen. Daran erinnert sie sich. Und schon bin ich als alter Freund aufgenommen.

Während wir uns in der Kirche unterhalten und die Kirche gereinigt wird, kommen immer wieder kleine Touristengruppen und wollen die Kirche besichtigen und fotografieren. Letzteres wird ihn allen verwehrt. Dann kommt eine Gruppe, die sich, anders als die anderen, auf die erstbeste Bank setzt und die Hüte (Sonnenschutz) abnimmt. Wir sprechen weiter und ich werde übersetzt. Dabei hören diese 4 Studentinnen mit. Eine dreht sich plötzlich um, spricht mich und fragt, ob ich aus Deutschland komme. Hat sie meinen deutschen Akzent erkannt? Oder hatte ich von Deutschbland erzählt? Ich weiß es nicht. Jedenfalls spreche dann auch Deutsch und erfahre, dass diese Gruppe gerade in Mannheim gewesen war, auch Heidelberg besucht habe. Ein kurzer Austausch der Firma, in der sie arbeiten, mit dem Partner in Mannheim. In Qingdao wollen sie in diesen Tagen noch mehr sehen von Deutschland, gibt es doch hier sehr viele Gebäude aus der kurzen Kolonialzeit des deutschen Kaiserreichs. Eigentlich wollten wir uns zu einem kleinen Plausch in Deutsch treffen – aber Pfrin Dong ruft zum Gespräch.

Da wird es erst recht interessant. Dort sind zwei junge Pfarrer, mit denen sie wahrscheinlich zuvor Beratungen über den Wochenplan hatte. Sie gehören zu ihrem Bezirk: Pfarrer LIU Bo Jun und ein weiterer Kollege in Ausbildung. Ersteren habe ich 2010 im Sonntag-Abend Gottesdienst in der Shanghang Kirche getroffen. Erinnerungen werden ausgetauscht. Frau Dong erinnert sich sogar noch an den gitarrespielenden Joachim. Ich werde nach der Familie gefragt. Ihr Mann ist nach wie vor Englischlehrer am Gymnasium, der Sohn macht Musik und studiert 4 Jahre in der Ukraine.Wir sprechen davon, was es an evangelisierender und sozialer Arbeit bei der Kirche gibt. Wieder werden nur die Gottesdienste aufgezählt, die Gemeindegruppen, die sich treffen. Gottesdienst – d.h. auch viele Gespräche mit Einzelpersonen und mit Familien. Gottesdienst – d.h. auch weiter Kirchenneubauten. Es sind nicht alles Kirchen, oft auch Meeting-places, die Kirchen wachsen stark, die Prediger bzw., Pfarrer bekommen eine bessere Ausbildung, und dennoch reichen die Pfarrer nicht aus um die Gemeinden in die Zukunft zu begleiten.

Gottesdienst findet am Sonntag um 7:30 Uhr und 9:30 Uhr statt, am Freitag-Abend ein Jugendgottesdienst. Gleiche Uhrzeiten in allen Gemeinden in Qingdao. Wo gehe ich zum Gottesdienst? Allgemein wird angenommen, dass ich in die Christuskirche, die älteste und bekannteste gehen, die Kirche in der Jiangsu-lu. Aber ich entscheide mich für den Gottesdienst mit Pfrin Dong – in einer Gemeinde, die ich noch nicht kenne. Ich darf an allen Veranstaltungen teilnehmen. Aber zur Sozialarbeit wird nicht viel gesagt: Man sei dabei, sich über die Öffnung der Kirche zur Gesellschaft hin Gedanken zu machen. Die ganze nächste Woche sei man damit beschäftigt. Es sei nicht einfach, aber dringend notwendig. Was das konkret bedeutet, möchte ich in den nächsten Tagen gerne herausfinden ...

Pfr. LIU hat in Shanghai studiert. Auch dieses Theologische Seminar steht außerhalb der Stadt, Bauplätze in der Stadt sind für die Kirche nicht haben. Jetzt ist er also Pfarrer in der Shanghang Kirche, ganz in der Nähe der Qingdao Universität. Heute Abend ist dort Gottesdienst für junge Leute. Ich sage gleich zu, dass ich dabei sein werde. – Vor zwei Jahren wurde ich von Pfrin Dong eingeladen zu diesem Sonntagabendgottesdienst mit vor allem Studenten. Es war ein einfacher Gottesdienst mit viel Gesang. Nach dem Gottesdienst hatte ich ein besonderes Gespräch mit einem Professor der Universität, vermittelt durch eine junge Frau mit einer hervorragenden englischen Sprache. Der berichtete mir vor allem, wie die Gemeinde ihre Arbeit finanziert. Die Übersetzerin von damals, Frau Huang, sei heute verheiratet, wird mir gesagt. Aber sie und ihr Mann gehören noch immer zur Gemeinde. Sie sind dann am Abend tatsächlich im Gottesdienst und wir freuen uns darüber, dass wir uns kennen. So entstehen und wachsen Freundschaften.Am Samstag gehe ich dann mal in die Litsuan Kirche, wo auch WANG Nan hingehört. Sie spiele jetzt gelegentlich die neue, vor zwei Jahren erst eingeweihte Orgel im Gottesdienst der Jiangsu-Lu Kirche.

Nun wollen wir zur Post und ein kleines Paket mit Papieren für Heidelberg aufgeben. Ein Test, ob und wie das geht. In der Altstadt von Qingdao werden wir an ein Postoffice verwiesen – gegenüber dem oder einem Postmuseum. Sehr freundlich werden wir aufgenommen, andere Kunden sind nicht da. Man will das Päckchen auf dem schnellsten Weg nach Deutschland schicken, doch mir wird das zu teuer. Schließlich spare ich 100 Yuan und das Päckchen geht seinen normalen Postweg. Ab er die Überraschung ist, dass der „Beamte" selber Hand anlegt, einen wasserfesten Umschlag besorgt, unser Paket hineinlegt, das ganze fest verschnürt. Nun noch die Adresse und das Paket ist versandfertig. So kann ich noch weitere kleine Pakete auf den Weg bringen.

Mittagessen in der Nähe der Ocean Universität, an der mein Übersetzer studiert: Weit und breit, so die Studenten, das beste Restaurant. Sie müssen es wissen, denn der Preis ist angemessen. Tofu und angebratenes Gemüse, zum Abschluss noch eine süße Erdnusssoße.

Zurück zum Hotel und Vorbereitung für den Abend. Meine Notizen von 2012 sagen mir, dass man in 15 Minuten zu Fuß zur Shanghang Kirche gehen kann. Wir wollen uns nicht darauf einlassen, nehmen ein Taxi. Und stellen fest, dass jetzt schon, fast eine Stunde vor Gottesdienstbeginn, eine Menge Leute versammelt sind. Im Obergeschoß, im größten Raum der Kirche übt der kleine Chor schon mal die Lieder für den Gottesdienst. Die beiden Räume füllen sich langsam – und Menschen kommen auch während des Gottesdienstes noch hinzu. Die Liturgie ist einfach gehalten: Lied, Gebet, Chor, Text, Predigt, Gebet, Lied, Segen. An die Stelle des Segens kann auch das gemeinsam gesprochene Vaterunser treten. Im Chor besteht heute nicht aus 15-25 Sängerinnen und Sänger mit dem Dirigenten und Klavierbegleitung, sondern es steht dort vorne 6 jungen Frauen am Mikrofon bzw. halten dies in ihren Händen und singen die Lieder, in die dann die Gemeinde einstimmt. Zwischen den Liedern immer wieder Hinweise auf den Text und seine Bedeutung – eine eigene Predigt, besser ein Zeugnis, witness von Christen, die es wagen, nein mit großer Selbstverständlichkeit und Gewissheit von ihrem Glauben, ihrem Alltag, ihren Begegnungen mit Gott zu reden, von Versagen und Erhörungen. Hier lebt der Glaube, wird der Glaube gelebt. Im Gottesdienst herrschen (heute?) die leisen Töne vor. Auch die Predigt kennt keine lauten Töne. Der Prediger spricht vom Beten, angeleitet von dem, was Matthäus in der Bergpredigt von Jesus berichtet, wie er seine Jünger lehrte zu Beten. Trotz der Abendstunde nach einer von Arbeit angefüllten Woche schläft niemand ein, mancher schreibt mit, allen lesen die Bibelstellen laut mit, die angegeben werden. Und sicher sind nicht alle, die sich heute hier versammelt haben, Christen. Am Ende des Gottesdienstes wird nachgefragt, wer denn zum ersten Mal hier sei: es melden sich etwa 12 Leute aus allen Teilen Chinas, also teils Touristen, teils Leute, die von Freunden mitgebracht worden sind. Und es sind nicht nur junge Leute. Frau Huang bedeutet mir, auch ich solle mich melden; aber ich sage ihr, dass ich ja nicht zum ersten Mal hier bin...

Und: Nach dem Gottesdienst ist vor dem Gottesdienst. Die versammelte Gemeinde, jedenfalls ein großer Teil, teilt sich in Gruppen von 10-15 Leuten, die nun miteinander Bibelarbeit betreiben. Und mit- und füreinander beten. Da kommt der Alltag in die Bibelarbeit und ins Gebet, da wird das Wort lebendig und gibt Trost und Wegweisung. Über eine Stunde. Und die Gruppen stören sich nicht am Gemurmel der Nachbargruppen. Insgesamt haben an diesem Abendgottesdienst wohl an die 300 Leute teilgenommen. – Der Pfarrer lädt mich ein in die „Sakristei", eher des Pfarrers Arbeitszimmer. Im Vorraum hängen die Talare und die Umhänge der Chormitglieder. Zuerst sprechen wir von Erinnerungen, dann aber von dem was jetzt in den Gruppen passiert, was meine Pläne für Qingdao seien und schließlich werde ich gefragt, ob ich in die Englischgruppe zu gehen bereit sei. „Natürlich". Etwa 16 junge Männer und Frauen sitzen auf engstem Raum beisammen: ein Sofa, zwei Bürostühle, Kisten und Kartons, drei Hocker. Ob ich etwas sagen wolle, werde ich gefragt, daraus könnten sich dann Fragen ergeben. „Aber nein, ich bin ja nicht gekommen, um zu predigen oder einen Vortrag zu halten, sondern um zuzuhören." Mir schien, die Leute fühlten sich erleichtert. Trotz des Gruppennamens spricht man hier chinesisch. Alles andere wäre zu anstrengend. Also höre ich zu, Frau Huang übersetzt mir immer wieder ein paar Brocken. Mein Übersetzer, Herr Wang, sitzt zum ersten Mal in einem Gottesdienst und Bibelgespräch. – Die letzte Runde in dieser Gruppe besteht darin, dass sich alle einander vorstellen. Immerhin sind 5 Personen zum ersten Mal anwesend. Zwei Frauen sind Christen aus anderen Provinzen, gekommen um hier zu studieren. Die andern haben durch Freunde den Weg hierher gefunden. Jedem wird geduldig zugehört, jede Vorstellung wird beklatsch. Zum Schluss komme auch ich dran: Ich erzähle wo ich herkomme, meine Stationen in Weingarten, Japan, Korea, von dem Einsatz für Menschenrechte in Korea; ich berichte von Fukushima und der Radioaktivität dort, von der auch meine Familie in Japan betroffen sei, und von Gangjeong auf der Insel Chejudo, wo ein neuer Kriegshafen gebaut werde um sich angeblich gegen China zu schützen.

Später, gegen 22 Uhr, werde ich mit 4 anderen in ein Auto verfrachtet, das mich zum Hotel bringt.